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Gerald Bisinger

Geb. 8. 6. 1936 in Wien; gest. am 20. 2. 1999 ebd.
Lebte als Lyriker, Übersetzer und Redakteur in Wien und Berlin.

In Wien geboren, verbrachte Gerald Bisinger einen Großteil seiner Kindheit und Jugend in Reichenau im Mühlviertel (OÖ). Die Matura absolvierte er 1954 in Wien und studierte danach an der dortigen Universität Psychologie sowie italienische Sprache und Literatur. Von 1962 bis 1970 war er als Redaktionsmitglied der Wiener Kulturzeitschrift Neue Wege für den Lyrikteil verantwortlich. Als Mitarbeiter des Literarischen Colloquiums Berlin wohnte er von 1964 bis 1986 in West-Berlin. 1973 war Bisinger Mitbegründer der Grazer Autorenversammlung (GAV), gehörte seit 1974 dem Redaktionskomitee der internationalen Lyrikzeitschrift TAMTAM an und war von 1980 bis 1986 Redakteur von Literatur im technischen Zeitalter, einer Beilage der Berliner Zeitschrift Sprache im technischen Zeitalter. 1986 kehrte Bisinger als freier Mitarbeiter des ORF nach Wien zurück. Von 1989 bis 1994 war er Mitglied des Redaktionsteams des oberösterreichischen Periodikums Die Rampe. Hefte für Literatur.

Trotz seines gelungenen Prosadebüts Zikaden und Genever (1963), das im Folgejahr mit dem Theodor-Körner-Preis der Stadt Wien honoriert wurde, veröffentliche Bisinger ab 1968 in erster Linie Lyrikbände. Stets wiederkehrende Motive seiner Dichtung sind dabei die Realität des Alltäglichen und vor allem der Tod. Im Gedicht Ich trinke (1978), erschienen im Band Gedichte auf Leben und Tod (1982), heißt es: "[...] ich leb noch mit 42 / das ist auch eine Leistung [...] mein halbes Leben ist höchst- / wahrscheinlich verbracht ich schreibe ich trinke". Bisingers Orte sind häufig Stehcafés, Gasthäuser und Bahnhofsrestaurants; seine Sprache ist unprätentiös und situativ, wobei Wahrnehmung, Denken und Schreiben nahezu ineinander fallen. Für eine größere Beachtung seiner Lyrik sorgte diese "Ästhetik des Unscheinbaren" (Strigl 2000) allerdings nie.
Anerkennung erfuhr Gerald Bisinger in seiner Vermittlerrolle. Als Lyrikredakteur der Neuen Wege ermöglichte er jungen und insbesondere experimentell dichtenden Autorinnen und Autoren rund um die "Wiener Gruppe" ein Publikationsforum. Mit der Herausgabe des Bandes ein lilienweißer brief aus lincolnshire machte er 1969 die verstreut vorliegenden Gedichte des Wiener Schriftstellers H. C. Artmann erstmals zugänglich. Aus dem Italienischen übertrug er Werke von Edoardo Sanguineti und Nanni Balestrini sowie ein Kinderbuch Umberto Ecos.

Für sein Schaffen und seine Verdienste wurde Bisinger 1998 der Österreichische Würdigungspreis für Literatur zugesprochen. Entgegennehmen konnte er die Auszeichnung allerdings nicht mehr. Nur wenige Tage vor der Verleihung verstarb er im Februar 1999 62-jährig in Wien.

Michael Hansel

 

Zikaden und Genever. Wien 1963. - 7 Gedichte zum Vorlesen. Berlin 1968. - 5 kurze Gedichte für Kenner. Berlin 1968. - Ein Drachenteufel und hinterhältig. Berlin 1968. -   Keine Kunst: Gedichte funktionieren! In: kolloquium poesie 68. Innsbruck 1968, 64-72. - 7 neue Gedichte / 7 nuove poesie. Turin 1971. - Poema ex Ponto. Poetische Nachrichten aus der östlichen Latinität. Erlangen 1977. - Fragmente zum Ich / Frammenti sull'io. Turin 1977. - Poema ex Ponto II und andere Gedichte. Berlin 1978. - Gedichte auf Leben und Tod. Basel 1982. - Poema ex Ponto III. Berlin 1982. - Ein Stück Natur. Berlin 1983. - Löcher, Pilze, Binsen. Zur Übersetzung zeitgenössischer italienischer Gedichte. In: Sprache im technischen Zeitalter. 86. Berlin 1983, 167-171. - Was erwart ich mir sonst. Berlin 1984. - Am frühen Lebensabend. Trilogie. Gedichte auf Leben und Tod. So schreitet die Erkenntnis fort. In Friedhofsnähe. Graz 1987. - Das Gedicht vom Genfer See. Le poème du lac Léman. Berlin 1988. - Mein Ort bleibt nur das Gedicht. Wien 1989.-  Fußfassen wieder in Wien in dieser neuen Gegenwart. Wien 1991. - Realität faßt mich an. Über Dichtung und Dichter. Ausgewählte Gedichte aus den 70er Jahren. Wien 1993. - Ein alter Dichter. Graz 1998.  - Dieser Tratsch. Gedicht I - Gedicht LI. Graz 1999. - Im siebenten Jahrzehnt. Letzte Gedichte. Graz 2000.

Als Herausgeber: Artmann, H. C.: ein lilienweißer brief aus lincolnshire. Gedichte aus 21 Jahren. Frankfurt/M. 1969. - [Gemeins. mit Walter Höllerer:] Das literarische Profil von Rom. Berlin 1970.  - Über H. C. Artmann. Frankfurt/M. 1972. -  [Gemeins. mit Walter Höllerer, Detlef Krumme, Ursula Ludwig, Renate Mangoldt und Wolfgang Ramsbott:] Autoren im Haus. Zwanzig Jahre Literarisches Colloquium Berlin. Berlin 1982.

Als Übersetzer: Carmi, Eugenie; Eco, Umberto: Die drei Kosmonauten. Frankfurt/M. 1971. - Sanguineti, Edoardo: Reisebilder. 32 Gedichte. Berlin 1972. - Artmann, H. C.: dracula, dracula / un'aventura transilvana. Turin 1976.  - Balestrini, Nanni: weitschweifige tänze verbal. 5 Balladen. Erlangen 1978. - Kuprijanow, Wjatscheslaw: Aufforderung zum Flug. Berlin 1990. 

Klinger, Kurt: Gerald Bisinger. In: Kindlers Literaturgeschichte der Gegenwart. Die zeitgenössische Literatur Österreichs. Zürich, München 1976, 465. - Mixner, Manfred: Geschichten von Anderen. Feuilletons über Autoren. Graz 2016, 111-119. - Rosenblätter auf Rauhreif. Für Gerald Bisinger. Festschrift zum 50.Geburtstag. Erlangen 1986. - Pfoser-Schewig, Kristina: Gerald Bisinger. In: Killy Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraums. Bd 1. Berlin 2008, 566-567. - Rath, Wolfgang: Gerald Bisinger. In: Kritisches Lexikon zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur 3/2000, 64. Nlg. - Strigl, Daniela: Winterglück und -unglück. Zur Alterslyrik Friederike Mayröckers, Ernst Jandls, Gerald Bisingers und Michael Guttenbrunners. In: Markus Knöfler (Hg.): Die Lebenden und die Toten. Beiträge zur österreichischen Gegenwartsliteratur. Budapest 2000, 41-56.