Im Dialekt zu dichten, ist eine bewusste Entscheidung, die die herkömmliche Aufgabenteilung in einer Gesellschaft mit sprachlicher Mehrschichtigkeit unterwandert. Die kodifizierte Standardsprache deckt als überregionale Norm in Rede und Schrift alle Bereiche des Öffentlichen ab, so auch die meisten kulturellen Belange. Der auf Mündlichkeit beruhende Dialekt dagegen ist prinzipiell der privaten Sphäre vorbehalten. Wird er dennoch künstlerisch verwendet, dann aus vielerlei Gründen: als Mündlichkeitsfiktion oder stilistische Akzentuierung, zur Figurencharakterisierung und Kontextualisierung, zur Zielgruppenansprache oder ironischen Distanzierung, zur Betonung von Ursprünglichkeit und Emotionalität, als Spiel mit der Dechiffrierlust der Lesenden, Verfremdungseffekt und vieles mehr.
Kaum eine andere Region im deutschen Sprachraum kann auf eine derart ausgeprägte und hochwertige Dialektdichtung verweisen wie Oberösterreich - nicht zufällig ist auch seine Landeshymne in Mundart. Regiolektale Sprachfärbung im Kontrast zu einem sich ausbildenden Standard findet sich hier ab Mitte des 17. Jh. literarisiert, wobei die Verschriftlichung höchst unterschiedliche Formen zwischen quasi-authentischer Nachbildung der Lautung und an standardsprachlicher Orthografie orientierter Lesefreundlichkeit annehmen kann. Der Steyrer Jurist Matthias Abele etwa markiert die dialektale Realisierung seines ironischen Bauernlieds Es gehört nur Kraut für die Bauren-Haut (1673) mit der Anweisung: "wie die Bauren im Land ob der Enns zu reden oder zu fretschlen pflegen". Deutlich stärker auch im Schriftbild tritt der Dialekt im Linzer Faschingssingspiel Rockhenstuben und Mayrhoff (1684) zutage, in dem sich die Kaiserschwester Eleonora mit den Hofdamen als Bäuerin unter ihren Mägden inszenierte (Autor war wohl Christoph Leopold von Thürheim). Eine möglichst lautgetreue Literarisierung des Basisdialekts begegnet uns im satirischen Monolog Des Paurn Mündtliche provocation aus dem Anhang eines im Innviertel angelegten handschriftlichen Sammelbands mit Weihnachtsspielen. Bauernspott, Sozialcamouflage und Volksreligiosität sind denn auch die wichtigsten Verwendungsbereiche dialektaler Dichtung im 17. Jh.
Im Spanischen Erbfolgekrieg (1701-14) wird erstmals auch das agitatorische Potenzial dialektaler Rede gezielt genutzt: Mit Flugschriften wie Ländlä Sittlä (1704) appellierte der unter dem Autorenkürzel J.C.M. firmierende "Gerichts-Schreiber von Efferting" an die patriotische Gesinnung der oberösterreichischen Bauern. Nach vereinzelten Liedeinlagen in lateinischen Schulkomödien kamen in den 1740er-Jahren - ausgehend von der Salzburger Universität - durchkomponierte Mundartintermedien mit derbkomischer Handlung bei den Benediktinern in Mode. Die bedeutendste Ordensbühne besaß Kremsmünster, wo dialektale Arien, Szenen und ganze Stücke aus den Federn von Nonnos Stadler, Johannes Weylgoune, Theophil von Dückern, Matthias Pregg oder Beda Plank zur Aufführung kamen. Auch nach dem Verbot der Finalkomödien hielten gelehrte Patres wie Leo Peternader, Basilius Heuman, Matthias Höfer oder Leopold Koplhuber die Mundart poetisch hoch. Nicht nur Oberösterreichs, sondern Österreichs wirkungsmächtigster Dialektautor des 18. Jh. hatte jedoch in Lambach seine Gelübde abgelegt: P. Maurus Lindemayr. Dass nicht nur Konventualen als Mundartdichter im Ordensumfeld hervortraten, zeigt das Œuvre seines Bruders, des ‚Stadlschreibers‘ Peter Gottlieb Lindemayr.
