Der Protagonist des 1985 bei den Salzburger Festspielen uraufgeführten Stücks ist der Staatsschauspieler Bruscon, der mit seinen beiden Kindern und seiner Frau in einem Dorfgasthof in Utzbach seine Menschheitskomödie "Das Rad der Geschichte" aufführen will. In langen Tiraden ereifert er sich über die Verkommenheit der noch immer dem Nationalsozialismus anhängenden österreichischen Bevölkerung, die Talentlosigkeit seiner Kinder und die Geistfeindlichkeit des Weiblichen. Letztlich kommt die Vorstellung gar nicht zustande; das Vorhaben, der ganzen Welt eine "Geschichtsstandpauke" (156) zu halten, scheitert an der bei Bernhard häufig demonstrierten Übermacht der Natur: ein Gewitter verursacht einen Brand im Pfarrhof, die Menschen laufen aus dem Wirtshaussaal und ziehen das reale Spektakel der dramatischen Kunst vor.
Wer Bernhards Familiengeschichte kennt, wird die Beziehungen Bruscons zu den Mitgliedern seiner Familie und seinen Auslassungen über die Unterdrückung des genialen Einzelnen durch die Gesellschaft und die Frauen mit dem Vorbild seines Großvaters Johannes Freumbichler (1881-1949) assoziieren. Vor diesem autobiografischen Hintergrund entfaltet der Autor jedoch ein tragikomisches Spiel über die Tyrannei eines Kunstbesessenen, der seine Umgebung in den Dienst einer unbeirrbar verfolgten Idee stellt, das sich auch als "Gleichnis über die Kunst in einer kunstfeindlichen Welt" lesen lässt (Höller 1993, 126) - wobei es sich konkret um die Kunstferne der Provinz handelt, die in Gestalt realer oberösterreichischer Ortsnamen wie Mattighofen oder Gaspoltshofen präsent ist.
Thomas Bernhards Stück, das von allen seinen Dramen mit Abstand die meisten Neuinszenierungen erfuhr, enthält - als tragendes inhaltliches Element - deutliche Anspielungen auf den berühmten "Notlicht-Skandal" im Zusammenhang mit der Salzburger Uraufführung von Der Ignorant und der Wahnsinnige (1972), als wegen der Weigerung der Festspiele, den Theaterraum am Ende vollständig zu verdunkeln, nur eine einzige Vorstellung über die Bühne ging; im Theatermacher wird Bruscons analoge Forderung vom dörflichen Feuerwehrhauptmann jedoch anstandslos genehmigt - zur erkennbaren Enttäuschung des Schauspielers, dessen Stück nicht einmal mehr auf diese Weise Aufsehen zu erregen vermag.
Manfred Mittermayer
Der Theatermacher. Frankfurt/Main 1984.
Gamper, Herbert: Theatermachen oder Schlußmachen. Zu Thomas Bernhards Stück Der Theatermacher. In: Der Theatermacher. Programmbuch des Württembergischen Staatstheaters Stuttgart 1990. - Höller, Hans: Der Theatermacher. Zur Poetik Thomas Bernhards. In: "Verbergendes Enthüllen". Zu Theorie und Kunst dichterischen Verkleidens. Festschrift für Martin Stern. Hg. von Wolfram Malte Fues und Wolfram Mauser. Würzburg 1995, 399-408. - Ders.: Thomas Bernhard. Reinbek bei Hamburg 1993. - Holzner, Johann: Dramaturgie der Mitleidlosigkeit. Thomas Bernhards Theatermacher. In: Zagreber Germanistische Beiträge 1994, Beih. 2, 21-26. - Klug, Christian: Thomas Bernhards Theaterstücke. Stuttgart 1991. - Krammer, Stefan: Der Theatermacher Thomas Bernhard. Dramapädagogische Anregungen für den Unterricht. In: ide. Informationen zur Deutschdidaktik, Zeitschrift für den Deutschunterricht in Wissenschaft und Schule 29 (2005), H. 4: Thomas Bernhard. Hg. von Manfred Mittermayer, Eva Maria Rastner und Werner Wintersteiner, 88-97. - Meyerhofer, Nicholas J.: The laughing Sisyphus: reflections on Bernhard as (self-)dramatist in light of his Der Theatermacher. In: Modern Austrian Literature 21 (1988), H. 3/4, 107-115. - Mittermayer, Manfred: Thomas Bernhard. Stuttgart, Weimar 1995, 163f. - Roth, Friedhelm: "Das Gewesene ist es / das Fortwährende Gewesene". Thomas Bernhard: Der Theatermacher. In: Deutsches Drama der 80er Jahre. Hg. von Richard Weber. Frankfurt/Main 1992, 15-34.