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Stillere Heimat / Facetten

Die ersten Ausgaben; Foto: Otto Saxinger; © Adalbert-Stifter-Institut / StifterHaus

Das unter dem Titel Stillere Heimat 1940 vom Kulturamt der Stadt Linz gegründete, 1952 wieder aufgenommene und 1970 in Facetten umbenannte literarische Jahrbuch der Stadt Linz präsentiert vornehmlich Texte oberösterreichischer und insbesondere Linzer Autorinnen und Autoren.

"[D]er Kreis der Autoren war von Anfang an gegeben durch die (inneren) Grenzen unseres Landes, durch die Verbundenheit der Autoren mit Linz und Oberösterreich, und durch das Prinzip der Auswahl, das weder auf Richtungen, Weltanschauungen oder Generationen, sondern allein auf die Qualität der Beiträge achtet" (FA 1970, 236). Diese mehr oder weniger vage Programmatik bestimmt das literarische Jahrbuch der Stadt Linz in der Gesamtheit seines Erscheinens.

Bereits 1940, als die Stillere Heimat erstmals erschien, war "vom dichterischen Schaffen dieses Gaues [Oberdonau] ein Bild [zu] geben" (SH 1940, 7), die ideologische Freiheit wie die qualitative Auslese jedoch eingeschränkt. Die Gründung war Teil der Bemühungen, dem ‚Geburtsgau‘ Adolf Hitlers auch auf kulturellem Gebiet eine Vorzeigeposition einzubringen. Treibende Kraft war der Kulturamtsleiter August Zöhrer. Die Textauswahl besorgte eine Jury aus dem städtischen Kulturbetrieb, u. a. repräsentiert durch den Stadtrat Othmar Heide, den Schrifttumsbeauftragten Karl Kleinschmidt (1913-1984) und Hanns Kreczi als Mitarbeiter von Stadtarchiv und -bibliothek. Fünf Bände wurden vorbereitet; der für 1944 geplante fünfte und vorläufig letzte Jahrgang wurde allerdings erst 1945 fertiggestellt und vom Kulturamt nicht mehr regulär ausgeliefert.
48 Autoren versammelten sich in diesen Kriegsanthologien, einige Bekenntnisbuch-Beiträger, andere als regionale NS-Dichter bekannt. Durchgehend waren u. a. Karl Emmerich Baumgärtel (1887-1958), Erna Blaas, Arthur Fischer-Colbrie, Alexander Lernet-Holenia, Karl August Stöger (1905-1989), Carl Hans Watzinger (1908-1994), Hans Watzlik (1879-1948) und Julius Zerzer vertreten, verstreut schienen auch Richard Billinger, Linus Kefer (1909-2001), Hermann Heinz Ortner und Franz Tumler auf. Dem nationalsozialistischen Diktum weitgehend angepasst, bestimmten die Themen Krieg, Natur- und Heimatverbundenheit die Jahrbücher. Unmittelbare Anbetungen wie Rudolf Witzanys (1911-1945) Wir hören den Führer (SH 1940, 149) blieben zwar eher die Ausnahme, tendenziöse Beiträge wie Das Geistesleben in seiner volksbiologischen Bedeutung (SH 1942, 9-30) waren aber integrativer Bestandteil, wovon auch die Kurzbiografien am Ende der Bände Zeugnis ablegen, die detailliert auf Fronteinsätze oder regimeverbundene (Kultur-) Auszeichnungen hinweisen.

