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Erweiterte Christherre-Chronik

Manuskriptseite, Hs. 472, 40v.; © OÖ. Landesbibliothek, Linz

Mitte des 14. Jh. entstandene, (vermutlich) oberösterreichisch-salzburgische Neufassung der sogenannten Christherre-Chronik, einer in Thüringen Mitte des 13. Jh. in deutschen Reimpaarversen abgefassten, ebenfalls anonymen Weltchronik.

Von den drei mittelbairischen Textzeugen der Erweiterten Christherre-Chronik befanden sich die Linzer Handschrift (Bundesstaatliche Studienbibliothek, Cod. 472, letztes Viertel 14. Jh., aus dem Kloster Gleink) im 15. Jh. im Besitz einer Salzburger Familie aus dem Lungau und der vermutlich nur wenig jüngere Codex Vindobonensis s. n. 2642 im Besitz der Elisabeth Volkersdorfer, der Angehörigen einer oberösterreichischen Adelsfamilie, deren Stammburg zwischen Enns und St. Florian lag. Das in den Illustrationen der beiden Handschriften (z. B. in der Linzer Hs., fol. 161v) auftauchende Wappen der steirischen Landherren von Pernegg von 1398 gibt allerdings einen - keineswegs eindeutigen - Hinweis auf die Steiermark.

Grundlage der Christherre-Chronik war die Weltchronik Rudolfs von Ems (um 1200-1254), der die lateinische Universalchronik in deutschen Versen nachbilden wollte, aber im Jahr 1254 bei Vers 33346 mitten in der Darstellung der Geschichte König Salomos (III Rg 11,43) abbrach, obwohl er die außerbiblische Geschichte der ersten drei Weltzeitalter ohnehin nur in knappen, kompendienhaften Exkursen jeweils am Ende der drei Abschnitte zusammengefasst hatte. Ein anonymer Fortsetzer gelangte noch bis in das 4.Buch derKönige. Die nach den Anfangsworten sogenannte Christherre-Chronik stützte sich außer auf Rudolfs Chronik vor allem auf den lateinischen Text der Bibel und der Historia scholastica des Petrus Comestor (um 1100-1178) und verstärkte den theologischen und enzyklopädischen Charakter, blieb aber ebenfalls mitten in der alttestamentlichen biblischen Geschichte, nämlich schon zu Beginn des Buchs Richter (Idc 1,7) bei Vers 24330 stecken. Über diesen zeitlichen Rahmen gelangte erst Jans von Wien (13. Jh.) in seiner Weltchronik aus den 1270er oder 80er Jahren hinaus, allerdings mit Verzicht auf jede Art von historischer Genauigkeit, Vollständigkeit und heilsgeschichtlicher Perspektivierung. Das war jedoch kein Hinderungsgrund, im 14. Jh. die Torsi der beiden älteren Chroniken auch durch Auszüge aus Jansens Werk fortzusetzen.

In der Erweiterten Christherre-Chronik ist schon ein ziemlich komplexer Kompilationstypus erreicht. Der Versbestand hat sich gegenüber dem der alten Christherre-Chronik mehr als verdoppelt. Den biblischen Büchern Genesis bis Josua liegt eine Mischhandschrift aus der Christherre-Chronik (Fassung Z) und der Weltchronik Jansens von Wien zugrunde. Ab dem Buch Richter dient Rudolfs Weltchronik zur Fortsetzung (ca. 13400 Verse), dann folgen noch selbstgereimte Auszüge aus dem 3. und 4.Buch der Könige. Schließlich hat dieser Redaktor noch weitere von Jans stammende Partien (v. a. aus der Nacherzählung des 1. Buch Mose) und eine Trojanerkrieg-Kompilation (11500 Verse) eingearbeitet, welche allerdings ihrerseits zum ganz überwiegenden Teil auf dem Trojanerkrieg Konrads von Würzburg (um 1220/30-1287) beruht.
Als wichtigstes Gliederungsprinzip hat der Redaktor offenbar die sechs Weltalter gesehen, an deren Ende jedoch nicht die gleichzeitigen profangeschichtlichen Ereignisse ("Inzidentien") eingereiht, sondern diese stets an ihren chronologischen Ort versetzt. Von sich aus hat er immer nur ein paar hundert eigene Verse zwischen die übernommenen kompilierten geschoben, am meisten, nämlich rund 1670 Verse, am Ende des Werkes (nach der Biblia Vulgata, 3. und 4.Buch der Könige, bis IV Rg 4,7), wo dann auch sein Torso endet. Dazu greift er auch gelegentlich auf eine deutsche Prosafassung des Buchs der Könige zurück. Die Leistung unseres Kompilators gegenüber den Autoren der drei von ihm benutzten Weltchroniken ist minimal. Doch sie bildet die Grundlage der weitverbreiteten Weltchronik Heinrichs von München aus dem späten 14. Jh.

Fritz Peter Knapp

 

Knapp, Fritz Peter: Die Literatur des Spätmittelalters in den Ländern Österreich, Steiermark, Kärnten, Salzburg und Tirol von 1273 bis 1439, II. Halbband. Graz 2004, 303-307 u. 665f. - Plate, Rudolf: Die Überlieferung der Christherre-Chronik, Wiesbaden 1998. - Studien zur Weltchronik Heinrichs von München, 5 Bde. [mit ausführlichen Textauszügen auch aus der Erweiterten Christherre-Chronik] Wiesbaden 1998 (Bd. 1: Überlieferung, Forschungsbericht, Untersuchungen, Texte. Hg. von Horst Brunner; Bd. 2/1-2/2: Johannes Rettelbach: Von der Erweiterten Christherre-Chronik zur Redaktion α; Bd. 3/1: Dorothea Klein: Text- und überlieferungsgeschichtliche Untersuchungen zur Redaktion β; Bd. 3/2: Dorothea Klein: Die wichtigsten Textfassungen in synoptischer Darstellung). - Rettelbach, Johannes: Erweiterte Christherre-Chronik. In: Verfasserlexikon. KI. Berlin, New York 2004, Sp. 420-423.