Seine Texte beschäftigen sich fast ausnahmslos mit der Gewaltgeschichte des 20. Jh., den Faschismen und Diktaturen in Europa und Lateinamerika. Sie tun dies aber nicht aus der vermeintlich souveränen Distanz historischer Analyse, sondern aus der Perspektive einzelner Lebensläufe, aus der Perspektive von Menschen, deren Streben nach privatem Glück und sozialer Gerechtigkeit mit den herrschenden Verhältnissen in scharfen Konflikt gerät.
Hackl besuchte in Steyr das Gymnasium, studierte danach Hispanistik und Germanistik und lehrte einige Jahre an der Universität Madrid. Diese biografischen Koordinaten haben seine Literatur geprägt. Ihr Themenspektrum entfaltet sich zwischen den beiden Polen Steyr und der spanischsprachigen Welt: auf der einen Seite die starke Tradition der Arbeiterbewegung in der oberösterreichischen Industriestadt, aber auch die begeisterte Aufnahme des Nationalsozialismus ebendort und die räumliche Nähe zum Konzentrationslager Mauthausen, auf der anderen Seite das Interesse für die hispanische Kultur, die Länder Lateinamerikas. Immer wieder geht es in Hackls Büchern um den Spanischen Bürgerkrieg, den Widerstand gegen den Nationalsozialismus, die Opfer der Konzentrationslager und der Militärdiktaturen in Argentinien und Uruguay; er ist einer der wenigen österreichischen Autoren, die sich literarisch mit dem Austrofaschismus auseinandersetzen.
Die unerhörten Ereignisse für seine Erzählungen muss Hackl nicht erst erfinden, die Geschichte des 20. Jh. ist voll davon. Was er über den uruguayischen Autor Eduardo Galeano (geb. 1940) geschrieben hat, gilt auch für ihn selbst: Er "vertraut den Fakten mehr als den Fiktionen; er erfindet nicht, er findet. Das Wirkliche [...] ist ihm phantastischer als die Phantasie." (Hackl 1996, 242) So beruhen Hackls Bücher fast immer auf wahren Begebenheiten, auf bemerkenswerten Fällen von Widerstand, Solidarität und Eigensinn, denen er durch Zeitzeugen-Gespräche und ausführliche Recherchen auf die Spur gekommen ist und denen er durch die literarische Gestaltung exemplarischen Charakter verleiht.
"Eines Tages sah sich Aurora Rodríguez veranlaßt, ihre Tochter zu töten." Mit diesem in seiner verknappten Dramatik an Heinrich von Kleist erinnernden Satz beginnt Hackls erstes Buch Auroras Anlaß (1987). Es erzählt die Geschichte zweier außergewöhnlicher Frauen im Spanien vor Beginn des Bürgerkriegs. Die Titelheldin stößt mit ihrem Versuch, in dem katholischen und autoritär-patriarchalischen Land ein selbst bestimmtes Leben zu führen, rasch an ihre Grenzen. Um die Verhältnisse zu ändern, die Gleichberechtigung der Frauen voranzutreiben, erzieht sie ihre hochbegabte Tochter Hildegart zu einer feministischen Revolutionärin. Mit siebzehn ist diese bereits eine zentrale Figur in der sozialistischen Jugendbewegung, schließt das Jus-Studium ab und hält Vorträge über die sexuelle Befreiung der Frau. Als sich Hildegart aber von Aurora zu emanzipieren beginnt und ein eigenes Leben im Ausland führen möchte, kommt es zu der finalen Katastrophe, mit der die Erzählung einsetzt. Hackl hat den Mordfall, der seinerzeit in Spanien großes Aufsehen erregte, genau recherchiert, die Lücken zwischen den erhaltenen Dokumenten füllt er durch behutsame Rekonstruktionen von Vorgeschichte und Hintergründen. Mehr als die kriminalistischen Aspekte interessieren ihn dabei die sozialen Verhältnisse und die politischen Dynamiken, denen seine Heldinnen unterworfen sind und deren Opfer sie letztlich werden.
Die Verknüpfung von dokumentarischem Material und Gesellschaftskritik verbindet Hackl mit Autoren wie Peter Weiss oder Heinar Kipphardt. Die ästhetische Umsetzung unterscheidet ihn aber deutlich von diesen Vorgängern. Charakteristisch für seine Bücher ist ein nüchterner, distanzierter Chronistenton, geschult an Autoren wie Johann Peter Hebel oder eben Kleist.