Nach den Jahren des Wiederaufbaus wurde das literarische Jahrbuch 1952 erneut ins Leben gerufen. Am Konzept, dass die Stadt Linz bzw. das zuständige Kulturamt biografisch mit Oberösterreich verbundene Autoren zur Mitarbeit - gegen Honorar - einlädt und nach Auswahl einer Jury einen möglichst vielseitigen Jahresquerschnitt des literarischen Schaffens präsentiert, wurde nichts geändert. Mit der Beibehaltung des Titels und dem Hinweis, dass der Almanach "wieder zu einer ständigen Einrichtung" (SH 1952, 239) werden sollte, wurde jedenfalls eine zwielichtige Brücke zu den Vorgängerbänden geschlagen, die sich auch nominell abbildete. Von den Beiträgern der Jahrgänge 1940 bis 1944/45 fanden 19 in den Folgen ab 1952 Eingang, allein im ersten Band zählt man unter 37 Autoren 15 ‚Gaubeiträger‘. Mit Kreczi (zunächst als Kulturamtsleiter, dann Kulturverwaltungsdirektor) und Kleinschmidt (als Leiter des literarischen Referates bis 1974 verantwortlich für das Jahrbuch) blieb selbst organisatorisch Kontinuität gewahrt. Die fehlende Abgrenzung zur Vergangenheit wurde von Bürgermeister Ernst Koref diplomatisch legitimiert, indem prinzipiell "jede religiöse und politische Weltanschauung gleichberechtigt" (ebd., 239) sein sollte. In diesem Sinne gestreut erschien so auch die Zusammensetzung der Jury bis 1969, der neben Kleinschmidt ohne strenges Rotationsprinzip abwechselnd Herbert Lange (1908-1971), Franz Pühringer, Hermann Friedl, Linus Kefer, Franz Kain und Franz Rieger angehörten.
Die in den Vor- bzw. Nachworten - bis in die Gegenwart jeweils vom amtierenden Bürgermeister gezeichnet - programmatisch stets wiederholte ‚Offenheit in alle Richtungen‘ ließ antimodernistisch-traditionalistische Autoren wie Billinger, Fischer-Colbrie oder Franz Karl Ginzkey zu, bemühte sich aber gleichzeitig um die Förderung des literarischen Nachwuchses und aufstrebender (Jung-)Talente. Ilse Aichinger beispielsweise war regelmäßig mit Erzählungen vertreten ebenso wie Marlen Haushofer, die 1963 zudem Auszüge aus ihrem Roman Die Wand vorlegte, Thomas Bernhard war 1955-62, noch vor seinen Prosaerfolgen, mehrmals als Lyriker präsent. Unter den rund 150 Beiträgern zwischen 1952 und 1969 regelmäßig vertreten waren mit Lyrik, Kurzprosa, Auszügen aus Langprosa und verschiedenen szenischen Formen - auch Hör- und Fernsehspielen - u. a. Dora Dunkl, Herbert Eisenreich (1925-1986), Kurt Klinger, Doris Mühringer (1920-2009), Traude Maria Seidelmann (geb. 1920), Josef Luitpold Stern (1886-1966) und Karl Wiesinger.

Nachdem die Stillere Heimat mitunter langsam, aber stetig (literarische) Anpassungen vorgenommen hatte, wurde 1970 ein zeitgemäßer Titel gefunden. Bei Facetten sollte man "an die Flächen eines Kristalls denken und daß sie seine Gestalt bestimmen, an Lichtbrechung, Spiegelung und Transparenz" (FA 1970, 236). Abgesehen von einer Layoutanpassung kam es inhaltlich und konzeptionell zu keinen wesentlichen Änderungen. Die angekündigte Reduktion der Beiträgerzahl zugunsten längerer Beiträge wurde nur kurze Zeit verfolgt. Zuweilen wurden jahrgangsspezifische Akzente gesetzt, etwa durch die Aufnahme preisgekrönter Texte des Ernst Koref-Preises (z. B. Lyrik 1970, Hörspiel und Kurzdramatik 1975). Das Thema Arbeit fand 1976 und 1978 infolge von Wettbewerben der oberösterreichischen Arbeiterkammer Eingang. Eigeninitiative zeigten die Facetten zwischen 1977 und 1984 mit der Rubrik "Reflexe", die "Kennwort für das, was gesellschaftlich zur Sprache kommt" (FA 1977, 224), sein sollte. Ihre Debüts gaben hier u. a. Reinhold Aumaier,  Hans Eichhorn, Hansjörg Zauner und Walter Pilar, einer der beständigsten und universellsten Beiträger.

