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Enrica von Handel-Mazzetti

Die Autorin in ihrer Linzer Wohnung, 1928; © Adalbert-Stifter-Institut / StifterHaus

Geb. 10.1.1871 in Wien, gest. 8.4.1955 in Linz.
Als bedeutende Vertreterin des historischen Romans im Umfeld katholischer Literaturproduktion war sie zwischen 1905 und 1930 im gesamten deutschen Sprachraum bei Kritik und Publikum erfolgreich, das Werk kreist thematisch um den Kampf zwischen Katholizismus und Protestantismus, Martyrium und Jungfräulichkeitsideal, eingebettet in ein vor allem durch den Sprachduktus (Kunstsprache aus historischem Material, Dialekt und Eigenschöpfungen) und durch intensives Quellenstudium gestaltetes Zeitkolorit.

Enrica von Handel-Mazzetti wird als zweite Tochter von Heinrich Freiherr von Handel-Mazzetti und Irene (geb. Csergheö von Nemes-Tacskánd) in Wien geboren, als posthumes Kind des bereits 1870 verstorbenen Vaters. Nach gravierenden gesundheitlichen und psychischen Problemen wird die Mutter im Februar 1886 aufgrund "gerichtlich erhobenen Wahnsinns" entmündigt und in die niederösterreichische Landesirrenanstalt eingewiesen; für die Schwestern Elvira und Enrica übernehmen zuerst der Großvater väterlicherseits, dann der Onkel, Anton von Handel-Mazzetti, die Vormundschaft. Die Mädchen verbringen nach bürgerlicher Schule und Hausunterricht das Schuljahr 1886/87 im Institut der Englischen Fräulein in St. Pölten. Nach ersten Schreibversuchen bereits in frühester Kindheit entstehen nun etliche Theaterstücke, die im Rahmen von Schulaufführungen inszeniert werden.

Mit Arbeiten für eine Vielzahl katholischer (Familien-)Zeitschriften und für die Wiener Zeitung, wo sie auf Friedrich Uhl (1825-1906), den Schwiegervater August Strindbergs trifft, erschreibt sich Handel-Mazzetti ab den 1890er Jahren eine Identität im Spannungsfeld zwischen prophetisch begabter Charismatikerin und strategisch agierender Erfolgsdichterin. Infolge einer Rezension, die ihren ab 1904 in der Zeitschrift Hochland in Fortsetzungen erschienenen Roman Jesse und Maria als schädlich, weil protestantenfreundlich bezeichnet, gerät die Autorin - trotz zahlreicher Verteidiger in einflussreichen katholischen Kreisen - in den Verdacht des "Modernismus"; die Indizierung des Textes droht. Während Dichterkollege Peter Rosegger (1843-1918), der sich selbst wiederholt Vorwürfen von katholischer Seite ausgesetzt sieht, Handel-Mazzetti bescheinigt: "nie ist ein Roman mit einer männlicheren Kraft geschrieben worden, als diese zwei stahlharten, glutsprühenden Bücher. [...] Der Dichter - fürwahr, diese Frau muss man als Mann vorführen, als ganzen! - hat eine Erzählform gewählt, wie man sie wirksamer nicht denken kann" (Rosegger 1906, 621ff.), mehren sich die kritischen Stimmen der Ultramontanen.
Insbesondere der differenzierte Umgang mit protestantischen Protagonisten und die nicht immer eindeutig positive Zeichnung des katholischen Figurenrepertoires hatten bereits nach der Publikation von Meinrad Helmpergers denkwürdiges Jahr (1897-99, Buchausgabe 1900), über weite Teile angesiedelt im Benediktinerstift Kremsmünster, Zweifel an der orthodoxen Haltung von Handel-Mazzetti geweckt. Im Umfeld von Carl Muths Hochland, einer reformerisch ausgerichteten Zeitschrift, in der Muth sein unter dem Pseudonym "Veremundus" 1898 formuliertes Kunstverständnis (Steht die katholische Literatur auf der Höhe der Zeit?) verwirklichen wollte, geriet Handel-Mazzetti ins Zentrum der sogenannten Modernismusdebatte. Mit dem ungewöhnlichen Schritt einer öffentlichen Erklärung in Form eines Unterwerfungsaktes unter die Autorität des Papstes auch in ästhetischen Fragen (abgedruckt in einer Reihe von deutschsprachigen Tageszeitungen) kann sie ihre persönliche Integrität und die des Werkes erfolgreich absichern. Ausgestattet mit einem Anerkennungsschreiben von Pius X. begreift die Dichterin Schreiben als Sendung und setzt als "Jeanne d'Arc der deutschen Literatur", so der Dichter Maurice Reinhold von Stern, ihre Arbeit an umfangreichen "Barock-Romanen" fort. 

