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Barockliteratur in Oberösterreich

I. Allgemeines

Die Epochenbezeichnung ‚literarischer Barock‘ für die Periode zwischen Reformationszeit und Frühaufklärung ist - obwohl seit einem Jahrhundert üblich und aufgrund der Verbindungen zur darstellenden Kunst und Musik eingängig - irreführend, denn sie suggeriert eine kulturelle Einheit, die schon die konfessionelle Spaltung des deutschen Sprachraums de facto nicht zuließ. Im Habsburgerreich ist barocke Kultur aufs Engste verknüpft mit den Anstrengungen um die Rekatholisierung der Bevölkerung und die Etablierung eines konfessionellen Absolutismus. So gesehen reicht sie gerade in Randgebieten des Reichs weit in das 18. Jh. hinein. Späthumanistische Traditionen und Transferprozesse, wie sie in Oberösterreich vor allem von protestantischen Gelehrten fruchtbar gemacht wurden, traten ab den 1620er-Jahren als Leitkategorien hinter ein Repräsentationskonzept zurück, das in sinnlich-visueller Prachtentfaltung, in der künstlerischen Ausgestaltung einer Sakrallandschaft oder auch in der disziplinierten Körperlichkeit von Prozessionen den Machtanspruch der katholischen Kirche und der durch sie legitimierten Herrschaft untermauerte. In der ‚ernsthaften‘ literarischen Produktion dominierte zunächst wieder das Lateinische, während das ‚lutherisch‘ konnotierte Deutsche vorwiegend in mündlichkeitsnahen Genres verwendet wurde. Die Bemühungen um die Ausbildung einer deutschen Literatursprache fanden nur punktuell Resonanz.

II. Prosa

Besonders instruktiv zeigt sich dieser Paradigmenwechsel am Schaffen eines der maßgeblichen Autoren im Literaturbetrieb zu Beginn des 17. Jh., Hans Ludwig von Kuefstein (1582-1656). Mit seinen Bearbeitungen von Jorge de Montemayors Diana und Diego de San Pedros Cárcel de amor war der aus einer niederösterreichischen Adelsfamilie stammende Protestant einer der bedeutendsten Vermittler romanischer Literatur im deutschen Sprachraum. Sein ‚Liebesbrevier‘ Gefängnüss der Lieb (1625), das sich von der petrarkischen Überhöhung der Quelle durch ein realistischeres Liebeskonzept und eine vorbildhafte Inszenierung höfischer Kultur abhebt, zählte zu den beliebtesten Werken seiner Zeit, wurde achtmal aufgelegt und diente ein halbes Jahrhundert später noch als Vorlage für eine dramatische Adaption. Als Gesandter der evangelischen Stände unternahm Kuefstein mehrere diplomatische Missionen, die er in seinen Diarien festhielt. Karriere aber machte er erst nach seiner Konversion 1627, als ihn Kaiser Ferdinand als Botschafter nach Konstantinopel schickte. Als Anerkennung für seine Dienste, die er im Türkischen Diarium (in einer beim Liebesbrevier erprobten Erzählhaltung) rekapitulierte, wurde er 1630 oberösterreichischer Landeshauptmann, ein Amt, das er bis zu seinem Tod innehatte. Als Übersetzer begegnet uns Kuefstein nur noch einmal; im Christlichen Seneca galt aber sein Interesse nicht mehr dem Schäfer- oder dem höfisch-sentimentalen Roman, sondern der katholischen Inkorporierung antiker Ethik.
Kuefstein ging damit einen konfessionellen Weg, den etwa auch der Hauschronik-Verfasser Georg Christoph von Schallenberg (1593-1657; der Sohn des Christoph von Schallenberg) beschritt, dem sich namhafte Autorenkollegen seiner Zeit jedoch verweigerten: neben den bedeutenden niederösterreichischen Exulanten Greiffenberg, Hohberg und Stubenberg z. B. auch sein Freund Erasmus von Starhemberg (1595-1664), der seinem calvinistischen Glauben treu blieb und nach seiner Ausweisung aus dem Land ob der Enns 1627 zunächst in Wien, dann in Regensburg lebte. 1648 wurde Starhemberg als "der Leidende" in die "Fruchtbringende Gesellschaft"aufgenommen, wie schon im Jahr zuvor Rudolph von Dietrichstein (1603-1649, "der Etzende").
Einer Familie, die unter gegenreformatorischem Druck den Glauben gewechselt hatte, entstammte auch der in Steyr gebürtige (und wohl noch evangelisch getaufte) Jurist und Erfolgsautor Matthias Abele (1618-1677, ab 1665 "von und zu Lilienberg"). Inspiriert von Harsdörffers Schriften, ohne aber deren stark moralischen Impetus zu übernehmen, kompilierte er in seinen fünfbändigen Sammelwerken Seltzame Gerichts-Händel (1651/54) und Vivat Unordnung (1669/75) Kurioses, Heiteres und Beachtenswertes, mit Vorliebe aus dem Rechtswesen, das auch die narrative Struktur vorgab. Obgleich er 1652 als "der Entscheidende" in die "Fruchtbringende Gesellschaft" aufgenommen wurde, unterscheidet sich sein Schreiben mit dezidiert oberdeutschem Duktus, mit nur schwacher ästhetischer Distanz und veralteter Metrik deutlich von den künstlerischen Prinzipien des "Palmenordens". Doch erlaubt gerade die autobiografisch orientierte spätere Erzählsammlung tiefe Einblicke in den Zustand der Gesellschaft unter der Herrschaft Leopolds.
Auch der bedeutendste aus Oberösterreich stammende Barockautor musste aus Glaubensgründen schon früh seine Heimat, die er in seinen Werken immer wieder thematisiert, verlassen. Johann Beer (1655-1700), seinen Zeitgenossen als Konzertmeister, Komponist und Musiktheoretiker bekannt, hatte vor allem in seinen Jugendjahren unter mehreren Pseudonymen überbordend erzählfreudige Unterhaltungsprosa veröffentlicht, die aus einer umfassenden Lektüreerfahrung schöpft. Seine über 20 Romane und Erzählungen greifen Elemente unterschiedlicher Gattungstraditionen auf, die den ‚niederen‘ Roman in der Nachfolge Grimmelshausens ebenso umfassen wie den satirisch gebrochenen höfisch-historischen Roman, die novellistische Rahmenerzählung, die lateinische Gesprächsliteratur oder den Schwank. Im Mittelpunkt steht meist der fabulierende Erzähler, der seine Zuhörer mit einem entlarvenden Blick auf die Missstände der Zeit, aber auch eigene Unzulänglichkeiten unterhalten möchte. In Beers Hauptwerk, dem episodischen Doppelroman Teutsche Winter-Nächte (1682) und Die kurzweiligen Sommer-Täge (1683) verkürzen sich die Protagonisten aus dem oberösterreichischen Landadel ihre Zeit mit einfallsreichen Schelmereien in Praxis und Bericht.
Dass auch die katholische Kanzelrhetorik mit der Einflechtung von Exempeln, Fabeln, Schwänken etc. sich eines stark erzählerischen Moments zur Unterhaltung der Zuhörerschaft bediente, beweisen u. a. die Predigtsammlungen des Schlägler Prämonstratensers Benedikt Fischer (1616-1695), des Linzer Jesuiten Franz Settelin (1623-1675) und des Schärdinger Kapuziners Heribert von Salurn (1637-1700).