Von 1940 bis in die Gegenwart (2012) wurden Texte von rund 600 Beiträgern publiziert und dabei kaum ein oberösterreichischer Autor außer Acht gelassen. Manche nutzten das Periodikum nur in ihren jungen Jahren, andere blieben über Jahre und teils Jahrzehnte hinaus dabei. Eine explizite Vorreiterrolle ist dem Jahrbuch zwar kaum einzuräumen, zeitgemäße Strömungen und Tendenzen wurden aber wahrgenommen. Beispielhaft dafür steht Heimrad Bäckers Präsenz, der von 1952 bis 1954 mit teilweise ideologiekritischen, insgesamt postexpressionistisch orientierten Gedichten aufscheint, ehe er 1973 Konkrete Dichtung (FA 1973, 73-75) erklärt und damit gewissermaßen der Avantgarde- und Experimentalliteratur den Weg ebnet (etwa Fritz Lichtenauer, geb. 1946, und Waltraud Seidlhofer). Das Spektrum der Facetten ist thematisch wie in der Darbietungsform vielfältig und reicht von regional akzentuierten Texten über (sozial-)kritische Beiträge bis hin zu sprach- und formorientierten Darbietungen. Als Facetten-Debütanten sind exemplarisch etwa Peter Assmann (geb. 1963), Leopold Federmair, Franzobel, Erich Hackl, Christoph Janacs (geb. 1955), Andreas Jungwirth, Peter Landerl (geb. 1974), Christian Loidl (1957-2001), Florian Neuner, Christian Steinbacher und Richard Wall (geb. 1953) zu nennen.
Neben den literarischen Beiträgen hatten auch jene bildender Künstler, die bereits in die Kriegsalmanache (u. a. Alfred Kubin) eingebunden waren, wesentlichen Anteil an der Gestaltung. Abgesehen von 1962 bis 1969 wurden kontinuierlich Werkproben eines Künstlers pro Jahrgang präsentiert, z. B. Eva Bosch (geb. 1941), Alfred Hrdlicka (1928-2009), Horst M. Jaritz (geb. 1960) und Edith Stauber (geb. 1968).

Mitbedingt durch die städtische Verantwortung waren die Facetten organisatorisch beständig. Nach Kleinschmidts Pensionierung wurde die Koordination an Gerold Maar (1975-1985) übertragen. Spätere Verantwortliche waren Peter Kraft (1986-1995) und Peter Leisch (seit 1996). Auch die Jurymitglieder erreichten oft über zehnjährige ‚Amtszeiten‘, etwa Friedrich Buchmayr (geb. 1959), Hans Hamberger (1922-2003), Jutta Skokan (geb. 1943) oder Friedrich Ch. Zauner. Erst seit 2012 wird die Auswahl der Facetten-Beiträge von einem für zwei Jahre bestellten Alleinjuror bzw. Mitherausgeber getroffen. 2012/13 ist Franz Schuh (geb. 1947) dafür verantwortlich.
Nach mehreren Verlagswechseln (u. a. Residenz und Jugend & Volk) erscheinen die Facetten seit 1997 kontinuierlich im Verlag Bibliothek der Provinz. - Das Jahrbuch ist mit Höhen und Tiefen - seit 1975 mit der Rampe - integrativer Bestandteil einer oberösterreichischen Literaturgeschichte, oder mit den Worten des Linzer Bürgermeisters Franz Dobusch formuliert: "Die Facetten kann man [...] durchaus auch als ein Literaturarchiv betrachten, dessen Schätze oft erst aus zeitlichem Abstand entdeckt und neu bewertet werden können" (FA 2011, 7).

Tanja Gausterer

 

Stillere Heimat. 1940-1944, 1952-1969 (= SH). - Facetten. 1970ff. (= FA).

Aigner, Karl: Die Facetten - ein Modell zur Produktion von Literatur. In: Historisches Jahrbuch der Stadt Linz 1983. Hg. vom Archiv der Stadt Linz. Linz 1985, 245-285. - Kirchmayr, Birgit: Stillere Heimat, Facetten und Rampe. Literaturzeitschriften als Raum für lokale Literatur. In: Dies.: Kultur- und Freizeiträume in Linz im 20. Jahrhundert. Linz 2008, 160-164. - Kreczi, Hanns: Stillere Heimat. Das Dichterbuch der Stadt Linz. Sonderdruck aus Oberösterreichische Nachrichten [Linz 1952]. - Ders.: Städtische Kulturarbeit in Linz. Ein geschichtlicher Überblick anläßlich des 40jährigen Bestandes des Kulturamtes der Stadt Linz. Linz 1959. - Schwaiger, Jörg: Das literarische Jahrbuch Stillere Heimat. Dipl.-Arb. Universität Graz 2006.