Zum Werk Adalbert Stifters
Die Hauptwerke
- Studien (darin u.a. Das Heidedorf, Der Hochwald, Die Mappe meines Urgroßvaters)
- Bunte Steine (mit der Vorrede vom „sanften Gesetz“, Granit, Kalkstein, Bergkristall u.a.)
- Der Nachsommer (Bildungsroman)
- Witiko (historisches Prosaepos)
Adalbert Stifter gehört heute zu den historischen Größen der österreichischen Literatur, und betrachtet man die Übersetzungen in viele Weltsprachen, kann man ihn ohne weiters als Autor der Weltliteratur bezeichnen. Stifter ist lange Zeit als böhmisch-österreichischer Heimatschriftsteller angesehen worden, als biedermeierlicher Naturschilderer und Idylliker, als Erbauungsschriftsteller und Harmonisierer.
Erst spätere Generationen haben in ihm den vielschichtigen, ja abgründigen Künstler wahrgenommen, dem Kunst und Ästhetik nicht nur als wesentliche Bildungsmittel für die Humanisierung der Menschenwelt, sondern als sublimative Bewältigungsstrategien krisenhafter Welt- und Existenzerfahrung dienten.
Thomas Mann faßte 1949 seine Eindrücke der erneuten Stifter-Lektüre in einem markanten Satz zusammen: „Stifter ist einer der merkwürdigsten, hintergründigsten, heimlich kühnsten und wunderlich packendsten Erzähler der Weltliteratur, kritisch viel zu wenig ergründet.“
Bereits lange vor Thomas Mann hat Friedrich Nietzsche auf die hohe Qualität von Stifters Prosa aufmerksam gemacht, dem folgte erst viel später, insbesondere nach den beiden Weltkriegen, eine weiterreichende Neubewertung Stifters. Das Mißverständnis vom bloßen Heimatdichter hängt mit der genuinen Landschaftsdarstellung Stifters zusammen: Seine Lebenslandschaften – der Böhmerwald, die Haupt- und Residenzstadt Wien und das oberösterreichische Land vom Mühlviertel über das Alpenvorland bis zum Salzkammergut wurden seine hauptsächlichen Literaturlandschaften.
Aus der biographischen Entfernung von seiner Heimat in seiner Wiener Zeit schrieb Stifter die Erzählungen der „Studien“, in denen er in anschaulichen Bildern von der fernen Landschaft seiner Herkunftswelt von problematischen Schicksalen, scheiternden Künstlern oder labilen Menschen, die seelisch zugrunde gehen oder gerade noch gut davonkommen, erzählt. Mit den „Studien“, darin etliche Böhmerwald-Erzählungen wie „Das Heidedorf“, „Der Hochwald“, „Die Mappe meines Urgroßvaters“ u. a. wurde Stifter als Schriftsteller berühmt.
Die Hauptwerke seiner Linzer Jahre, wo er als Landesschulinspektor eine pädagogisch wichtige Funktion hatte, nach der Revolution von 1848/49, waren auf ästhetisch-ethische Bildung und Erziehung ausgerichtet: Die Erzählung der „Bunten Steine“ mit der berühmten „Vorrede“ vom „sanften Gesetz“ und Meistererzählungen wie „Granit“, „Kalkstein“ und „Bergkristall“ handeln von der Errettung von Kindern aus elementaren Gefahren, oft unterlegt mit merkwürdigen, z.T. tragischen Vorgeschichten.
Der Bildungsroman „Der Nachsommer“ stellt ein Kompendium ästhetisch- kultureller Lebensformen in einem utopisch anmutenden Bezirk dar, und sein großes historisches Prosaepos „Witiko“ erscheint als idealtypisches Gegenbild zum einsetzenden Nationalitätenkonflikt in Böhmen, der Geschichtsroman von Anfang der mittelalterlichen Herrschaft der Witigonen in Südböhmen ist als „Zeitroman“ intendiert.
Adalbert Stifters Kunst wird heute von österreichischen und deutschen Gegenwartsautoren, auch bei mancher kontroversiellen Kritik, in ihrer ästhetisch – sprachlichen Qualität reflektiert und oft bewundernd anerkannt. Letzteres belegen Beispiele wie Peter Handke, Peter Rosei oder Julian Schutting, aber auch Autoren wie Hermann Lenz und der Schweizer E. Y. Meyer, die sich mit Stifter in positiver Weise, z. T. wie mit einem Vorbild, auseinandersetzen.
(Aus: Johann Lachinger, Adalbert Stifter. Eine Region wird ein Stück Weltliteratur)