Der vollständige Titel des 1802 in der "k. k. priv. akad. Kunst= Musik= und Buchhandlung" (Linz und Leipzig) verlegten Werkes lautet: Robinson der Ober=Oesterreicher oder höchstmerkwürdige Schicksale Johann Georg Peyers aus Urfahr nächst Linz gebürtig, (ehemal. K. K. Dragoner Wachtmeisters bei dem Regimente Prinz Eugen von Savoyen) dessen Gefangennehmung von den Türken, dann zehnjähriger Aufenthalt auf einer damals noch nie besuchten Insel in Amerika und endliche Befreiung von ihm selbst beschrieben.
Johann Georg Peyer, der Ich-Erzähler und Held des Romans, soll 1713 als Sohn eines Webermeisters in Linz-Urfahr das Licht der Welt erblickt haben. Bezeichnend für die ersten Kapitel des Textes, die mehr an Christian Reutters Schelmuffsky (1696/97 - Schlagwort "Grobianismus") erinnern denn an Defoes genrebegründendes Werk, ist Peyers Rückblick auf die Umstände seiner eigenen Geburt, der dem Leser zwar mehr oder weniger Amüsantes verspricht, für den Säugling allerdings einen holprigen Lebensweg erahnen lässt: "Ich erblickte also das Licht der Welt unter den Aspekten der Musik und der Trunkenheit; diese wirkten auch bald auf mich, und ich konnte keineswegs dieser Konstellation entgehen" (4). Aus der Schule und der anschließend begonnenen Weberlehre wird der aufsässige Titelheld gepeitscht und auch eine Lehrstelle als Barbier in Eferding verliert er, als er bereits bei seiner ersten Rasur einem Kunden die Wange aufschneidet. Die mittlerweile verzweifelten Eltern schicken den Jungen nach "Krinzing, unweit Wien" (10) zu einem kinderlos gebliebenen Verwandten, dessen Bauernhof der schwer zu Bändigende einmal übernehmen soll. Neben landwirtschaftlichem Wissen erwirbt Peyer nun mit Hilfe eines befreundeten Mönches Kenntnisse im Schreiben sowie in der lateinischen Sprache und befände sich damit erstmals auf einem guten Weg, wäre da nicht der ‚geburtsbedingte‘, leidige "Aspekt [...] der Trunkenheit", der ihn dazu bewegt, 1735 dem "Savoyensche[n] Dragonerregiment, wovon der Prinz Eugen Eigenthümer sey" (23), beizutreten. Noch im selben Jahr zieht der Titelheld in den Krieg gegen die Türken, wird in der Nähe von Banja Luka gefangengenommen und Sklave eines gnädigen, gebildeten Herrn in Istanbul, in dessen schöne Schwester Fatime er sich verliebt. Als diese vom Sultan gegen ihren Willen dem Pascha von Kreta zur Frau gegeben wird, begleitet sie Peyer - eine "Thorheit" (133), wie er später anmerkt. Denn erst nachdem der Statthalter bei einer Seeschlacht getötet wurde, bietet sich für beide die lang ersehnte Möglichkeit, in die Bosporusmetropole zurückzukehren. Gemeinsam mit einem Sklaven namens Hamburger verlassen sie Kreta, erleiden Schiffbruch und schließen sich einem holländischen Ostindienfahrer an, der vor der südamerikanischen Küste in bis dahin unbekannten Gewässern verunglückt; einzig Peyer, Fatime und Hamburger überleben und landen auf einer unbewohnten Insel, auf der sie sich rasch einrichten. Bereits wenig später konvertiert Fatime zum Christentum, heiratet Johann Georg und schenkt ihm einen Sohn, der auf den Namen Friedrich getauft wird. Das dem Leser als vermeintliches Abenteuer vorgeführte ‚Inselglück‘ ist perfekt, wird jedoch im Laufe des Romans zweimal durch ungebetene Gäste (Kannibalen) gestört, aus deren Händen die Gestrandeten ein Mädchen namens Tungi befreien, das sich ihrer Gruppe anschließt. Gegen Ende des mehr als zehnjährigen Inselaufenthalts sterben Fatime und Hamburger, sodass im Mai 1755 einzig Peyer, sein Sohn und Tungi jenes unter britischer Flagge segelnde Schiff besteigen können, das sie aus ihrem Exil befreit und nach England bringt, wo Friedrich, der sich von den Strapazen der Überfahrt nicht erholt, stirbt und Tungi einem in Plymouth tätigen Wiener zur Frau gegeben wird. 1756 schließlich, rund 20 Jahre nachdem Peyer Österreich verlassen hatte, kehrt er endlich in seine Heimat zurück.