Mit Maurus Lindemayr intensivierten sich sozialkritische Töne in der Mundartdichtung; nur selten aber sind uns tatsächlich rebellische Lieder wie das anonyme Weegmacherliedt (1772) überliefert, das mit Gewaltfantasien gegen die Robotaufseher in Hall (Bad Hall) schließt. Viel häufiger stehen herrschaftsaffirmative Intentionen im Vordergrund, zumal an der krisengebeutelten Jahrhundertschwelle. Ob in Huldigungsliedern, Gratulationstexten oder in vaterländischen Stücken wie Wenzel Blimas Das Land ob der Enns (1795) - stets werden die treue Gesinnung des Landvolks bzw. die Güte und Gerechtigkeit der Obrigkeit im ‚aufrichtigen‘ Mundartausdruck hervorgehoben. Solche Schriften konnten mit einer offiziellen Drucklegung rechnen, ganz im Gegensatz zum Großteil dialektaler Dichtung aus dieser Zeit, die uns zumeist nur in unautorisierten Abschriften oder Flugschriften vorliegt. Die sprachlichen Normierungsbemühungen und die intellektuelle Orientierung an Mittel- und Norddeutschland hatten zu einer gründlichen Desavouierung des mundartlichen Ausdrucks im Jahrhundert der Aufklärung geführt. Von den Sprachpuristen als Sprache der Ungebildeten stigmatisiert, sollten Regio- und Dialekte letztendlich ausgemerzt werden.
Das (u. a. durch Johann Georg Hamann, Johann Gottfried Herder und die Romantiker geweckte) Interesse an Volksdichtung und an der Mundart als ‚ursprünglicher‘ Sprache der ‚Heimat‘ bewirkte jedoch zu Beginn des 19. Jh. eine neue Wertschätzung dialektaler Dichtung. Einzelne Sammelbemühungen (Anton Ritter von Spaun, Joseph Sonnleithner) versuchten zumindest ansatzweise, den Reichtum der oralen Kunst zu sichern, und berücksichtigten mit dem Fokus auf Brauchtumspoesie nun auch genuin dialektale Kleinformen wie das Gstanzl (auch wenn wichtige Bereiche wie das sexuell konnotierte Lied dabei weitgehend ausgeblendet wurden). Im Biedermeier fand neue Dialektlyrik als scheinbar authentische Volkspoesie in den literarischen Salons begeisterten Zuspruch. Franz Stelzhamer, der sich zum homo viator einer bäuerlichen Gefühlskultur stilisierte, setzte mit seinen Liedern in obderenn'scher Volksmundart (1837) neue Maßstäbe in der literarischen Gestaltung des Dialekts. Mit seinen oft sentimental verbrämten Natureindrücken, Alltagsszenen und Kindheitserinnerungen, mit Bildern vom ländlichen Leben und Erleben fand er rasch poetische Mitstreiter und Nachahmer wie Sebastian Haydecker, Anton Schosser, Josef Theodor Fischer, Karl Adam Kaltenbrunner oder Josef Moser. Schon ab der Jahrhundertmitte aber verlor sich der Reiz sprachlicher Provinzialismen wieder, wohl auch aufgrund des Wusts an heimatverklärender Folkloredichtung, die durch ‚Nationalsänger‘ verbreitet wurde.
Um eine frühe Bestandsaufnahme oberösterreichischer Dialektdichtung verdient machte sich das Freundestrio Anton Matosch, Hans Zötl und Hans Commenda (Stelzhamerbund), das 1885 den ersten Band des 31-teiligen Sammelwerks Aus dá Hoamát veröffentlichte, mit Werken der wichtigsten Autoren, darunter auch der Dramatiker Franz Keim oder der Priesterdichter Norbert Purschka, Markus Holter, Ferdinand Margelik und Norbert Hanrieder, der mit Der oberösterreichische Bauernkriag (1895) das vielleicht bedeutendste Epos der bairisch-österreichischen Mundartdichtung schuf. Um die Sammlung und Wiederbelebung religiöser Dialektdichtung bemühte sich zur selben Zeit der Sternsinger-Bund um Sigmund Fellöcker, Eduard Zöhrer, Wilhelm Pailler und Anton Reidinger (dem wir auch Es wird scho glei dumpa verdanken).
