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Friedrich Achleitner

© Paul Zsolnay Verlag / Lukas Beck

Geb. 23.5.1930 in Schalchen, OÖ.
Einer der namhaftesten österreichischen Architekturkritiker, sein mehrbändiger Führer Österreichische Architektur im 20. Jahrhundert gilt als Standardwerk. Als Schriftsteller gehörte Achleitner der ‚Wiener Gruppe´an, nach einer längeren Pause kehrte er ab 2003 mit mehreren Kurzprosabänden zum literarischen Schreiben zurück.

Friedrich Achleitner ist in dem kleinen Innviertler Ort Schalchen aufgewachsen. Die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs erlebte die Familie (der Vater war Landwirt und Müller) hautnah mit. Nach der Matura ging Achleitner nach Wien und studierte dort von 1950-53 Architektur bei Clemens Holzmeister (1886-1983); anschließend arbeitete er als freischaffender Architekt in einer Arbeitsgemeinschaft mit Johann Georg Gsteu (geb. 1927). 1958 beendete er seine Tätigkeiten in der praktischen Architektur und schloss sich als Schriftsteller der ‚Wiener Gruppe‛ an, einer der wichtigsten österreichischen Avantgardebewegungen, der neben Achleitner der etwas ältere H.C. Artmann (1921-2000) sowie Konrad Bayer (1932-1964), Gerhard Rühm (geb. 1930) und Oswald Wiener (geb. 1935) angehörten. Innerhalb der Gruppe, die bis zum Freitod Bayers nach außen geschlossen auftrat, fiel Achleitner mit seinen Dialektdichtungen auf. Eines seiner "obdeannsa" (Gedichte in Innviertler Mundart) zeigt, zu welch reduzierten Formen er es dabei gebracht hat: "schau schau / da fraonz // da fraonz / schau schau // schau schau / da fraonz // da fraonz / schau schau // schau schau / da fraonz / schau schau".

Gemeinsam mit Artmann und Rühm war Achleitner an dem für die moderne Dialektdichtung wegweisenden Sammelband hosn rosn baa (1959) beteiligt, der, auch was Artmanns Gedichte betrifft, viel radikaler ist als der berühmtere Band Artmanns med ana schwoazzn dintn (1958). Innerhalb der Wiener Gruppe war Achleitner aber nicht nur mit seinen Dialektgedichten präsent, sondern auch als einer der Hauptakteure des "literarischen cabarets", in dem literarische Texte und Szenen auf der Bühne aufgeführt und damit "poetische acte" im Sinne H.C. Artmanns gesetzt wurden. Mit den übrigen Mitgliedern der Gruppe stand Achleitner in intensivstem Kontakt; in schriftlichen Dokumenten der Zeit taucht sein Name verlässlich dann auf, wenn es um Versuche einer Selbstinstitutionalisierung geht.

Achleitners eigene literarische Produktion, die (was mit seiner Ausbildung zum Architekten zusammenhängt) in hohem Maß konstruktive Züge trägt, wird, wenn es um die Wiener Gruppe geht, oft erst im zweiten oder dritten Atemzug genannt. 1970 erschien bei Rowohlt ein umfänglicher Sammelband unter dem Titel prosa, konstellationen, montagen, dialektgedichte, studien. Ein Druckfehler, den Achleitner in den Fahnen gerade noch entdeckte, ist für den Umgang mit ihm und mit seiner Literatur symptomatisch. Einem seiner wichtigsten Montagetexte hatte man anstelle von "vorbereitungen für eine hinrichtung" den Titel "vorbereitungen für eine einrichtung" gegeben. Innenarchitektonische Entscheidungsfragen schienen dem Lektorat, und sei es auch unbewusst, offensichtlich besser zum Autor zu passen als ein explizit politischer Text wie der genannte. Ein Text, auf den immer wieder hingewiesen wird, wenn vom frühen Achleitner die Rede ist, ist "die gute suppe". Das Sprachmaterial dazu hat Achleitner einer Deutschfibel für amerikanische Besatzungssoldaten entnommen; aus dieser Quelle heraus gewinnt "die gute suppe" dann auch ihren spezifischen Tonfall.
"Wie quadratisch kann ein Roman sein?" Diese Frage stellte der österreichische Literaturwissenschafter Wendelin Schmidt-Dengler. Achleitners quadratroman (1973) zeigt, dass die Antwort leicht fällt: Ein Roman kann beinahe ganz quadratisch sein, im Druck exakt zehn Komma null mal neun Komma acht Zentimeter. Gerade aber weil die einzelnen Textquadrate nicht quadratisch sind, schaut der quadratroman quadratisch aus. Dass er es nicht ist, gibt der Autor allen, die sein Buch nicht nur angeschaut, sondern bis zur letzten Seite gelesen haben, im abschließenden Textquadrat zu verstehen. Denn eigentlich, so schreibt er in das Quadrat hinein, das keines ist, müsste sein Roman "rechteckroman" heißen, aber das wäre kein guter Titel. Für potenzielle Nachfolger, die Achleitner in seinem Text explizit auf den Plan ruft, wird es schwer. Denn obwohl der quadratroman keiner ist, scheint der Titel ein für alle mal besetzt, auch diese eine typisch Schreibstrategie des Autors.

