Wortgeografie Oberösterreichs
Oberösterreichs Wortgeografie zeigt eine reiche Gliederung, bei der die einzelnen Grenzlinien (Isoglossen) oft Wort für Wort unterschiedlich verlaufen. Das daraus resultierende heterogene Gesamtbild wirft letztlich auch die Frage nach den sprachinternen und -externen Ursachen der jeweiligen Verteilung auf: Landschaftliche Gegebenheiten (Flüsse, Wälder, Bergrücken usw.) sind hier ebenso von Bedeutung wie politisch-historische Entwicklungen, wirtschaftliche Verhältnisse, Verkehrslinien oder der Kontakt zu anderen Sprachräumen.
All diese Faktoren tragen zur Ausbildung der Wortgeografie bei, wirken sich aber auf die Verbreitung einzelner Wörter in ganz unterschiedlicher Weise aus. Dabei spielen Flussläufe wie die Donau, die für die Lautgeografie praktisch unbedeutend sind, in wortgeografischer Hinsicht oft doch eine gewisse Rolle, sodass etwa das nördlich der Donau gelegene Mühlviertel häufig als geschlossenes Gebiet auftritt. Andererseits überschreiten manche Wortgrenzen die Donau und verbinden das obere Mühlviertel mit dem nördlichen Inn- und Hausruckviertel (Sauwald). Dies gilt auch für das untere Mühlviertel, das zusammen mit dem nördlichen Traun- und dem niederösterreichischen Mostviertel vielfach eine Einheit bildet.
„Wortfächer“ zwischen West und Ost
Analog zu vielen Verbreitungsbildern der Lautgeografie ergeben sich auch in der Wortgeografie Gebiete, deren Grenzen von Norden nach Süden verlaufen und sich von Böhmerwald quer über die Donau bis hin zu den Kalkalpen erstrecken.
Im Westen Oberösterreichs finden sich einige Wortgrenzen, die offenkundig auf die Wirkung der heutigen Staatsgrenze zwischen Deutschland und Österreich zurückzuführen sind und damit wohl als Reflexe jüngerer historischer Entwicklungen gelten können (schwarze Linien in Abb. 2).
Etwas östlich davon verlaufen mehrere Isoglossen entlang der historischen, bis 1779 bzw. 1816 bestehenden Landesgrenze zwischen Baiern und Österreich, die in der Bevölkerung des Inn- und Hausruckviertels heute noch immer als deutliche Dialektgrenze wahrgenommen wird (rote Linien in Abb. 2).
Schließlich finden sich noch etliche weitere Isoglossen in der östlichen Hälfte des Landes, die ihren Ausgang an der südböhmischen Moldau nehmen, dann entlang der Mühl bzw. des Haselgrabens verlaufen und sich dann über den oberösterreichischen Zentralraum bis ins Salzkammergut bzw. in die Pyhrn- und Eisenregion ziehen (grüne und blaue Linien in Abb. 2).
Die außersprachlichen Ursachen dieser wortgeografischen Fächerlandschaft sind vornehmlich in den territorialgeschichtlichen Verhältnissen des Mittelalters und der Neuzeit zu suchen, die von einem jahrhundertelangen Tauziehen zwischen bairischem und österreichischem Herrschaftsanspruch geprägt waren. Darüber hinaus verweisen manche dieser Grenzverläufe auch noch auf die siedlungsgeschichtlichen Verhältnisse des frühen Mittelalters, wo einst östlich der Linie Haselgraben – Traun – Krems eine slawische Mehrheitsbevölkerung bestand.
Wortgebiete im Süden und im Norden
Neben den genannten historisch-politischen Faktoren dürften auch naturräumliche Faktoren für die Ausbildung von charakteristischen wortgeografischen Strukturen eine Rolle spielen. Ein Beispiel dafür sind geschlossene Verbreitungsgebiete am nördlichen Rand oder im südlichen Teil des Erhebungsraumes.
Im Norden tritt ‒ vor allem im Bereich des oberen Mühlviertels ‒ die Donau als klare Linie hervor, an der sich viele Wortgrenzen bündeln (siehe orange Linien in Abb. 3). Im Süden bildet sich der landschaftliche Übergang vom Hügelland ins Gebirge in der Wortgeografie als Stufenlandschaft ab, sodass die Veränderungen in der Natur- und Kulturlandschaft als Erklärung für diese eher weit verstreuten Wortgrenzen dienen können. Die Ausdehnung der im Süden verbreiteten Wörter reicht teils bis weit ins Alpenvorland hinein, teils beschränkt sie sich auf den alpinen Raum (blaue Linien in Abb. 3).
