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Montag, 11. Oktober 2021 - 19:30
Grundbücher der österreichischen Literatur seit 1945

Heimrad Bäcker: nachschrift (1976, edition neue texte; nachschrift 2, 1997, Literaturverlag Droschl)

Lesung und Kommentar: Franz Josef Czernin; Referat: Klaus Zeyringer; Moderation: Klaus Kastberger

Friedrich Achleitner sein Nachwort zum ersten der beiden „nachschrift“-Bände, erschienen 1986. Ihr Autor Heimrad Bäcker habe ein an sich aussichtloses dichterisches Unterfangen in Angriff genommen, da die „Totalität der nationalsozialistischen Tötungsmaschinerie, die zynische Dialektik von pervertierter Ethik und Vernichtung, Hygiene und Bestialität weder beschreibbar noch darstellbar“ sei.
Heimrad Bäcker geht nachvollziehbar zu den Quellen und ordnet sie an. Jedes Zeichen ist überprüfbares Material. Es genüge, erläutert er, „bei der Sprache zu bleiben, die in den Dokumenten aufbewahrt ist“. Das schaffe einen „Zusammenfall von Dokument und Entsetzen, Statistik und Grauen“. Die adäquate Sprache sei genau jene des Schreckens. In ihren Wörtern und Worten steckt die Wirklichkeit des Holocaust, diese Sprache ist ein Werkzeug der Enthumanisierung.
Im Nachschreiben entsteht eine eigene Form. Sie vermag sichtbar, lesbar zu machen, was das System Auschwitz birgt, verbirgt. Es lässt sich nicht in der Totalität der totalen Unmenschlichkeit fassen, sondern mittels der aus der Totalität herausgebrochenen Stücke. Die Literarizität des Systems Nachschrift legt die Ordnungen des Systems Auschwitz offen. Victor Klemperer hat die Sprache des Dritten Reiches analysiert, Heimrad Bäcker zeigt sie am Werk. Seine zwei Bände „nachschrift“ sind ein immenses poetisches Werk über die Monumentalität des Grauens. Es ist ein singuläres, höchst beeindruckendes Werk österreichischer Literatur, laut Friedrich Achleitner ein „Hauptwerk Konkreter Poesie“.
(Klaus Zeyringer)

HEIMRAD BÄCKER, geboren 1925 in Wien, gestorben 2003. Studium der Philosophie, Soziologie und Völkerkunde in Graz und Wien, 1993 Dissertation über Karl Jaspers. Gründete in Linz 1968 die Zeitschrift „neue texte“, 1976 die gleichnamige Verlagsedition. Weitere Bücher (u.a.): „REFERENDUM“ (1988); „EPITAPH“ (1989); „Gedichte und Texte. Eine Auswahl aus dem Werk“ (1992); „Gehen wir wirklich in den Tod?“ (1995).

FRANZ JOSEF CZERNIN, geboren 1952, lebt in der Steiermark und in Wien. Gedichte (u.a. mehrere Sonett-Sammlungen), literaturkritische Schriften und Aphorismen. Zuletzt u.a.: „Das andere Schloss“ und „Der goldene Schlüssel und andere Verwandlungen“ (beide 2018).

KLAUS ZEYRINGER, geboren 1953, lebt in Pöllau und München. Literaturwissenschaftler und -kritiker, universitäre Lehre in Frankreich. Publikationen (u.a.): „Österreichische Literatur seit 1945“ (1999/2008); „Eine Literaturgeschichte: Österreich seit 1650“ (mit H. Gollner, 2012).