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VALIE EXPORT

© Hertha Hurnaus

(d i. Waltraud Stockinger)
Geb. 17.5.1940 in Linz; lebt und arbeitet in Wien.
Medien- und Performancekünstlerin, Filmemacherin.

Indem sie seit fünf Jahrzehnten neue Wege im Umgang mit Fotografie, Video, Film, Text und Performance aufzeigt, kann sie als die Pionierin der Medienkunst bezeichnet werden. Subtil hinterfragt VALIE EXPORT den Einfluss der elektronischen Medien auf die Gesellschaft - auch das Verhältnis von Abbild, Bild und Sprache. Zugleich fungiert EXPORT durch das Ansprechen feministischer und gesellschaftspolitisch relevanter Themen bis heute als Vorbild für KünstlerInnen und TheoretikerInnen schlechthin. Um nachhaltig in die Kunstgeschichte einzugehen, müssen KünstlerInnen inhaltlich und formal neue Sichtweisen auf die Wirklichkeit einbringen. Bei VALIE EXPORT ist dies in einer seltenen Ausprägung der Fall.

Aufsehen erregte die 1940 in Linz als Waltraud Lehner geborene Künstlerin erstmals in den späten 1960er- und frühen 1970er-Jahren durch mittlerweile legendäre öffentliche Aktionen. Provokation und Aggression wurden dabei bewusst eingesetzt - um den traditionell männlich besetzten Stadtraum zu erobern und gleichzeitig auf gesellschaftliche Missstände hinzuweisen. Gezielt schreibt sie sich etwa in der Serie Körperkonfigurationen (1972-82) mit ihrem weiblichen Körper in Form von plastischen Posen und als lebende Skulptur in die gebaute Umgebung ein; sie visualisiert Anpassung und Zufügung, aber auch ein selbstbewusstes feministisches Markieren der historischen Architektur, die durch die fotografischen Miniperfomances EXPORTS ein neues Gesicht bekommt. Den in Versalien geschriebenen Namen legte sie sich 1967 als Pseudonym und Logo zu, da sie weder den Namen ihres Vaters noch den ihres Ex-Mannes tragen wollte. "EXPORT" steht für das Nachaußentragen ihrer Gedanken und Gefühle - auch für Grenzüberschreitung.

Eine besondere Rolle im Oeuvre von VALIE EXPORT spielt neben dem körpersprachlichen oder bildhaften Ausdruck die gesprochene und geschriebene Sprache - in Form von aktionsbegleitenden Texten, feministischen Manifesten, Textfragmenten in Installationen und Titeln. Die Raum-Text-Installationen Concrete Computer DisPlay (1988/1990) oder Der Riss im Wort (1994) etwa zeigen, dass die Wahrnehmungsvorgänge Sehen und Lesen gezielt gesteuert und die Komplexität der sensorischen Wahrnehmung ins Bewusstsein gerufen werden sollen. In Der Blick des Blickes (2004) wird das notwendige Umschalten zwischen Sehen und Lesen thematisiert: "Es geht bei meiner Arbeit um das Sehen, um den Blick und die Veränderungen des Blickes, die durch den eigenen Blick hervorgerufen wird. [...] Die Veränderung des Auges, des Augapfels ruft die Generierung eines Textbildes hervor, der sich dem Auge zum Lesen anbietet." (Zit. nach Szely 2007, 66f.)

Dieser zweite sprachliche Strom gibt dem Werk neue Wendungen, erzeugt Distanz, fügt Schärfe und Humor hinzu oder gibt den Arbeiten ein poetisches Moment. Und er dient der Stilisierung der Person, die hinter dem Werk steht, macht deren Stimme zu einem Teil des Werks. Erst dadurch entsteht das typisch Bestechende, Überzeugende ihrer Werke: Die Sprachlosigkeit des ikonischen Kunstwerks wird überwunden, die BetrachterInnen werden direkt angesprochen. Der Witz und Scharfblick einer mittlerweile zur Ikone der feministischen Avantgarde gewordenen Arbeit und deren Titel Aktionshose: Genitalpanik (1969)etwa stellen erst klar, was für eine komplexe Künstlerpersönlichkeit hinter dem Werk steht. Denn hier manifestiert sich eine weibliche Perspektive, die nicht nur aufzeigt, anklagt oder passives Erleiden in Worte fasst. Sie verleiht dem Werk eine Stimme, die tabuisierte Themen mit zwei kurzen Worten aus der Verschleierung durch Zwänge, Tradition und männliche (Kunst)Geschichtsschreibung herausholt.