Bereits im Jahr 1962 hatte Achleitner begonnen, für die österreichische Tageszeitung Die Presse Architekturkritiken zu verfassen. Mit diesen Beiträgen, in denen er sich unter anderem gegen die Zerstörung alter Bausubstanz und gegen die innerstädtische Bebauungsverdichtung durch Hochhäuser wandte (ein späterer Sammelband trägt den Titel Nieder mit Fischer von Erlach), wurde Achleitners Name zu einem Markenzeichen. Von 1963-83 lehrte er an der Akademie der bildenden Künste Geschichte der Baukonstruktion, 1983 wurde er ebenfalls in Wien Vorstand der Lehrkanzel für Geschichte und Theorie der Architektur an der Universität für angewandte Kunst. Ganze 45 Jahre lang, von 1965 bis 2010 arbeitete er an seinem Hauptwerk Österreichischen Architektur im 20. Jahrhundert, einem Führer in vier Bänden, von denen bis 2010 drei erschienen sind. Der letzte Band über Niederösterreich müsse nun von wohl von Jüngeren erstellt werden, hat Achleitner gesagt.
Für seinen Führer zur österreichischen Architektur sammelte er jahrzehntelang Material und besichtigte jedes darin beschriebene Bauwerk selbst. Entstanden ist so ein weltweit einzigartiges Privatarchiv, das heute im Architekturzentrum Wien verwahrt wird. Berühmt wurde Achleitner vor allem auch für die pointierte und hochpräzise Art seiner architektonischen Beschreibungen. Etwas von jener Prägnanz haben auch die literarischen Prosaminiaturen, die Achleitner seit seiner Emeritierung (1998) zunächst für die Tageszeitung Der Standard und seit 2003 Band für Band im Wiener Zsolnay Verlag vorlegt. Ganz nahe dran zu sein, nämlich die Räume am eigenen Körper erlebt zu haben, und auf sie doch auch einen distanzierten und bisweilen humorvollen Blick werfen zu können, schließt sich in Achleitners Texten nicht aus.

Preise: 1957 Theodor Körner-Preis (mit Johann Georg Gsteu); 1980 Preis für Architekturpublizistik der Österreichischen Gesellschaft für Architektur; 1983 Camillo-Sitte-Preis; 1984 Österreichischer Staatspreis für Kulturpublizistik; 1990 Preis der Stadt Wien für Publizistik; 1995 Kulturpreis des Landes Oberösterreich für Architektur, Ehrenmedaille der Bundeshauptstadt Wien in Gold; 1999 Preis des Architekturmuseums Basel; 2002 Goldenes Ehrenzeichen für Verdienste um das Land Wien; 2004 Mauriz-Balzarek-Preis; 2007 Preis der Stadt Wien für Literatur; 2008 Schelling-Preis für Architekturtheorie, Heinrich-Gleißner-Preis.

Klaus Kastberger

[zus. mit H.C. Artmann und Gerhard Rühm:] hosn rosn baa. Dialektgedichte. Wien 1959. - prosa, konstellationen, montagen. dialektgedichte, studien. Reinbek 1970. - quadratroman. Darmstadt, Neuwied 1973. - [zus. mit Gerhard Rühm:] Super Rekord 50 + 50. Linz 1980. - Die Plotteggs kommen. Wien 1995. -  einschlafgeschichten. Wien 2003. - wiener linien. Wien 2004. - und oder oder und. Wien 2006. - der springende punkt. Wien 2009. - iwahaubbd. Dialektgedichte. Wien 2011. - wortgesindel. Wien 2015.

Hainz, Martin A.: »do schraib i fai nix nai«. Architektur, Sprache und Möglichkeit bei Friedrich Achleitner. In: Roman Kopriva und Jaroslav Kovác (Hg.): Kunst und Musik in der Literatur. Ästhetische Wechselbeziehungen in der österreichischen Literatur der Gegenwart. Wien 2005, 73-99. - Kastberger, Klaus: Vorbereitungen für eine Einrichtung. Friedrich Achleitner zum 80igen Geburtstag. In: Der Hammer. Die Zeitung der Alten Schmiede, Nr. 47, 02/2011, 2-5. - Schmidt-Dengler, Wendelin: Wie quadratisch kann ein Roman sein? Die literarischen Genres und ihre Mutationen in den Texten der Wiener Gruppe. In: Thomas Eder und Juliane Vogel (Hg.): verschiedene sätze treten auf. Die Wiener Gruppe in Aktion. Wien 2008, 210-224.