„Kennwörter“ der oberösterreichischen Landesviertel
Landläufig wird oft angenommen, dass jedes oberösterreichische Viertel seinen eigenen Dialekt mit je eigenen, typischen Wörtern hätte, an denen sofort zu erkennen sei, aus welcher Region ein/e Sprecher/in stammt. Tatsächlich ist es so, dass historische Räume wie das Innviertel, das Mühlviertel oder das Salzkammergut häufig bestimmte sprachliche Eigenheiten aufweisen. Allerdings gelten diese nicht immer exklusiv für den jeweiligen Raum, sondern sind oft auch darüber hinaus verbreitet. Andererseits erstrecken sich die Verbreitungsgebiete typischer Kennwörter häufig nicht über das gesamte Viertel; so sind manche Wörter beispielsweise nur im oberen, manche nur im unteren Hausruckviertel gebräuchlich.
Für das Mühlviertel (siehe Abb. 4) finden sich, mit der Donau als natürliche Grenze im Süden, relativ viele spezifische Wörter, wobei einige davon auch im angrenzenden Wegscheider Land und im unteren Bayerischen Wald auftreten (zB. Schrollen ‘Erdschollen’, Alde ‘Furche, Brache’). Auch Südböhmen stellt sich wortgeografisch oft zum Mühlviertel; vereinzelt sind „typisch mühlviertlerische Wörter“ auch südlich der Donau verbreitet (in Abb. 4 als grüne Linien eingezeichnet). Das oberste und auch das unterste Mühlviertel verfügt teilweise über einen vom restlichen Mühlviertel abweichenden Wortschatz.
Im Mühlviertel verbreitete Wörter:
- Schrollen ‘Erdschollen’ (auch im angrenzendem Niederbayern)
- Alde ‘Furche, Brache’ (auch im angrenzendem Niederbayern)
- Wischbaum ‘Bindbaum’
- schartet ‘eine Zahnlücke habend’ (ohne oberstes Mühlviertel)
- Schläpfer ‘Hausschuhe’ (ohne Machland)
- Tragatsch ‘Schubkarren mit Sprossen oder Bretterboden’ (ohne Bez. Perg)
- trienseln ‘sabbern’ (ohne oberstes Mühlviertel)
- Ausnehmerhaus oder -häusl ‘Haus, in dem die Eltern nach der Übergabe wohnen’ (mit angrenzendem Mostviertel)
- Runse ‘Bewässerungsgraben’ (ohne oberstes Mühlviertel)
- Wid ‘Ruten zum Binden’ (mit angrenzendem Mostviertel)
- Schädel ‘gewöhnlicher Kuchen aus Germteig’ (nur im oberen Mühlviertel)
- Wacker ‘gewöhnlicher Kuchen aus Germteig’ (nur im unteren Mühlviertel, ohne Bez. Perg)
- pledern ‘plaudern’(ohne Bez. Perg)
- Lansing ‘Frühling’ (ohne Bez. Perg)
Die für das Innviertel (Abb. 5) charakteristischen Wörter sind oft auch im Flachgau oder in Ober- und Niederbayern bis zum Bayerischen Wald verbreitet, teilweise werden sie auch im angrenzenden Hausruckviertel verwendet. Einige Wörter (zB. Kranzltag ‘Fronleichnamstag’, Mold- oder Mehlbeere ‘Himbeere’) sind auch im Bezirk Rohrbach verbreitet.