III. Drama

Bei der Rekatholisierung des weitgehend protestantischen Landes ob der Enns kam dem Ordenstheater der Jesuiten und der Benediktiner eine besondere Stellung zu. Als (vorwiegend lateinisches) Schultheater zielte es auf eine moralische Prägung, rhetorische Ausbildung und umfassende Wissensvermittlung der Schüler ab, die bei den Prämienverteilungen am Ende des Schuljahrs, bei Besuchen hoher Persönlichkeiten oder auch in den Faschingstagen das Einstudierte öffentlich vorführten. Die beiden Zentren des Jesuitentheaters Linz (1608) und Steyr (1632) folgten durch den regen Lehrkräfteaustausch der allgemeinen Entwicklung im deutschen Sprachraum. Inhaltlich ist die missionarische Absicht nicht zu übersehen: So wird im ersten überlieferten Stück Staurophilus (1614) das beliebte Motiv des verlorenen Sohns bearbeitet; während der Glaubenskriege präsentierte man Märtyrerdramen wie Celsus puer Antiocheus (1631). Seinen Höhepunkt erreichte das Theater des Linzer Kollegs, als der kaiserliche Hof 1680/81 auf der Flucht vor der Pest und 1683/84 wegen der Türkenbedrohung in Linz residierte und mit Ludi caesarei ("Kaiserliche Spiele") unterhalten wurde, die es an Prachtentfaltung mit den Wiener Kolleginszenierungen aufnehmen konnten. Im Repertoire unabhängig zeigt sich das Steyrer Jesuitentheater, von dem keine Dramentexte oder Periochen überliefert sind. Seine erste Premiere beging man programmatisch mit dem Marienverehrungsstück Hermanulus (1633), 1686 feierte man mit dem allegorischen Spiel IEOVA den Sieg über die Türken.
Das Schultheater der Benediktiner war in der Inszenierung der katholischen Glaubensdoktrin weniger kämpferisch. Die wichtigste Bühne besaß das mächtige Stift Kremsmünster, wo 1647 mit der Errichtung eines Theatersaals ein geregelter Spielbetrieb unter dem Pater comicus Ernest Leopold (1623-1689) ermöglicht wurde. Der Eustachio (1673) von Placidus Marstaller (1633-1692) zeigt bereits die hochbarocke Dramenform einer von Allegorien umfassten Haupthandlung, die durch ein fünfteiliges komisches deutschsprachiges Intermedium akzentuiert wird. In seiner ersten Glanzzeit hatte das Stiftstheater zwei Trümpfe aufzuweisen: eine technisch ausgefeilte Großbühne, die man 1676 als Geschenk der Landstände erhalten hatte, und den bedeutendsten Dramatiker des Benediktinerordens, Simon Rettenpacher (1634-1706). Literarisch hoch gebildet, war er als Professor für Ethik und Geschichte an die Salzburger Universität berufen worden, für deren Theater er 1672-74 seine drei wohl wichtigsten Dramen schuf: Demetrius, Atys und Perseus. Nach seiner Rückkehr kam zum 900-Jahr-Jubiläum des Stifts seine monumentale Dramatisierung der Klostergeschichte Callirrhoës ac Theophobi amores (1677) auf die Bühne, drei Jahre später in Anwesenheit des Kaiserpaars das Odysseus-Drama Prudentia Victrix. Beim nächsten Kaiserbesuch 1684 leitete Rettenpacher als Regens chori selbst das Spiel. Bereits 1682 hatte er seine großteils in Alexandrinern gehaltene Frauen-Treu in den Druck gegeben, das erste uns überlieferte rein deutsche Schauspiel des oberösterreichischen Ordenstheaters.
