"Die Ischler Esplanade ist ein großstädtischer Boulevard, der quer durch das lieblichste Alpental läuft. Auf dieser schönen Uferstraße am Traunstrom [...] bilden die natürlichen Reize der Berglandschaft nur den Hintergrund für ein buntes Weltstadtbild voll fröhlichen Lebens. [...] unten aber eine geschäftig hin und her wogende Menge von Großstädtern, die plaudern und flirten, lachen und lästern, schwatzen und schwärmen ... als wäre mitten in die feierliche Schweigsamkeit der Berge plötzlich das laute Residenzleben mit seiner ganzen quirlenden Beweglichkeit eingebrochen." (Blumenthal 1910, 118) Der Autor, der dieses eindrückliche Bild der Ischler Sommerfrische-Gesellschaft im Fin de Siècle entwirft, war der Begründer und Leiter des Berliner Lessing-Theaters, Oscar Blumenthal (1852-1917). Als Dramatiker lieferte er erfolgreiche Dutzendware, als spitzzüngiger Theaterkritiker und Feuilletonist war er jedoch bemerkenswert. In den Ischler Frühgesprächen (aus dem Band Die Kunst zu lächeln und Anderes, 1910) macht er sich über die Gepflogenheit der Städter lustig, in der Sommerfrische Tracht zu tragen, und wundert sich, dass dieses "bunte Weltstadtbild" rasch verschwindet, "denn die Abende verbringen die Herrschaften mit rühmenswerter Ehrbarkeit in ihren vier Wänden. Ischl besitzt nicht, wie andere Kurorte, einen begünstigten gesellschaftlichen Sammelplatz in einem Hotel oder einem Restaurant" (ebd., 119). In Deutschland wurde Blumenthal durch den großen Erfolg des gemeinsam mit Gustav Kadelburg (1851-1925) verfassten, vom gleichnamigen Wirtshaus in Lauffen inspirierten Bühnenstücks Im weißen Rössl (1898)berühmt. In Ischl kannte man ihn nicht zuletzt wegen seiner exzentrischen Behausung: Seine im Chalet-Stil gehaltene Villa war ein Fertigteilhaus, das er auf der Chicagoer Weltausstellung 1893 gesehen und gekauft hatte und sich 1895 in Ischl aufstellen ließ.
Blumenthal schrieb über Ischl am Höhepunkt der Sommerfrische-Kultur. Wer keine Villa sein Eigen nannte, nächtigte im "Hôtel" - an den Namen der (heute nicht mehr vorhandenen) Hotels lässt sich die spezifische Ischler Mischung aus Internationalität, Heimatverbundenheit und Habsburg-Treue ablesen: "Austria", "Bayerischer Hof", "Athen", "Zur Post", "Kaiserkrone", "Zum goldenen Kreuz", "Zum goldenen Stern", "Erzherzog Franz Karl", "Victoria". Schriftsteller waren, im Gegensatz zu den "Operettenkönigen", nur selten Teil der Ischler Gesellschaft. Blumenthal etwa lebte zurückgezogen, andere wiederum konnten sich nur die billigere Umgebung leisten: "Wir wohnten in dem alten Dorf Lauffen, eine Wegstunde von Ischl entfernt, das zu betreten ich mir sehr wünschte. Denn dort hatten der Kaiser und sein Hof den Sommersitz, und auch die reichen Knaben meiner Schule verbrachten ihre Ferien in der berühmten Badeanstalt. Lauffen hingegen, ein armes, altertümliches Dorf, war unserer Geringheit und Beziehungslosigkeit gemäß. Wohl war es älter als Ischl, einst sogar der Hauptort der Gegend gewesen [...]" (Braun 1962, 104). Der Wiener Schriftsteller Felix Braun (1885-1973), der sich hier in seiner Autobiografie an die Kindheitsferien erinnert, verbrachte später mehrmals seinen Urlaub im zuvor so nah-fernen "Weltkurort" (Binna 1934).
