Im literarischen Universum von Andreas Weber gibt es zumindest drei Fixsterne: die Rolling Stones, den - englischen - Fußball und die klassische amerikanische Literatur, im Besonderen Ernest Hemingway und Scott Fitzgerald, Raymond Chandlers Meisterwerk The Long Goodbye (1953) wird in Veitels Traum zitiert.
Der Roman spielt um das Jahr 1980, besitzt einen Nachhall in die 1970er Jahre und reicht zurück bis in die 1950er Jahre. Erzählt wird er aus der späteren Perspektive Tobias Veitels, einer der typischen Sohn-Figuren in den Texten Webers. Die Rolling Stones haben ihren Auftritt im Roman als unerreichbares Ideal eines zunächst erfolgreichen, dann glücklosen Rockmusikers aus der oberösterreichischen Szene; der Erzähler spielt Handball, ein bewusst gesetztes Gegenbild zum sonst dominanten Fußball. Eine zentrale Rolle im Roman spielt der österreichische Erfolgsschriftsteller Fritz Habeck, der von den Erfahrungen als Soldat geprägt und nach dem Zweiten Weltkrieg Korrespondenzpartner Ernest Hemingways war. Richard Veitel, ein ehemaliger, nun im noblen Londoner Vorort Hampstead lebender Schriftsteller ist ihm nachgebildet. Die Habeck-Veitel Figur ist aus zwei Gründen wichtig: Die Stories und Romane Webers handeln von verschwundenen oder kompromittierten (Groß-)Vätern und von zurückgelassenen Söhnen, die mit dem Erwachsenwerden nicht zu Recht kommen. In den Romanen Lanz (2004) und Veitels Traum sind es die älteren Geliebten, die Mentorinnen und mütterlichen Gesprächspartnerinnen, die den Ton angeben. Zum anderen sind die Texte autobiografische Fiktionen über Glanz und Elend des freien Schriftstellerdaseins, über den ewigen Widerspruch zwischen literarischem Anspruch und kommerziellem Erfolg. Die Söhne Richard Veitels - der eine, Joachim, ist ein Gedichte schreibender Polizist, der andere Filmregisseur - werden vom Vater als Versager und Marionetten der Massenkultur verachtet. Joachim wollte ein Leben als Schriftsteller und Freiheit; aus dem Traum wurde eine Existenz als pragmatisierter Polizeibeamter in der sogenannten Provinz.
Allerdings entpuppt sich diese Existenz als "spannender als Literatur", wie ein Kapitel des Romans heißt. Joachim Veitel stirbt, die Leiche findet sich auf einer Parkbank wieder, gelangt aber auf rätselhafte Weise auf den Parkplatz eines Nachtlokals. Wer hat sich an der Leiche zu schaffen gemacht und warum? Wie ist sie von der Parkbank zum Parkplatz des Nachtclubs gelangt? Die Suchgeschichte nach Motiven und Hintergründen gibt dem Erzähler Gelegenheit, eine soziale und mentale Geografie der nicht nur oberösterreichischen Provinz zu entwerfen; von der Designervilla am Ortsrand, in der eine schöne, von ihrem Mann getrennt lebende Frau mit ihrem Sohn lebt, bis zur Topografie der ausfransenden Dörfer: Tankstelle, Nachtclub, Einkaufszentrum, Überlandstraßen.
Die Wege hinaus führen ins Innere, zur Kunst, zu Literatur und Rockmusik, oder sie führen hinaus, in die Großstadt, nach Wien. Der Idealismus der Weberschen Figuren ist dabei immer ‚down to earth", was sich auch im Misstrauen gegenüber den abgenützten Metaphern äußert, eine Haltung, die die Gedichte Joachim Veitels prägt wie den Roman Veitels Traum. Die Romane Lanz aus dem Jahr 2004 und Veitels Traum von 2010 sind aufeinander bezogene Entwicklungsromane über die österreichische Provinz, die österreichische Geschichte und die österreichische Gesellschaft nach 1945.
Bernhard Fetz
Veitels Traum. Wien 2010. - Lanz. Salzburg 2004.
Demmer, Erich: Dorfgendarm als Lyriker und Liebhaber. In: Die Presse, Spectrum, 23.10.2010. - Gauss, Karl-Markus: Der Sohn des Dorfgendarm. Andreas Weber sucht das Leben in "Veitels Traum". In: Neue Zürcher Zeitung, 15.02.2011. - Sturm, Helmut: Andreas Weber. Veitels Traum. In: Buchmagazin des Literaturhaus Wien, 15.9.2010.