Dieser Ton bestimmt auch seine bekannteste Erzählung Abschied von Sidonie(1989). Ende 1933 nimmt die Steyrer Arbeiterfamilie Breirather ein wenige Monate altes Mädchen namens Sidonie Adlersburg als Pflegekind auf, das von ihrer Mutter, einer Roma, weggelegt wurde. Das auffallend dunkelhäutige Mädchen lebt sich gut ein und ist überall beliebt - bis 1943 vom Jugendamt Steyr-Land die Anweisung kommt, die mittlerweile 10-Jährige umgehend der leiblichen Mutter zuzuführen. Das bedeutet nicht nur die Trennung von ihrer eigentlichen Familie, sondern letztlich auch die Deportation in ein Konzentrationslager. Trotz aller verzweifelten Bemühungen der Pflegeeltern und der Möglichkeit, das Kind bei den Breirathers zu lassen, führen die handelnden Amtspersonen in einer Mischung aus vorauseilendem Gehorsam, Feigheit und Menschenverachtung Sidonie dem sicheren Tod zu. Sie stirbt 1943 in Auschwitz-Birkenau. "Bestialität des Anstands" nennt das der Erzähler, der für einmal seine Distanz aufgibt: "Das ist die Stelle, an der sich der Chronist nicht länger hinter Fakten und Mutmaßungen verbergen kann. An der er seine ohnmächtige Wut hinausschreien möchte." (Hackl 1989, 100)
Üblicherweise bleiben Hackls Erzähler stets im Hintergrund, sind lakonische, aber sensible Berichterstatter. Sie zitieren Dokumente, geben Zeitzeugenaussagen in indirekter Rede wieder, bleiben bei allem Bemühen um Verständnis immer in der Außenperspektive. Mit Ausnahme der zitierten Stelle findet sich nirgendwo emotionalisierende Empörung, finden sich keine Kommentare oder gar Brandreden gegen die geschilderten Ungerechtigkeiten und Verbrechen. Hackl belässt es bei den historischen Fakten, die dramatisch genug sind, und gerade das Aussparende, Nüchterne seiner Erzählweise, seine kühle, manchmal leicht rhythmisierte Sprache verleihen dem Erzählten seine Wucht, sein oft bedrückendes Gewicht.
Neben einigen Übersetzungen spanischsprachiger Autoren umfasst Hackls Werk auch Hörspiele sowie zahlreiche Zeitschriftenartikel und Reportagen, in denen die Vorstufen zu seinen Büchern zu erkennen sind oder in denen er weitere Zeugnisse für Widerstand und Rebellentum im 20. Jh. vorlegt. Charakteristisch für seinen künstlerischen Anspruch ist in all seinen Werken die Absicht, noch einmal in das Leben, in die Geschichte einzugreifen. Abschied von Sidonie entstand im Zusammenhang mit den Bemühungen, in Steyr eine Gedenktafel für Sidonie Adlersburg zu errichten. Seine folgenden Bücher Sara und Simón (1995), Entwurf einer Liebe auf den ersten Blick (1999) und Die Hochzeit von Auschwitz (2002) hatten das erklärte Ziel, für die Nachkommen der darin beschriebenen Protagonistinnen und Protagonisten ihre Familiengeschichte aufzuschreiben. In Sara und Simón wird die Geschichte der Sara Méndez erzählt, einer Frau die wegen ihres Widerstands gegen die Militärdiktaturen in Argentinien und Uruguay gefoltert und jahrelang eingesperrt wurde und deren zwanzig Tage altes Baby von Geheimpolizisten verschleppt wurde. Mehr als zwanzig Jahre lang versuchte sie ihren Sohn Simón zu finden, scheiterte jedoch am Schweigen der Behörden, am Zynismus der durch Amnestiegesetze exkulpierten Täter, am offiziellen Verdrängen der Vergangenheit. Hackl rekonstruiert, was sich aufgrund von Interviews und Dokumenten rekonstruieren lässt, erzählt, "wie wenig sich erzählen läßt" (Hackl 1995, 193). Beim Erscheinen des Buches war Sara und Simón noch eine "endlose Geschichte", so der Untertitel. Erst im März 2002 fand Sara Méndez ihren mittlerweile erwachsenen Sohn, der von seiner wahren Herkunft keine Ahnung hatte.
Zwei in vielen Zügen ähnliche Lebensläufe schildern Entwurf einer Liebe auf den ersten Blick und Die Hochzeit von Auschwitz. In beiden Büchern geht es um österreichische Sozialisten, die im Spanischen Bürgerkrieg gegen die Franco-Armee kämpften, sich in Spanierinnen verliebten, nach der Niederlage der Republik in französischen Internierungslagern landeten und schließlich nach Auschwitz deportiert wurden. Ihre Frauen und Kinder bekamen sie vor ihrem Tod kaum mehr zu Gesicht. Bei Entwurf einer Liebe auf den ersten Blick handelt es sich um eine im Vergleich zu den anderen Büchern Hackls noch stärker reduzierte Erzählung, die sich noch weniger Assoziationen und Mutmaßungen zwischen den dürren Dokumenten und lückenhaften Erinnerungen der Tochter sowie einiger alter Spanienkämpfer erlaubt. In Die Hochzeit von Auschwitz wird die Geschichte von Rudi Friemel und Margarita Ferrer Rey gar nicht mehr zu einem einheitlichen Erzählfluss gebündelt, sondern mittels eines vielstimmigen Mosaiks von Zeitzeugenberichten und Dokumenten erzählt, das der Autor in seiner fragmentarischen Form und Widersprüchlichkeit belässt.
