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Dienstag, 14. November 2023 - 19:30
Grundbücher der österreichischen Literatur seit 1945

NORBERT GSTREIN: Der zweite Jakob. Roman (Hanser Literaturverlage, 2021)

Lesung mit dem Autor

Referat: CARSTEN OTTE

Moderation: KLAUS KASTBERGER

Ein Gemeinschaftsprojekt der Alten Schmiede, Wien,

des StifterHauses, Linz, und des Literaturhauses Graz

Der 1961 in Tirol geborene und heute in Hamburg lebende Schriftsteller Norbert Gstrein ist ein eleganter und anspruchsvoller Stilist: Seine Sätze können sich über halbe Seiten erstrecken, dennoch sind sie klar und präzise. Er ist ein Meister der „langen Oder-Sequenzen“, weil er einfachen Wahrheiten misstraut, weil seine schriftstellerische Passion auch darin besteht, die meinungsstark auftretenden Erzählinstanzen zu demontieren. Gstrein ist ein intellektueller, dabei humorvoller und zugleich sinnlicher Autor, der zwischenmenschliche Untiefen mit gesellschaftlichen Fragestellungen zu verbinden weiß. In seinen vielgelobten Romanen „Die kommenden Jahre“ und „Als ich jung war“ geht es um Identitäts- und Ehekrisen, aber auch um politische Herausforderungen wie etwa die Migrations- und Klimamisere. Das alles wird mit Fingerspitzengefühl erzählt, ohne die Widersprüche und Verlogenheiten in diesen Diskursfeldern auszusparen. Zentral in Gstreins Werk aber ist sein Roman „Der zweite Jakob“, weil es hier nicht nur um ein wichtiges Thema, nämlich ums würdige Älterwerden, sondern auch und vor allem um Kernfragen zeitgenössischer Literatur geht: Wie lässt sich eine Biografie ohne Larmoyanz erzählen, wie verhalten sich Erzähler-Ich und Ich-Erzähler zueinander und welchen Wahrheitsgehalt kann Prosa reklamieren, die sich nicht zwischen „Authentizitäts- und Fiktionalitätsbehauptung“ entscheiden möchte? Mit „Der zweite Jakob“ kehrt Gstrein auch zu seinen literarischen Anfängen, nämlich seiner Erzählung „Einer“ und damit zu einer Tiroler Kindheit zurück, die vom Hotel- und Skibetrieb der Eltern, vom rücksichtslosen Willen zum wirtschaftlichen Erfolg und vom Ausschluss unberechenbarer Lebensläufe geprägt war. Oder handelt es sich hierbei doch eher um Projektionen im literarischen Rückspiegel? (Carsten Otte)

NORBERT GSTREIN, geboren 1961 in Tirol, erhielt u.a. den Alfred-Döblin-Preis, den Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung, den Uwe-Johnson-Preis, den Österreichischen Buchpreis, den Düsseldorfer Literaturpreis und den Thomas-Mann-Preis. Publikationen u.a. „Einer“, Erzählung, 1988; „O2“, Novellen, 1993; „Die englischen Jahre“, Roman, 1999; „Die Winter im Süden“, Roman, 2008; „Die ganze Wahrheit“, Roman, 2010; „Eine Ahnung vom Anfang“, Roman, 2013; „In der freien Welt“, Roman, 2016; „Die kommenden Jahre“, Roman, 2018; „Als ich jung war“, Roman, 2019; „Vier Tage, drei Nächte“, Roman, 2022, und „Mehr als nur ein Fremder“, 2023.

CARSTEN OTTE, geboren 1972 in Bad Godesberg, studierte Philosophie in Berlin und arbeitet heute als SWR Literaturkritiker in Baden-Baden. Er moderiert Lesungen auf vielen Bühnen im deutschsprachigen Raum und bespricht sowohl Prosa als auch Lyrik unter anderem in „Der Tagesspiegel“, „taz“, „Die Presse“ und „Zeit Online“.