Im Innviertel verbreitete Wörter: Strumpfen ‘großer Ampfer’
- Palmbaum ‘Palmbuschen’
- Wegarbeit ‘Stallarbeit’ (nicht im obersten Innviertel, auch im unteren Hausruckviertel)
- Spritzbogen ‘Schutzblech beim Fahrrad’ (auch im östlichen unteren Hausruckviertel)
- Pantoffel ‘Hausschuhe’
- Bierfilzl ‘Bierdeckel’ (nur im westlichen Innviertel)
- Höbel ‘Eischale’
- Holzschuhbummerl ‘Pantoffel für Außenarbeiten’
- Knüttel bzw. Knüttling ‘Sensenstiel’ (auch in Nieder- und Oberbayern)
- Weiher ‘Teich’ (auch in Nieder- und Oberbayern, teilweise auch im Flachgau)
- Mold- oder Mehlbeere ‘Himbeere’ (auch in Niederbayern und Flachgau)
- Kranzltag ‘Fronleichnamstag’ (auch im Bayerischen Wald, Wegscheiderland und Bez. Rohrbach)
Das Hausruckviertel (Abb. 6) ist in wortgeografischer Hinsicht oft zweigeteilt: Häufig gelten spezifische Wörter nur im oberen und nicht im unteren Hausruckviertel ‒ und umgekehrt. Viele Wörter greifen auch in das Innviertel und das Traunviertel aus (siehe die orange eingezeichneten Linien in Abb.6). Das am obersten Ende des Hausruckviertels gelegene Mondseeland stellt sich teilweise nicht zum Hausruckviertel, sondern bildet mit dem Salzburger Flachgau ein einheitliches Gebiet (z.B. Küchlein in der Bedeutung ‘Faschingkrapfen’, Pflaster ‘befestigter Weg oder Gang ums Haus’, Mahd ‘Bergwiese’). Spezifisch für das Mondseeland sind beispielsweise Grummet arbeiten ‘Grummet ernten’ und spulen ‘(Blumen) gießen’.
Im Hausruckviertel verbreitete Wörter:
- Beuntler ‘Inhaber eines kleinen Anwesens’
- (Brot-, Back-)sumper ‘Korb für den Brotteig’ (ohne Mondseeland)
- Grummet mähen ‘den zweiten oder dritten Schnitt des Heus ernten’
- Trittling ‘Hausschuhe’ (mit westlichem Traunviertel)
- (Sens)gericht ‘Sensenstiel’ (ohne Mondseeland)
- Weand-, Weankmühle ‘Mühle zum Körnerreinigen’ (v.a. unteres Hausruckviertel)
- Kleestüdel ‘Gestell zum Heutrocknen’ (v.a. unteres Hausruckviertel)
- Spreize ‘Zwischenmahlzeit am Vormittag’ (v.a. im oberen Hausruckviertel, ohne Mondseeland)
- Kondukt ‘Totenmahl’ (v.a. oberes Hausruckviertel
- Kindlbeere ‘Himbeere’ (v.a. oberes Hausruckviertel)
- Speißpfinztag Gründonnerstag’ (v.a. im oberen Hausruckviertel, mit Flachgau)
Wie auch in den anderen Vierteln ist es schwierig, Wörter ausfindig zu machen, die spezifisch für das gesamte Traunviertel (Abb. 7) sind. Häufig sind sie auch im angrenzenden niederösterreichischen Mostviertel, im östlichen Mühlviertel oder auch im Hausruckviertel verbreitet. Das Salzkammergut, die Eisenwurzen und teilweise auch das Krems- und Steyrtal fallen oft heraus bzw. bilden eigene Gebiete (in Abb. 7 grau, lila und grün eingezeichnete Linien).
Im Traunviertel verbreitete Wörter:
- Getreideputzer ‘Mühle zum Körnerreinigen’
- züchten ‘Junge zur Welt bringen (beim Schaf, bei der Ziege)’ (ohne Bez. Kirchdorf)
- niedrucken, iterdrucken ‘wiederkäuen’ (ohne Süden, dort: eindrucken)
- Spinn(er)mantel ‘Spinnweben’ (ohne Süden)
- Schober ‘Germteigkuchen’ (ohne Bez. Gmunden, aber auch im unteren Mühlviertel)
- kindswerchen ‘auf kleine Kinder aufpassen’ (ohne inneres Salzkammergut)
- Bachtet ‘Kehricht’ (ohne inneres Salzkammergut, mit Bez. Vöcklabruck)
- Scheffel ‘Schaf’ (ohne inneres Salzkammergut)
- Trittling ‘Holzpantoffel’ (ohne inneres Salzkammergut)
- Aufgeber ‘Person, die das Heu hinaufgibt’(ohne Salzkammergut, ohne Eisenwurzen)
- Schobel(-futter, -gras) ‘dritter Schnitt’(ohne Salzkammergut, ohne Eisenwurzen)
- Presssöde ‘der ausgepresste Rückstand bei der Obstpresse’(nur entlang der Grenze zum Hausruckviertel)