Christian Krall
Ich besitze Absageschreiben der namhaftesten deutschsprachigen Verlage und einiger weniger namhafter dazu. Angereichert zum Trost mit nichts=desto=trotz hochtrabenden Vergleichen (aus der Tasche gezogen wie Würfelzucker für fügsame Pferde) mit Arno Schmidt, Rolf Brinkmann, James Joyce oder der Wiener Gruppe; Motto: Mund auf und Augen zu. “Und bringen Sie sich nicht um, mit freundlichen Grüßen, das Lektorat ...” – Aber die gefräßig bleibenden Selbstzweifel der erfolgreich Verlegten (oder ihr Einbrechen unter den Zwängen, die ihnen der Erfolg auferlegt hat): sind keineswegs weniger abschreckend als der tägliche Gang zum Brieffach, das wieder, mit all seinem Blech & Hohn, nicht die gewünschten Nachrichten enthält. Soferne man Hoffnungen an den Erfolg geknüpft hat. Zum Beispiel die Hoffnung, den Haftbedingungen des Büroalltags zu entgehen. Aber das liegt meilenweit:ab und hundertmal:nicht in deiner Hand. So realistisch darfst du in deinem Alter die Dinge schon wieder sehen; was ja durchaus entlastend sein kann. Selbst wenn du mit einem Buch wohlwollendes Aufsehen erregtest, am Markt und im Feuilleton, läuft es nicht darauf hinaus, im Lotto fünf Millionen gewonnen und unterhaltsmäßig ausgesorgt zu haben, mein Freund. Sagen wir außerdem so: Zufallsmutationen entscheiden; nicht Qualität. Man kann was alles Geschrieben und was alles veröffentlicht wird: sowieso nicht an einer objektiven Skala messen; weil es diese Skala nicht gibt; sondern nur nach Zielgruppen und ihrem Geschmack unterteilen. Und die Gruppengröße, ab der Recht ableitbar ist, ernst genommen zu werden, beginnt hier bei 1.
Aud was ich hinaus will, ist dies: Wer Antrieb und Vision seines Schreibens (eines Tages) in diesem genauen guten Gefühl findet, vor dem eigenen Bücherregal zu stehen und ein eigenes Werk in der Hand zu halten, zu wiegen und sich zwischen den Zeilen an das genaue gute Gefühl zu erinnern, das er beim Schreiben gehabt hat ... der kann (und darin liegt eine Entdeckung von literaturgeschichtlicher Dimension): das Ganze einfacher, direkter, vollwertiger haben als ... auf dem Weg: über den Roulette-Tisch des Buchmarktes gezogen/gelegt zu werden (böse gesagt).
Meine Privat-Literatur. (Very Independent Poetry) Mit Auflagen von je 3 bis 8 Stück, fotokopiert, geheftet, alles selber gemacht. Ohne mich jemals noch fragen bzw. fragen lassen zu müssen, ob es nun Kunst oder Scheiße oder gleichzeitig beides oder weder Scheiße noch Kunst ist, was ich hervorgebracht habe. Der einzige Maßstab, der greift, ist, ob es mir selber gefällt. (“This is a political film.” Jonas Mekas.) Das macht mich wenigstens literarisch unabhängig und frei. Frei auch von der Frage, welche Art von Erfolg einen mehr korrumpiert: der, auf den man vergeblich wartet, oder der, dem man nachjagt, um ihn zu wiederholen.
Und kurz noch eines: Schreiben, wie es sich für mich realisiert, heißt: Ein Gesamtwerk entsteht. So unteilbar – wie vielfältig fragmentiert. Die Portionierung in einzelne Bücher funktioniert noch, ist sogar konstitutiv – // – nicht jedoch eine ausschnittweise Veröffentlichung in Literaturzeitschriften, Anthologien oder auf einer Lesung; (vielleicht eine Variante von Scham, die möglicherweise eine eigentümlich literarische Scham ist – Buch- und Schriftform als Seelenversteck;) auch deshalb: keine Erscheinung im literarischen Leben der Stadt. Und deshalb auch hier (siehe dort): als Textbeispiel nur eine Unvollständige Liste der Weiter & Künftig Unveröffentlichten Werke von Christian Krall.