Für das wohlhabende Wiener Bürgertum war Ischl - erst 1906 bekam es den Zusatz "Bad" - fester Bestandteil des Sommerfrische-Reigens, hier im "schwarzgelben Nest", wie es Spötter nannten, konnte man sich dem Aristokratischen, Monarchischen wie sonst nirgendwo nahe wähnen. In einem scharfsinnigen Feuilleton für die Neue Freie Presse schrieb die Journalistin und Schriftstellerin Betty Paoli von den in Ischl gut beobachtbaren Versuchen des Bürgertums, an den Adel heranzukommen - wobei eine Vermischung der Klassen so wenig stattfinde "wie zwischen Oel und Wasser" -, und davon, dass es angebracht wäre, "das Los der Fremden während der Regentage, mit denen Ischl überreich gesegnet ist, einigermaßen zu erleichtern" (Wozonig 2008, 7). Richard Beer-Hofmann (1866-1945) und seinen um vier Jahre älteren Freund Arthur Schnitzler (1862-1931), beide oftmals zu Gast in Ischl, war es wohl weniger um das "Kaiserliche" zu tun. Ersterer versuchte hier vornehmlich zu arbeiten, mit mäßigem Erfolg, wie er 1892 an Hugo von Hofmannsthal schrieb: "verdorbener Sommer, schlechte Laune in xter Potenz, [...]; gearbeitet habe ich circa 15 (!) Druckzeilen - also nichts." (Hofmannsthal 1992, 41) Für Schnitzler wiederum war ein ganz normaler Ischler Sommerfrischetag ("im ganzen nichts besondres") mit Amourösem angereichert, wie er im Tagebuch von 1887 schreibt: "Nelly G. ein Luder in Menschengestalt. Achtzehnjähriges grundverdorbenes Mädel aus anständiger Familie. Wohl auch noch Jungfrau. Glaubt selbst nicht es lang zu bleiben. Spricht am liebsten von ihrer Nacktheit. Von Hemden etc. Auf einer Landpartie mit Kr.s und Cohn liess sie sich erheblich küssen und war recht zutraulich. Später stellte ich ihr eine ruhmvolle Cocottenlaufbahn in Aussicht. - Es gab im ganzen nichts besondres; doch es war sehr gemütlich." (Schnitzler 1987, 218) In anderer Hinsicht wurde Ischl für Schnitzler, der u. a. im "Hotel Rudolfshöhe", einer der damals modernsten Unterkünfte des Ortes, logierte, doch noch etwas Besonderes, fand doch 1893 am Stadttheater die Uraufführung des zum Anatol-Zyklus gehörenden Einakters Abschiedssouper statt.
In der Hoch-Zeit der klassischen Sommerfrische hatte Ischl durch den Tourismusmotor Eisenbahn starke Konkurrenz bekommen, der Semmering oder Bad Gastein waren dank der Grandhotels längst mondäner. Zu Beginn des 19. Jh. hingegen hatten das Salzkammergut und Ischl touristischen Pioniercharakter, und als in den 1820er Jahren der Arzt Franz Wirer (1771-1844) den Aufschwung als Kurort einleitete, beteiligte sich auch ein Schriftsteller an der Werbung für den unbekannten Ort an der Traun: Der "Sekretär des Wiener Kongresses" Friedrich von Gentz (1764-1832) war allerdings weniger als Literat denn als Diplomat bekannt. Jedenfalls überzeugte er nach seinem ersten Aufenthalt 1823 seinen Arbeitgeber Fürst Metternich von den Vorzügen der Ischler Sole. Dieser folgte der Empfehlung im Jahr darauf, ihm wiederum folgte 1825 Erzherzog Rudolf, der Bruder Kaiser Franz I., usw.
Einer, der dem Trubel um die gekrönten Häupter aus dem Weg zu gehen trachtete, war der Dichter Nikolaus Lenau. Als sich der Ort 1841 daranmachte, Kaiser Ferdinand I. und seine Gemahlin gebührend zu empfangen, floh Lenau vor dem "Sklavenjubel", wie er in einem Brief schrieb. Die Flucht glückte jedoch nur halb, im benachbarten Ebensee blieb er im entgegenkommenden kaiserlichen Tross stecken. Zumeist aber fand Lenau in Ischl die gesuchte Ruhe und Inspiration, er ließ sich auch nicht durch schlechtes Wetter die Laune verderben. Der Salzkammergut-Fan schrieb, wie er es nannte, das "Scherz"-Gedicht An den Ischler Himmel im Sommer 1838, in dem er den Topos des verregneten Salzkammergut-Sommers aufgriff: "Himmel! seit vierzehn Tagen unablässig / Bist du so gehässig und regennässig, / Bald ein Schütten in Strömen, bald Geträufel; / Himmel, o Himmel, es hole dich der Teufel!" (Lenau 1995, 163) Lenau war in Ischl sehr produktiv, 1838 schrieb er in einem Brief an Emilie von Reinbeck: "Mein Ischler Aufenthalt war bis jezt meiner Poesie sehr zuträglich. Zehn kleinere Gedichte, und ein größeres von circa 400 Versen, die Bearbeitung einer schwedischen Sage in 5 Romanzen, sind entstanden." (Lenau 1990, 42) Er ließ sich bei seinen Naturschilderungen von der Umgebung inspirieren, so etwa beim Gedicht Der schwarze See über den Schwarzensee bei Ischl: "Die Tannenberge rings den tiefen See umklammen / Und schütten in den See die Schatten schwarz zusammen. // Der Himmel ist bedeckt mit dunklen Wetterlasten, / Doch ruhig starrt das Rohr, und alle Lüfte rasten. [...]" (Lenau 1995, 156) Es war nicht nur die Arbeitsatmosphäre, die Lenau in Ischl vier längere Sommeraufenthalte nehmen ließ, ihn trieb die Anwesenheit der geliebten Sophie von Löwenthal (1810-1889) hierher. Seine Verbundenheit mit dem Ort ging so weit, dass er angeblich plante, ein Grundstück zu erwerben.
