Man könnte die versifizierte Passio Sancti Floriani als ein hagiografisches Epyllion ("legendarisches Kurzepos") bezeichnen. Ihr Autor galt lange als anonym, seit der Entdeckung des Akrostichons (Anfangsbuchstaben von Versen, die ein Wort ergeben) im Prolog ist die Zuschreibung an Altmann, der seit 1212 als Propst dem Stift St. Florian vorstand, jedoch gesichert.
Neben den theologischen Werken Altmanns hat die Passio bisher zu Unrecht nur wenig Beachtung gefunden. Inhaltlich lehnt sie sich eng an die längere Passio Sancti Floriani aus dem 8./9. Jh. an, wobei aber festzustellen ist, dass Altmann in seinen kunstvollen Hexametern eigenständig akzentuiert, damit über seine Prosavorlage weit hinausgeht und die Leidensgeschichte Florians mithilfe einer reichen biblisch gefärbten Bildsprache in einen großen heilsgeschichtlichen Zusammenhang stellt (V. 1-59). Zwar übernimmt er viele Motive der Prosa-Passio (Vierzig Glaubensbrüder in Gefahr, V. 94ff.; Florian und der Fluss Enns, V. 141ff.; Ablehnung des Opfers an römische Götter, V. 211ff.; einstündiges Gebet vor der Hinrichtung, V.321ff.; das Zögern der Häscher, V. 328ff.; Aufforderung eines Häschers, der ungeduldiger ist als die anderen und darauf drängt, Florian endlich hinzurichten, V. 333ff.; die Hilfe des Flusses, der Felsen im Wasser und der Adler als Wächter, V. 348ff.; die Bergung der Leiche durch die Witwe Valeria, V. 367ff. und schließlich die Tränkung der Zugtiere und das Entspringen einer Quelle, V. 387ff.), schafft aber durch die Ausschmückung einzelner Szenen mithilfe eingelegter Reden und Dialoge(Dialog während der Verhaftung, V.147ff.; Reden Florians, V.175-189 und V. 211-219, Gebet, V. 220-231; Rede des Aquilinus, V. 28-293) sowie durch die Charakterisierungen von Personen und Handlungsweisen ein kunstvolles und abwechslungsreiches Werk.
Spannung erzielt Altmann in diesem Text besonders dadurch, dass er den Antagonismus zwischen Florian und dem Statthalter Aquilinus deutlich in den Mittelpunkt stellt: Aquilinus wird nicht nur als Gegenspieler Florians dargestellt, sondern erhält auch eine eigene Rede, durch die seine Schlechtigkeit gezeigt wird (V. 276-293). Auf die negative Darstellung des Aquilinus (sog. Apostrophe, d.h. direkte Anrede durch den Erzähler, V. 294-308) folgt unmittelbar das Lob für Florian (V. 309-315), wodurch der Gegensatz zwischen diesen beiden Figuren unterstrichen wird. Gegen Ende der Passio wird dies mit dem Gleichnis der Aufnahme des Lazarus (= Florian) in den Himmel und der Schilderung des üblen Schicksals des Reichen (= Aquilinus) nach Lk 16,19f. illustriert (V. 408ff.).
Der Text Altmanns ist gattungsgemäß aufs Engste mit biblischer Sprache verbunden und stark mit biblischen Zitaten durchsetzt, biblische Motive werden zudem kunstvoll in einer sehr eigenständigen Sprache wiedergegeben. Altmann zitiert und verarbeitet häufig auch antike Vorbilder in seinem Text: Nicht nur hält er den Prolog im Stil antiker Proömien, sondern verwendet an vielen Stellen Zitate antiker Schriftsteller von Vergil und Ovid bis Silius Italicus und Prudentius. Der Bau der Hexameter orientiert sich an Vergil.
Altmann zeigt großes Geschick im wirkungsvollen Einsatz verschiedenster rhetorischer Stilfiguren, was seinen beeindruckend weiten Bildungshorizont unterstreicht. Außer dem Akrostichon im Prolog sind besonders die letzten sechs Verse in sogenannten Leoninischen (binnengereimten) Hexametern bemerkenswert.
An Altmanns hexametrische Passio schließt in der Handschrift der sogenannte Ritmus de eodem ("Rhythmische Dichtung über denselben [Heiligen, nämlich Florian]") in Vagantenstrophen an, in dem die große Bedeutung des Florianitages (Gedenktag anlässlich seines Todes am 4. Mai) reflektiert wird. Der Verfasser dieses Textes ist nicht bekannt.
Lukas Sainitzer
Überlieferung: Stiftsbibliothek St. Florian, cod. XI 220. - Textausgabe: Hieronymus Pez: Scriptores Rerum Austriacarum 1 (1721), 53-61.
Mühlbacher, Engelbert: Die Literarischen Leistungen des Stiftes St. Florian. Innsbruck 1905, 1-6. - Neumüller, Wilibrord: Der heilige Florian und seine Passio, in: Mitteilungen des oberösterreichischen Landesarchivs 10 (1971), 1-35. - Stelzer, Winfried: Altmann von St. Florian. In: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 84 (1976), 60-104. - Ders.: Altmann von St. Florian. In: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, Bd. 1 (1978), Sp. 308-310. - Ders.: Altmann von St. Florian. In: Lexikon des Mittelalters, Bd. 1 (1980), Sp. 479.