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Braunau

© Ansichtskartensammlung Stift St. Florian

Die am Inn gelegene Stadt (Innviertel) zählt 16.396 Einwohner und liegt auf 352 m.

Braunau am Inn besteht aus den Katastralgemeinden Braunau, Osternberg und Ranshofen, das bereits 788 erstmals urkundlich erwähnt wird; hier könnte Wernher der Gartenaere seinen Meier Helmbrecht (um 1250) verfasst haben, so sieht es auch Alois Brandstetter in seinem Roman Der geborene Gärtner (2005). "Prouunaw" selbst wird erst 1120 aktenkundig, erhält aber bereits 1260 das Stadtrecht. Dies verdankt Braunau vor allem der verkehrsgünstigen Lage am Inn, etwa auf halbem Weg zwischen den katholischen Machtzentren Salzburg und Passau.
"Braunau am Inn: älter Prunouwe, 'Au des Bruno' [...]. Grab des Buchhändlers Joh. Ph. Palm, den Napoleon als den Verleger der Schrift Deutschland in seiner tiefsten Erniedrigung im Jahre 1806 hier erschießen ließ. - Geburtsort des Führers." (Schiffmann 1939, 11) So ist in Konrad Schiffmanns Die Stationsnamen der Bahn- und Schiffahrtslinien in Oberdonau aus dem Jahr 1939 zu lesen - und das sind bis heute die beiden Konstanten geblieben, unter denen Braunau wahrgenommen wird. Was den Nachsatz betrifft, den Schiffmann für die sechste Auflage, den Zeitläufen gemäß, willig anhängte, war es der österreichische Autor Hans Habe (1911-1977), der im Auftrag der Wiener Sonn- und Montagszeitung 1932 als erster vor Ort - auch im Wirtshaus, das sich im Erdgeschoß von Adolf Hitlers Geburtshaus befand - Ahnenforschung betrieb und entdeckte, dass Hitlers Vater ursprünglich Schicklgruber hieß, wie Habe in seiner Autobiografie Ich stelle mich (1954) berichtet (vgl. 218).

Den Napoleonischen Kriegen hingegen verdankt Braunau seinen Eintrag in die Weltliteratur: Der zweite Teil des ersten Bandes von Leo Tolstois Roman Krieg und Frieden (1868/69), spielt im Oktober 1805 in und um Braunau. In der Stadt schlägt der russische Oberbefehlshaber Kutusow sein Hauptquartier auf, südlich davon richten sich die russischen Regimenter "trotz der unrussischen Landschaft [...] - Obstgärten, steinerne Umfassungsmauern, Ziegeldächer und Berge am Horizont" (Tolstoi 1999, 144) - ein. Hier unieren sich in der Folge die von der Schlacht bei Ulm übrig gebliebenen österreichischen Truppen mit den Russen, und gemeinsam ziehen sie sich Richtung Wien zurück. Der nachrückende Napoleon soll knapp vor Braunau, in Kühberg bei Burgkirchen, den "Mittelpunkt Europas" ausgerufen haben, wo heute noch ein Gasthof diesen Namen trägt. Beim Rückzug ließ Kutusow die hölzerne Innbrücke abfackeln. Als der leidenschaftlich reisende Beamte Joseph Kyselak (1799-1831), der allerorten seinen Namenszug zurückzulassen pflegte, 1825 nach Braunau kam, war die Brücke längst wieder aufgebaut. Kyselak rühmte die "freundliche Gränzstadt" (Kyselak 1982, 210) vor allem ihrer vielen Bierbrauereien wegen. "Die ungemein breite, mit Springbrunnen versehene Hauptgasse [...] strotzet von guten Wirthshäusern. So oft ich noch Braunau besuchte, fand ich diese [...] ziemlich belebt" (ebd.). Das hat auch mit der Eigenschaft Braunaus als Kutschenstation zu tun: Der Schiffsweg war nur die Donau abwärts eine praktikable Option, die schnellste Transitroute Wien-München führte via Braunau; "der Eilwagen auf dem nächsten Wege über Braunau nach München [...] fährt erst am Mittwoch Abends 5 Uhr von hier ab" (Uhland 1914, 110), schreibt Ludwig Uhland am 6. August 1838 aus Wien an seine Frau Emma.

Braunau bzw. das gegenüberliegende Simbach scheinen auch als eine Art österreichisches Gretna Green fungiert zu haben. Johann Nestroy (1801-1862) beschreibt diese Rolle in seiner turbulenten Verkleidungsposse Umsonst (1856). "Reisen Sie scheinbar gutwillig mit Ihrem Vormund ab [...] und bewegen Sie ihn, in Braunau Nachtquartier zu nehmen. [...] wir fliehen in das nächste Ausland und heiraten uns gleich über der Grenze fürs ganze Leben" (45), rät der in Steyr engagierte Provinzschauspieler Arthur seiner angebeteten Emma, deren Vormund andere Heiratspläne vorsieht. Der dritte Akt spielt in der Schenke des Braunauer Wirtes Sauerfaß, und die verschiedenen Paare nutzen die nahe Grenze, um sich jenseits des Inn rasch und unkompliziert trauen zu lassen. Auch der kleine Grenzverkehr spielte zu allen Zeiten eine gewisse Rolle. Barbara Bronnen (geb. 1938) berichtet in ihrem autobiografischen Roman Die Tochter (1980) von Hamsterfahrten aus Bad Goisern, wo ihr Vater Arnolt Bronnen nach 1945 kurzfristig Bürgermeister war; per Fahrrad ging es nach Braunau - immerhin gut 80 km - und über die Grenze; die ergatterten Lebensmittel schmuggelten bestochene Zöllner in ihren Zillen über den Inn.

Evelyne Polt-Heinzl

 

Brandstetter, Alois: Der geborene Gärtner. Roman. München 2005. - Bronnen, Barbara: Die Tochter. Roman. München u. a. 1980. - Habe, Hans: Ich stelle mich. Meine Lebensgeschichte. Wien 1954. - Kyselak, Joseph: Zu Fuß durch Österreich. Skizzen einer Wanderung nebst einer romantisch pittoresken Darstellung mehrerer Gebirgsgegenden und Eisglätscher  unternommen im Jahr 1825. Nachgegangen und nachgedacht von Ernst Gehmacher. Wien 1982. - Nestroy, Johann: Umsonst. Eine Posse. Hg. von Peter Branscombe. Wien 1998 (= Ders.: Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Hg. von Jürgen Hein, Bd. 35). - Schiffmann, Konrad: Die Stationsnamen der Bahn- und Schiffahrtslinien in Oberdonau. 6. Aufl. Linz 1939. - Tolstoi, Leo: Krieg und Frieden. Übers. von Werner Bergengruen. Nachw. von Heinrich Böll. 2 Bde. München 1990. - Uhland, Ludwig: Briefwechsel. Hg. von Julius Hartmann. 3. Teil (1834-1850). Stuttgart u. a. 1914.