Wenig sichere textuelle Spuren haben im 17. Jh. das Laienspiel und das professionelle Theater in Oberösterreich hinterlassen. Von volkstümlichen Sommer-und-Winter-Spielen, Paradeis-, Krippen- oder Passionsspielen wissen wir zwar aus unterschiedlichsten Quellen, doch sind die Textzeugen - wenn überhaupt erhalten - zumeist Niederschriften aus späterer Zeit, die nur einen vagen Eindruck davon vermitteln, was tatsächlich gesprochen und gespielt wurde. Eine der raren Ausnahmen ist ein offenbar im Innviertel nach der Jahrhundertmitte angelegter handschriftlicher Sammelband mit vier Weihnachtsspielen (heute in der Staatsbibliothek zu Berlin), den frühesten Beispielen für den charakteristischen Wechsel zwischen standardsprachlicher Gestaltung des biblischen Weihnachtsstoffs und dialektaler Akzentuierung in den Bauernszenen. Dass englische Wandertruppen auch in Oberösterreich Station gemacht haben, ist belegt; ob die Engellendische Comedia von einer tugendhaften Bäuerin, die sich in einem Sammelband der Brüder Georg Christoph und Wolf Christoph von Schallenberg (Stadt-, Landes- und Universitätsbibliothek Dresden) erhalten hat, tatsächlich auch hier gespielt wurde, bleibt ungeklärt. Von den bedeutenden deutschen Theatertruppen gastierten neben den Innsbrucker Komödianten und der Kompanie des Jakob Kuhlmann vor allem die berühmten Eggenbergischen Hofkomödianten, die auch den Rieder Johann Manduk in ihren Reihen hatten, häufig in Linz. Das Repertoire dieser 1675-91 in Krumau stationierten, dann ambulanten Schauspieler ist gut erforscht und gibt einen lebendigen Eindruck davon, was das Publikum damals zu sehen bekam.

IV. Lyrik

Im Bereich der Lyrik hat die barocke Gelehrtendichtung zunächst nur wenig aufzubieten, das sich mit der neulateinischen Dichtung der an der 1624 aufgehobenen Linzer Landschaftsschule lehrenden Späthumanisten wie Georg Calaminus, Matthias Anomoeus oder Daniel Hitzler messen könnte. Poetische Begabung zeigen die Hexameter-Marienanrufungen in Asma poeticum litanarum Lauretanarum (1636), die der Präfekt des Linzer Jesuitengymnasiums, der gebürtige Kärntner Peter Stergler (1595-1642) vorlegte. Bedeutender noch als Mariendichter war der Kapuziner Prokop von Templin (1609-1680), der seinen Lebensabend in Linz verbrachte, wo er Jahrzehnte zuvor schon als wortgewandter Prediger gewirkt hatte. Galten Prokops deutsche Gesänge seiner Zeit sprachlich als vorbildlich, zeigen sich die eingestreuten eigenen Gedichte in Abeles Kompilationen weitgehend noch einer altertümlichen silbenzählenden Verstechnik verpflichtet, die allerdings auch eine recht eigenständige, gewagte Rhythmik aufweisen kann. Ein vollendeter Stilist ist dagegen Rettenpacher, dem in seinem Poetischen Tagebuch (mit über 6000 Gedichten) alles zu lateinischen Versen gerinnt. Auch seine Zugab und Teutschen Reim-Gedichte sind am antiken Vorbild geschult, folgen dabei aber den metrischen Regeln der Literaturreformer, wenn auch in stark oberdeutscher Prägung. Volkstümliches Forminventar, vor allem die metrischen Charakteristika der mündlichen Vierzeilerkunst klingen in vielen der Sprichwort-Ausdeutschungen an, die der aus dem Mühlviertel stammende Arzt und poeta laureatus caesareus Adam Lebaldt (1624-1696, ab 1659 "von und zu Lebenwaldt") in seinen Adagia selecta (1684/85) vorlegt. Sie belegen, wie tief auch noch die Gelehrtenliteratur in einer heute weitgehend verlorenen Alltagspoesie verwurzelt war.

Christian Neuhuber

 

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Stand: 4.11.2015