Lag der Schwerpunkt von Defoes Robinson Crusoe auf dem Inseldasein des Titelhelden, gewinnt die dem Schiffbruch vorausgehende Abenteuerreihe in der oberösterreichischen Bearbeitung (wie auch in den anderen österreichischen) stark an Bedeutung. Dafür verantwortlich zeichnet vor allem die Einbeziehung "zeitgenössische[r] Wirklichkeit" (Haslinger 1979, 860) in das Handlungsgeschehen des Textes, im konkreten Fall die des Kriegs gegen die Türken, in dem sich Österreich und Russland ab 1787 befanden und in dem auch Johann Georg Peyer kämpft, dessen (fiktive) Lebensgeschichte 1822 und 1848 zwei Neuauflagen erlebte und später Anlass für eine ganze Reihe von Bearbeitungen und Nachdichtungen bot. Dass Robinson der Ober=Oesterreicher fälschlich immer wieder als tatsächliche Biografie eines unfreiwillig weit gereisten Linzers gelesen wurde (immerhin lebten im 18. Jh. nachweislich zwei Personen namens Johann Georg Peyer in Urfahr; vgl. dazu Ebner/Ebner/Weißengruber 1991, 175f.), sei hier nur am Rande erwähnt, denn gegen die Lektüre des Textes als reale Lebensbeschreibung spricht Vieles: speziell die Übernahme zahlreicher Motive aus in zeitlicher Nähe zu den Robinson-Bearbeitungen erschienenen Berichten über "die Heimkehr von österreichischen ‚Abenteurern‘, die weit in der Welt" (Haslinger 1979, 858) herumgekommen waren und die sich großen Interesses erfreuten (u. a. die 1779 veröffentlichte Lebensbeschreibung Andreas Jelkys, 1730-1783; vgl. ebd., 858f.).
Georg Hofer
Robinson der Ober=Oesterreicher oder höchstmerkwürdige Schicksale Johann Georg Peyers aus Urfahr nächst Linz gebürtig, (ehemal. K. K. Dragoner Wachtmeisters bei dem Regimente Prinz Eugen von Savoyen) dessen Gefangennehmung von den Türken, dann zehnjähriger Aufenthalt auf einer damals noch nie besuchten Insel in Amerika und endliche Befreiung von ihm selbst beschrieben. Linz, Leipzig 1802 [2. Aufl. 1822, 3. Aufl. 1848]. Bearbeitungen: Der Oesterreichische Robinson. Erzählung aus dem Leben des Johann Georg Peyer aus Urfahr=Linz. Auf Grund vorhandener Memoiren vollständig neu für die Jugend bearbeitet von Ferdinand Zöhrer. Wien, Teschen 1885. - Ein deutscher Robinson: Die Lebensbeschreibung des k.k. Prinz Eugenschen Dragonerwachtmeisters J. G. Peyer aus Linz. Neu erzählt von Otto Stöber. Görlitz 1943. - Stöber, Otto: Unser Robinson. Die merkwürdigen Abenteuer des k.k. Prinz-Eugenschen Dragoners Johann Georg Peyer aus Linz. Linz u.a. 1947. - Robinson aus Österreich. Für die Jugend erzählt von Friedrich Morton. Linz 1951.
Berger, Fritz: Johann Georg Peyer - ein Urfahrer Robinson. In: Mühlviertler Heimatblätter 9/10 (1965), 161-164. - Cosan, Leyla: Der österreichische Robinson im Osmanischen Reich. In: Atatürk Üniversitesi Sosyal Bilimler Enstitüsü Dergisi, Bd. 18/3 (2014), 69-84. - Ebner, Helga; Ebner, Jakob; Weißengruber, Rainer: Literatur in Linz. Linz 1991, 172-176. - Haslinger, Adolf: Österreichische Robinsonaden um 1800. In: Herbert Zeman (Hg.): Die österreichische Literatur. Ihr Profil an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert (1750-1830). Teil 2. Graz 1979. - Kauer, Wolfgang: Der oberösterreichische Robinson. Einige leseorientierte Betrachtungen zum zweihundertjährigen Jubiläum österreichischer Robinsonaden. In: linz aktiv 121 (1991), 61-70. - Sandgruber, Roman: Weltreisende aus Oberösterreich. Entdecker, Abenteurer, Robinsone. In: Oberösterreichische Nachrichten, 5.7.2008.
Stand: 14.1.2016