Nach den sogenannten Steyr-Romanen Die arme Margaret (1908/09, Buchausgabe 1910) und dem in drei Bänden abgehandelten Schicksal der Stephana Schwertner (1912/13, Buchausgabe 1912-14) führen die Trilogie um den Jenaer Burschenschafter und Theologiestudenten Karl Ludwig Sand, Mörder des August von Kotzebue (Rosenwunder, Deutsche Passion und Blutzeugnis) sowie die ebenfalls dreiteilige Geschichte um Frau Maria "aus der Zeit August des Starken" (Das Spiel von den zehn Jungfrauen, Das Reformationsfest, Die Bluthochzeit) die Autorin zum Höhepunkt medialen Interesses und zu konstant hohen Auflagenzahlen. Aufsehen in der Presse erregt 1911 die auf beiden Seiten erbittert geführte Kontroverse mit Karl Schönherr (1867-1943), der von Bewunderern Handel-Mazzettis mit seinem Werk Glaube und Heimat (1910) des Plagiats an der Armen Margaret bezichtigt wird.
Charakteristisch für die Trilogien sind vor allem expressiv gestaltete dramatische Einzelszenen, die die eher additiv angelegte Erzählstruktur beleben, dabei allerdings deutliche Nähe zur Trivialliteratur zeigen. Bemerkenswert scheint in den zahlreichen Dialogszenen insbesondere der Gebrauch eines Dialekts, der sich weder regional noch sozial festmachen lässt, jedoch konsequent archaisierend angewendet wird (Ebner u. a. 1991, 409). Historische Sprachformen werden angereichert mit historisierenden Diminutiva, die der häufig kindlichen Zeichnung der Helden korrespondieren.
Breit ausgemalte, zum Teil "blutrünstige" Szenarien widmen sich der Auseinandersetzung um Glaube und Unglaube, Bekehrung, Schuld und Reue. Mit dem Themenkomplex um Rita, eine ehemalige Klosterschülerin, die an den Verheiratungsversuchen durch die Eltern zerbricht (gestaltet nach Vorstufen im Kolportageroman Brüderlein und Schwesterlein und in Ritas Briefe; Fortsetzung des Stoffes im Freimaurerroman Ritas Vermächtnis), verarbeitet Handel-Mazzetti unter anderem auch autobiografische Erfahrungen aus der St. Pöltener Zeit zu einem Ideal weiblichen Seins in einer zeitgenössischen Handlungswelt.