Dabei eröffnet VALIE EXPORT den Rezipientinnen und Rezipienten ihrer Werke durch bewusst kryptische Titel, Fachtermini oder poetische Titel eine Vielfalt an Wahrnehmungs- und Assoziationsebenen im Zwischenspiel von Sehen und Lesen, Erzählen und Imaginieren. Sie versucht mit mehreren Zeichensystemen - Körpersprache, gesprochene und geschriebene Sprache, visuelle Elemente - zu thematisieren, was an den Grenzen des Sichtbaren und Erzählbaren liegt. Das Unsagbare Sagen, so lautet auch der Titel eines Video-Essays über "ungewöhnliche Schreibverwendungen" nach einem Drehbuch von Oswald Wiener aus dem Jahr 1992.

Johanna Schwanberg

 

[Als Hg.:] MAGNA. Feminismus: Kunst und Kreativität. Ein Überblick über die weibliche Sensibilität, Imagination, Projektion und Problematik, suggeriert durch ein Tableau von Bildern, Objekten, Fotos, Vorträgen, Diskussionen, Lesungen, Filmen, Videobändern und Aktionen. Galerie nächst St. Stephan, Wien, 1974. - [Gem. mit Ingrid und Oswald Wiener:] Das Unsagbare Sagen. Nach einem Drehbuch von Oswald Wiener. ORF, 4.12.1992 (Erstausstrahlung).

Assmann, Peter (Hg.): VALIE EXPORT. OÖ Landesmuseum, OÖ Landesgalerie. Linz 1992. - Bundesministerium für Unterricht und Kunst: VALIE EXPORT. Biennale di Venezia 1980. - Dziewior, Yilmaz (Hg.): VALIE EXPORT - Archiv. Ausstellungskatalog, Kunsthaus Bregenz. Köln 2012. - Ebert, Hildtrud (Hg.): VALIE EXPORT - Mediale Anagramme. Katalog zur Ausstellung VALIE EXPORT. Neue Gesellschaft für Bildende Kunst. Berlin 2003. - Faber, Monika (Hg.): VALIE EXPORT. Split Reality. Katalog zur Ausstellung Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig. Wien 1997. - Husslein-Arco, Agnes; Nollert,  Angelika; Rollig, Stella (Hg.): VALIE EXPORT. Zeit und Gegenzeit - Time and Countertime. Köln 2010. - Lamb-Faffelberger, Margarete; Hilmes, Carola (Hg.): Staging EXPORT: VALIE zu Ehren, New York u. a. 2011. - Mueller, Roswitha: VALIE EXPORT - Bild-Risse. Wien 2002. - Saxenhuber, Hedwig (Hg.): VALIE EXPORT, Ausstellungskatalog, Sonderausstellung der 2. Moskaubiennale 2007. Wien 2007. - Schwanberg, Johanna: METANOIA - "Die Bilder meiner Stimme im Kopf". In: VALIE EXPORT. METANOIA. Video DVD Edition der Charim Galerie. Wien 2012. - Szely, Silvia (Hg.): EXPORT Lexikon. Chronologie der bewegten Bilder bei VALIE EXPORT. Wien 2007. - Trummer, Thomas (Hg.): VALIE EXPORT: Serien; Katalog zur Ausstellung Atelier Augarten, Galerie Belvedere. Frankfurt/Main 2004. - VALIE EXPORT im Gespräch mit Stefanie Kaplan. Die Kunst als Überschreitung. In: Stefanie Kaplan (Hg.): Die Frau hat keinen Ort. Elfriede Jelineks feministische Bezüge. Wien 2012, 194-205.

Stand: 2.1.2017