Ein Jahr nach Lenaus letztem längerem Besuch kam 1842 Franz Stelzhamer erstmals nach Ischl. Seine erste literarische Auseinandersetzung mit dem Ort war durchaus kritisch, in dem Gedicht Ischl prophezeite er eine schlechte Zukunft; ganz anders in dem 1856 verfassten Mundartgedicht Da stoana Brief z'Ischl, das den charakteristischen "Stelzhamer-Ton" anschlägt und der Schönheit der Landschaft huldigt. Die Ischler zeigten sich dankbar und errichteten Stelzhamer ein Denkmal in der Hasnerallee. Ein literarisches Denkmal setzte Adalbert Stifter Ischl in der 1845 erschienenen Erzählung Der Waldsteig: Dem "Badeort", in dem der von seiner Umwelt "Tiburius" genannte Protagonist Genesung sucht (und findet) und in dem er seinem "Erdbeermädchen" begegnet, diente höchstwahrscheinlich Ischl als Vorbild.
Der treueste dichtende Stammgast besuchte den Badeort zwar beinahe vierzig Sommer hindurch, machte Ischl jedoch nicht zu einem literarischen Schauplatz. Diese Anhänglichkeit des Dramatikers Eduard von Bauernfeld (1802-1890) wurde mit der Aufführung seines damaligen Erfolgsstück Das Tagebuch zur Feier des Treffens von Wilhelm II. und Franz Joseph I. im Jahr 1882 am Ischler Theater belohnt. Auch Johann Nestroy (1801-1862) war von Ischl angetan, aber er konnte, im Gegensatz zu Bauernfeld, die Aufenthalte nur wenige Jahre genießen. 1859 kaufte er für seine Lebensgefährtin Marie Weiler ein Haus im Eglmoosgaßl (heute Nestroyweg 2) und verbrachte hier die Sommer seines Grazer Ruhestandes bis zu seinem Tod. Während seiner Schauspielkarriere war er zuvor bereits einige Male im Ischler Theater aufgetreten.
Dass Karl Kraus (1874-1936) ebenfalls innig mit Ischl verbunden war, überrascht vielleicht auf den ersten Blick, war er doch zeitlebens ein überzeugter Städter und verließ Wien nur ungern. Aber die Ischler Landschaft kannte und schätzte er von Kindheit an, die Familie besaß hier ein Sommerhaus. In den 1890er Jahren berichtete er in den Briefen aus Ischl in verschiedenen Wiener Zeitungen über das gesellschaftliche und kulturelle Leben. Er distanzierte sich jedoch in der Fackel bereits 1899 von diesen "sommerlichen Correspondenzen" eines "werdenden Schmocks". 1893 trug er im Theater aus Gerhart Hauptmanns Die Weber, damals noch nicht aufgeführt,vor. Eine Szene in seinem opus magnum, der Tragödie Die letzten Tage der Menschheit (entstanden 1915-22), lässt er in Ischl spielen (V. Akt, 9. Szene): "Der Abonnent" und "der Patriot" spazieren auf der Esplanade und parlieren in Zeitungsphrasen über "das Bündnis", und "der alte Biach" stirbt mit den Worten "Das - is - der Schluß - vom - Leitartikel" (Kraus 2005, 575) vor den Augen der Kurgäste.
Unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg, an dessen Beginn die von Kaiser Franz Joseph (1830-1916) in Bad Ischl verfasste Kriegserklärung an Serbien ("An meine Völker!") stand, verbrachte Jean Améry fünf Jahre seiner ärmlichen Kindheit hier. Für ihn war es eine entbehrungsreiche Zeit, die ihn aber die Schönheit der Natur entdecken ließ - zeitlebens erinnerte er sich, so seine Biografin Irene Heidelberger-Leonard, in schwärmerischer Anhänglichkeit an die Ischler Berglandschaft. Mit Améry und seinem essayistischen Werk fühlt sich wiederum Robert Menasse (geb. 1954) besonders verbunden, 1998 stiftete er den Jean-Améry-Preis für Essayistik. Die beiden brachten zufälligerweise jeweils einen Teil ihrer Schulzeit in Ischl zu. Menasse, in den 1950er und 60er Jahren aufgewachsen, kannte sicher nicht Amérys materielle Not, die Abgeschiedenheit des Salzkammerguts fernab der "eigentlichen" Heimat Wien erfuhren beide wohl ähnlich. Menasse scheint aber in Ischl keine "Naturnähe" gefunden zu haben, woran er sich in dem ironischen Text Ewige Jugend vor allem erinnern kann, ist ein Kinobesuch. Ischl wird für Menasse zu einer absurden Inszenierung: "Jedes Jahr besuchen zigtausende Menschen aus aller Welt Bad Ischl, um an einem Ort Urlaub zu machen, der geprägt ist von Diensteifrigkeit gegenüber Touristen, der aber dabei nur gewillt ist, an einen einzigen Touristen zu erinnern: an den toten Kaiser." (Menasse 2004, 55)
Améry und Menasse: zwei Schriftsteller, für die das Jüdische (für den KZ-Überlebenden Améry gezwungenermaßen) eine große Rolle spielt(e). So gesehen ist es stimmig, dass das einzige jüdische Grab auf dem Ischler Friedhof einem Schriftsteller gehört: Leo Perutz, der 1957 während eines Urlaubs in Ischl verstarb.
Wolfgang Straub
Binna, Albert (Hg.): Bad Ischl. Vergangenheit und Gegenwart des uralten Salzmarktes und heutigen Weltkurortes Bad Ischl. Gmunden, Bad Ischl 1934. - Blumenthal, Oscar; Kadelburg, Gustav: Im weißen Rössl. Berlin 1898. - Blumenthal, Oscar: Die Kunst zu lächeln und Anderes. Berlin 1910. - Braun, Felix: Das Licht der Welt. Wien 1962. - Fischer-Colbrie, Arthur: Sie meinen Bad Ischl. Treffpunkt der Prominenz. Graz u. a. 1966. - Grieser, Dietmar: Eiskaffee für Sisi. Oscar Blumenthal in Ischl. In: Ders.: Nachsommertraum im Salzkammergut. Eine literarische Spurensuche. St. Pölten, Wien 1993, 46-60. - Heidelberger-Leonard, Irene: Jean Améry. Revolte in der Resignation. Eine Biographie. Stuttgart 2004. - Hofmannsthal, Hugo von: Briefwechsel mit Beer-Hofmann 1891-1931. Wien 1992. - Ischler Heimatverein (Hg.): Bad Ischl. Ein Heimatbuch. Linz 1966. - Kraus, Karl: Die letzten Tage der Menschheit. Tragödie in fünf Akten mit Vorspiel und Epilog. Frankfurt/Main 2005. - Lenau, Nikolaus: Werke und Briefe. Historisch-kritische Gesamtausgabe. Hg. von Helmut Brandt. Bd. 6, Teil 1 (Briefe 1838-1847). Wien 1990. - Ders.: Werke und Briefe, a. a. O., Bd. 2 (Gedichte). Wien 1995. - Menasse, Robert: Ewige Jugend. In: manuskripte 163 (2004), 55-57. - Semiller, Gerhard: Bad Ischl - Häuser und Schicksale. Linz 1998. - Schnitzler, Arthur: Tagebuch 1879-1892. Wien 1987. - Stelzhamer, Franz: Ausgewählte Werke. Hg. von Leopold Hörmann. Wien u. a. 1913. - Stifter, Adalbert: Der Waldsteig. In: Ders.: Gesammelte Werke in 14 Bänden. Hg. von Konrad Steffen. Bd. 3 (Studien III). Basel, Stuttgart 1963, 143-215. - Wozonig, Karin: Wie die Eleganz nach Bad Ischl kam und von dort aus weiterzog. Erzählt von Betty Paoli. In: sinnhaft. Journal für Kulturstudien 21 (2008), 6-9.