Alle drei Bücher sind aber keineswegs bloß als private Vermächtnisse zu verstehen, sondern als Beiträge zu einer linken Gegen-Geschichte, als Versuche, die Erinnerung an Menschen zu bewahren, die mit ihrem Engagement, ihrem Mut und ihrem Wunsch nach einer gerechteren Welt in die Mühlen der verbrecherischen Regime des 20. Jh. und ihrer zahlreichen Mitläufer geraten sind. Dahinter steht nicht zuletzt die Absicht Möglichkeiten aufzuzeigen, wie die Geschichte auch anders hätte verlaufen können. Am Ende von Abschied von Sidonie berichtet der Erzähler von einem Dorf in der Steiermark, in dem sich ein ganz ähnlicher Fall zugetragen habe, nur dass dort die Solidarität und der Mut der Menschen überwogen und das bedrohte Mädchen nicht verraten wurde: "das Kind hieß nicht Sidonie, sondern Margit und lebt heute noch, eine Frau von 55 Jahren, und kein Buch muß an ihr Schicksal erinnern, weil zur rechten Zeit Menschen ihrer gedachten." (Hackl 1989, 128) So führen Hackls Erzählungen zur Wirklichkeit zurück, von der sie ihren Ausgang genommen haben.
An Preisen erhielt Hackl u. a. den Österreichischen Förderungspreis für Literatur 1991, den Kulturpreis des Landes OÖ 1994 und den Literaturpreis der Stadt Wien 2002.
Günther Stocker
Auroras Anlaß. Erzählung. Zürich 1987. - Abschied von Sidonie. Erzählung. Zürich 1989. - König Wamba. Ein Märchen. Zürich 1991. - Sara und Simón. Eine endlose Geschichte. Zürich 1995. - In fester Umarmung. Geschichten und Berichte. Zürich 1996. - Entwurf einer Liebe auf den ersten Blick. Zürich 1999. - Die Hochzeit von Auschwitz. Eine Begebenheit. Zürich 2002. - Anprobieren eines Vaters. Geschichten und Erwägungen. Zürich 2004. - Als ob ein Engel. Erzählung nach dem Leben. Zürich 2007. - Familie Salzmann. Erzählung aus unserer Mitte. Zürich 2010. - Dieses Buch gehört meiner Mutter. Zürich 2013. - Drei tränenlose Geschichten. Zürich 2014. - Literatur und Gewissen. Innsbrucker Poetik-Vorlesungen 1. Innsbruck 2016.
Als Hg.: So weit uns Spaniens Hoffnung trug. Erzählungen und Berichte aus dem Spanischen Bürgerkrieg: 46 Texte deutschsprachiger Frauen und Männer aus sechs Ländern. Zürich 2016.
Grünzweig, Walter: Erich Hackl. In: Kritisches Lexikon der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur (KLG). Hg. von Heinz Ludwig Arnold. München (Stand: 1.6.2008). - Höller, Hans: Über Erich Hackl. In: Die Rampe 1995, H. 1, 25ff. u. 149f. - Jenkins, Eva-Maria: Erich Hackl: Abschied von Sidonie. Erzählung. Didaktische Bearbeitung für den Unterricht Deutsch als Fremdsprache mit fortgeschrittenen Jugendlichen und Erwachsenen. Wien 1998. - Klüger, Ruth: Die Wahrheit des Chronisten: Laudatio für Erich Hackl. In: Dies.: Frauen lesen anders. München 1996, 177-184. - Nuber, Achim: Erich Hackl. In: Andrea Kunne, Bodo Plachta (Hg.): Literatur im Gespräch. Berlin 2001, 284-292. - Pichler, Georg (Hg.): Porträt Erich Hackl. Linz 2005 (= Die Rampe 2005, H. 3). - Pototschnig, Christine: Der Erzähler Erich Hackl. In: ide (Informationen zur Deutschdidaktik. Zeitschrift für den Deutschunterricht in Wissenschaft und Schule), 17 (1993), H. 2, 72-78. - Reimer, Robert C.: Abschied von Sidonie, a farewell twice-visited: Erich Hackl's novella and Karin Brandauer's film. In: Willy Riemer (Hg.): After postmodernism. Riverside (Calif.) 2000, 138-155. - Richter, Michael-Josef: Intertextualität als Mittel der Darstellung in Erich Hackls Erzählungen. Berlin 1996. - Schulze, Frank: Erich Hackls neuer Blick auf den spanischen Bürgerkrieg. In: Peter-Weiss-Jahrbuch 10 (2001), 120-131. - Thunecke, Jörg: "Ein liebenswerter Untermensch?": Erich Hackls Erzählung Abschied von Sidonie. In: Margarete Lamb-Faffelberger (Hg.): Visions and visionaries in contemporary Austrian literature and film. New York 2004, 223-235. - Voit, Friedrich H.: Das ist passiert. Wir haben es geschehen lassen. Zu Erich Hackls Erzählung Abschied von Sidonie. In: Der Deutschunterricht 52 (2000), H. 6, 66-76.