Mit dem Untergang der Monarchie verliert Handel-Mazzetti an ideologischem Terrain, das Publikumsinteresse beginnt - trotz vermehrter Produktion - langsam zu sinken. Nach karitativem Engagement während des Ersten Weltkrieges und im Rahmen einer Hilfsaktion für die Kinder von Steyr kommt es zum persönlichen Rückzug. Ein letzter längerer Aufenthalt außerhalb von Linz, wohin Handel-Mazzetti 1911 mit dem Onkel und der Tante Louise von Handel-Mazzetti gezogen war, bringt im niederösterreichischen Wallfahrtsort Maria Taferl eine nächtliche "Begegnung" mit dem Lyriker Johann Christian Günther (1695-1723), von der Dichterin dokumentiert in einer programmatischen umfangreichen Einleitung zum gleichnamigen Werk.
Die Linzer Wohnung auf der Spittelwiese 15 verlässt die Dichterin ab Beginn der 20er Jahre nur mehr selten, das soziale Leben, bereits bisher vornehmlich in einer unglaublichen Zahl von privaten Korrespondenzen und öffentlichen Briefen gestaltet, reduziert sich zunehmend auf das Schreiben. Ab 1933 ist Enrica von Handel-Mazzetti Mitglied des Reichsverbandes deutscher Schriftsteller, sie engagiert sich mit Gnadengesuchen für katholische Geistliche, ab Anfang der 40er Jahre werden keine Werke von ihr mehr gedruckt. Die politische Haltung ist gekennzeichnet von Weltferne, Naivität und Verunsicherung. Die letzten historischen Romane um den Starhemberger Grafen Reichard (Die Waxenbergerin, Der Held vom Eisernen Tor, Im stillen Linz, Held und Heiliger) erscheinen kriegsbedingt über einen Zeitraum von mehr als einem Jahrzehnt und können nicht mehr an frühere Erfolge anknüpfen. Als die Dichterin am 8. April 1955, einem Karfreitag, stirbt, ist sie, trotz etlicher Wiederauflagen und Volksausgaben von der Literaturkritik beinahe vergessen.
Ihr umfangreicher Nachlass wird als Handel-Mazzetti-Archiv der bundesstaatlichen Studienbibliothek Linz (Oberösterreichische Landesbibliothek) übergeben, ab den 70er Jahren erfolgt die erste Erschließung und der Transfer ins Adalbert-Stifter-Institut des Landes Oberösterreich (Oberösterreichisches Literaturarchiv im StifterHaus), wo - wie testamentarisch verfügt - auch die Urheberrechte durch das Land Oberösterreich verwaltet werden.

Petra-Maria Dallinger

 

Meinrad Helmpergers denkwürdiges Jahr. In: Die christliche Familie, mit der Beilage Das gute Kind 11-13 (1897-99), Stuttgart 1900. - Jesse und Maria. In: Hochland 3 (1905/06), Kempten 1906. - Die arme Margaret. In: Deutsche Rundschau 34/35 (1908/09), Kempten 1910. - Stephana Schwertner: Unter dem Richter von Steyr, Das Geheimnis des Königs, Jungfrau und Märtyrerin. In: Deutsche Rundschau 38/39 (1912/13), Kempten 1912-14. - Der deutsche Held. In: Wiener Reichspost 1919, Kempten 1920. - Das Rosenwunder: Das Rosenwunder, Deutsche Passion, Das Blutzeugnis. München 1924 -26. - Christina Kotzebue. In: Schönere Zukunft 9 (1933/34), Paderborn 1934. - Johann Christian Günther. München 1928. - Frau Maria: Das Spiel von den zehn Jungfrauen, Das Reformationsfest, Die Hochzeit von Quedlinburg. München 1929-31. - Die Waxenbergerin. München 1934. - Graf Reichard: Der Held vom eisernen Tor, Im stillen Linz, Held und Heiliger. München, Bernina 1939-50.

Baur, Uwe; Gradwohl-Schlacher, Karin: Literatur in Österreich 1938-1945. Handbuch eines literarischen Systems. Bd. 3, Oberösterreich. Wien u. a. 2014, 229-234. - Dallinger, Petra-Maria (Hg): Enrica von Handel-Mazzetti "und küsse ihre Busipfötchen". Ein Leben in Briefen. Linz 2005. - Doppler, Bernhard: Katholische Literatur und Literaturpolitik. Enrica von Handel-Mazzetti. Eine Fallstudie. Königstein/Ts. 1980. - Ebner, Helga; Ebner, Jakob; Weißengruber, Rainer: Literatur in Linz. Eine Literaturgeschichte. Hg. Archiv der Stadt Linz. Linz 1991, 396-426. - Rosegger, Peter: Ein Tagebuch. In: Heimgarten. Eine Monatssschrift 30 (1906), H. 8, 618-629. - Siebertz, Paul (Hg.): Enrica von Handel-Mazzetti. Persönlichkeit, Werk und Bedeutung. München 1930.