Zötls Kommentare in der Aus dá Hoamát-Reihe belegen, wie Mundartdichtung zu Beginn des 20. Jh. - ausgehend von einem politisierten Heimatbegriff - immer stärker auch in den Dunstkreis (sprach-)nationalistischer Ideologien geriet. Die "angestammte heimatliche Art zu schützen" war denn auch Ziel des 1908 gegründeten Bundes oberösterreichischer Mundartdichter unter Leitung der Steyrer Jugendfreunde Gregor Goldbacher und Karl Mayer, der die Arbeit des Stelzhamerbundes mit der Förderung gegenwärtiger Dialektliteratur ergänzen sollte. 120 Mundartautoren wurden in den drei Jahrbüchern (Hoamátgsang 1910/1920/1930) mit Kurzbiografien und Werken von sehr unterschiedlicher Qualität präsentiert. Es sind großteils epigonale Arbeiten oder Adaptionen traditioneller Genres, die sich nur selten tatsächlich völkisch-nationaler Gesinnung verpflichtet zeigen. Hervorzuheben sind Humoristen wie Otto Pflanzl oder Franz Hönig, die die schriftlich codierte Nähesprachlichkeit des Dialekts für komische Effekte nutzen. Auch zehn Autorinnen begegnen uns, darunter die Erzählerinnen Susi Wallner und Fanny Kaltenhauser. Allgegenwärtig ist der Stelzhamer-Kult, den schon Hermann Bahr mit seinem Dialektstück Der Franzl (1900) beförderte und der noch von den Nationalsozialisten gezielt eingesetzt wurde.
Die assoziative Nähe zur Blut-und-Boden-Ideologie, ihr idyllisierender Traditionalismus, die politische Instrumentalisierung durch Heimatkunstbewegung und NS-Regime sowie letztendlich auch eine versäumte kritische Auseinandersetzung mit NS-Autoren wie Hans Schatzdorfer (Mein Führá, schaff' an), Franz Resl oder Karl Itzinger (dessen Frankenburger Würfelspiel bis heute in einer überarbeiteten Fassung aufgeführt wird), brachten die Dialektdichtung nach 1945 in intellektuellen Kreisen in Verruf. Daran konnten auch wissenschaftliche Crossovers wie Otto Jungmairs Das Spiel vom Helmbrecht-Moar (1947) oder Alois Grasmayrs Faustbüchl (1949) nichts ändern. Erst mit den Sprachexperimenten der Konkreten Poesie, die ihren semantischen und phonetischen Reichtum für verfremdende und decodierende Effekte nützte, erfuhr die Mundart als literarisches Mittel neue Wertschätzung. Wichtige Anregungen kamen hier von Friedrich Achleitner, der 1959 mit H.C. Artmann und Gerhard Rühm den Gemeinschaftsband hosn rosn baa vorlegte. Die literarische Sensation von 1972 war der Bauernroman Weilling Land und Leute aus der Feder des ‚Großbauern‘ Max Maetz, der in stilisierter Umgangssprache mit Dialekteinschlüssen aus seinem angeblichen Leben berichtete - eine witzige Mystifikation, mit der Karl Wiesinger die sensationslüsterne Verlags- und Kulturlandschaft düpierte. Seit den 1980er-Jahren dient progressiven Autoren wie Walter Pilar oder Hans Kumpfmüller die Widerständigkeit des Dialekts als Deautomatisierungsverfahren für ihre literarischen Schlaglichter. Dass sich auch der Stelzhamerbund für ‚neue mundart‘ öffnete, zeigt etwa das Werk Joschi Anzingers. Die genuine Verbindung von Dialekt und Musik findet im experimental-folkloristischen Sprachspiel der Gruppe Attwenger (Markus Binder und Hans-Peter Falkner) ihren momentan reizvollsten Ausdruck.
Christian Neuhuber
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Stand: 12.11.2015