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Anselm Glück

Foto: H. Kosina; © Adalbert-Stifter-Institut / StifterHaus

Geb. 28.1.1950 in Linz; als Friedrich Anselm Glück.
Verfasst experimentelle und auf Sprachreflexion ausgerichtete Literatur und ist zugleich als bildender Künstler tätig.

Glück ist eine der wenigen künstlerischen Doppelbegabungen des Landes: Zum Schreiben - das Debüt stumm erscheint 1977 in Heimrad Bäckers edition neue texte - kommt Anfang der 80er Jahre die Malerei hinzu, die ihm seit Mitte der 90er Jahre den Lebensunterhalt sichert. Vom Schreiben leben konnte der ehemalige Drogistenlehrling, der 1978 nach Wien übersiedelte, wo er auch Sinologie und Völkerkunde studierte, noch nie. Nachdem der sich selbst "als einzelgängerische Figur" betrachtende Glück über gut zwei Jahrzehnte neben einigen Theaterstücken (u. a. eiserne mimosen, 1996; innerhalb des gefrierpunkts, 2003) vor allem "Kleinstprosapakete" im Grazer Droschl Verlag veröffentlichte, wechselte er zu Jung und Jung, wo 2007 sein bislang mit Abstand umfangreichstes Buch erschien.

Der Roman Die Maske hinter dem Gesicht, ursprünglich als erster Teil einer Trilogie "mit der Struktur strikt / deppert / strikt" (Nüchtern 2006) konzipiert, schweift abseits des Haupthandlungsstranges (ein Schriftsteller fährt nach Graz, um dort eventuell an ein Stipendium zu kommen) mannigfaltig in die Glück'schen Grundthemen Selbstbeobachtung, Paranoia, Weltauf- und -untergangsfantasien ab und gibt auch einige autobiografische Details aus der tristen Kindheit preis, die der Sohn blutjunger Eltern in Linz durchlebte: "Außerdem muss ich mich sowieso sputen, ehe der Vater daheim ist. Er sitzt da, beginnt mit Spott, wird laut, brüllt und schlägt auf einmal auf mich ein. Die Mutter versucht dazwischenzugehen. Ha! Ich stürze unglücklich und reiße unglücklich das Schuhkastl mit. Mehr brauche ich nicht. Er hat es angeblich selbst gemacht, aber wie?, frage ich mich, mit dem Finger auf der Landkarte?, während die Lippen platzen und ein Auge sich schließt. Die Mutter legt mir das Brotmesser auf und spart nicht mit dem immer bereiten Cibazol. In der Schule soll man nicht so viel merken." (Glück 2007, 199)

Biografisch ist Glücks Schreiben ansonsten vor allem in dem ganz basalen und banalen Sinne, dass die ihn umgebende Realität das Material bereitstellt, das zitiert, collagiert, ein- und umgearbeitet wird. Das mögen Fetzen aus einem aufgeschnappten Gespräch oder Sätze aus dem Magazin Spektrum der Wissenschaft sein, das sind aber naheliegenderweise vor allem Elemente aus einem rigide eingehaltenen Arbeitsalltag, der - von Lesen und Musikhören ergänzt - mit Malen und Schreiben ausgefüllt ist: "Es ist für mich derselbe Vorgang. Allerdings hat es doch einen großen Unterschied: Bei langem, stundenlangem Schreiben werde ich bedrückter und bedrückter, bei langem Malen erleichterter und erleichterter." (Nüchtern 2007)
Hierbei geht es primär darum, einen gleichsam auf Autopilot gestellten Zustand der Produktivität zu erreichen oder, um es in den Worten des von Glück (neben anderen amerikanischen Musikern wie Charles Ives oder Conlon Nancarrow) verehrten Frank Zappa zu sagen: "to put a motor in yourself." Die Inbetriebnahme und das Am-Laufen-Halten dieses Motors werden selbst zum Thema; der angestrebte Zustand, im künstlerischen Akt gleichsam abwesend präsent zu sein, wird auch von den aphoristisch-gewitzten Titeln Glücks (ich meine was ich tu, 1993; ich kann mich nur an jetzt erinnern, 1998 u. a.) herbeizitiert oder als Wahrnehmungs- und Produktionsprogramm formuliert: "Ich weiß zwar noch nicht, was ich gleich sagen werde, ich weiß aber, daß ich nicht mehr schweigen will / Etwas ist da / Ich werde mich, sozusagen aus dem Stand und aus mir heraus, kopfüber in es stürzen" (Glück 1998, 6).
Der Gestus des Kopfüber-rein,-dann-aber-auch-wieder-raus-und-woandershin-Stürzens ist typisch für die oft radikal verknappten, aber mit ‚Action‘ vollgepackten, zwischen Apokalypse und Erlösung, Untergang und Davonkommen changierenden Prosapakete Glücks, deren Vorliebe fürs (vermeintliche) Oxymoron oft schon im Titel zum Ausdruck kommt - etwa in rastlose lethargie: "saurer regen trommelte schwer auf die barackendächer. Ein tier schleppte sich durchs lager und stieß im eifer der umstände einen mann um. Worte wurden gewechselt und schläge ausgetauscht. Seien wir froh, daß wir nicht dabei waren" (Glück 2005, s. p.)

Glück erhielt u. a. den OÖ. Landeskulturpreis für Literatur (1996), den Österreichischen Förderungspreis für Literatur (1997), den Heimrad-Bäcker-Preis (2004), den Preis der Literaturhäuser (2008) und den Oskar-Pastior-Preis (2016).

Klaus Nüchtern

stumm. Linz 1977. - ich meine was ich tu. Graz, Wien 1993. - eiserne mimosen. Graz, Wien 1996. - ich kann mich nur an jetzt erinnern. Graz, Wien 1998. - innerhalb des gefrierpunkts. Graz, Wien 2003. - rastlose lethargie. dem leben liegt es, immer wieder in gefängnisse zu entkommen. Wien 2005. - Die Maske hinter dem Gesicht. Salzburg, Wien 2007. - Schatten abtatsten. Salzburg, Wien 2009. - Gemeinsam üben. Klagenfurt, Graz 2012.

Baum, Peter (Hg.): Anselm F. Glück. die augen sehen der reihe nach. Katalog der Neuen Galerie der Stadt Linz. Linz 1989. - Eder, Thomas (Hg.): Porträt anselm glück (= Die Rampe 2015, H. 3; enth. ausführliche Bibliografie). - Nüchtern, Klaus: Zeichnen ohne Gummi. In: Falter 3/2006, 59. - Ders.: Ich kann mich nur an jetzt erinnern. Ö1 Tonspuren (Erstausstrahlung: 9.2.2007). - Scholl, Sabine: ich spreche über anselm glück und die bilder und den verstand. In: Christine Rigler und Klaus zeyringer (Hg.): Kunst und Überschreitung. Vier Jahrzehnte Interdisziplinarität im Forum Stadtpark. Innsbruck, Wien 1999, 222-233.