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Heimrad Bäcker

Foto: Franz Linschinger; © Adalbert-Stifter-Institut / StifterHaus

Geb. 9.5.1925 in Wien-Kalksburg, gest. 8.5.2003 in Linz.
Als Autor und Verleger gehört Bäcker zu den renommiertesten Erscheinungen des oberösterreichischen Literaturbetriebes nach 1945.

Heimrad Bäcker wuchs in Ried/Innkreis und in Linz auf, von 1941 bis 1943 war er Volontär der Linzer Tages-Post (Lokales) und bis Kriegsende Mitarbeiter der HJ-Gebietsführung Oberdonau ("die einzigen, die mich nie wegen meines Buckels verhöhnt haben"), 1943 wurde er in die NSDAP aufgenommen. Nach dem Krieg studierte er Philosophie, Soziologie und Völkerkunde in Graz und Wien und promovierte 1953 mit einer Arbeit über die Existenzialphilosophie von Karl Jaspers, von 1955 bis 1976 war er in der Erwachsenenbildung tätig. Ab 1968 gab er die Zeitschrift neue texte heraus, in der junge Vertreter der avantgardistischen Literatur publizierten und auf die konkrete und visuelle Poesie ein besonderer Schwerpunkt gelegt wurde. Bücher u. a. von Gerhard Rühm, Franz Josef Czernin, Ferdinand Schmatz, Anselm Glück, Valie Export, Ernst Jandl, Friederike Mayröcker und Reinhard Priessnitz erscheinen in der die Zeitschrift seit 1976 begleitenden Buchreihe edition neue texte. Diese Reihe gilt heute als eine der wesentlichsten Manifestationen der österreichischen Avantgarde und wird im Grazer Droschl-Verlag fortgesetzt. In der Zeit von 1977 bis 1981 war Bäcker Lehrbeauftragter für Literatur des 20. Jh. an der Hochschule für künstlerische und industrielle Gestaltung in Linz; 1987-89 Präsident der Grazer Autorenversammlung. In den Jahren 2000 und 2002 waren ihm im StifterHaus in Linz und in der Oberösterreichischen Landesgalerie zwei große Personalausstellungen gewidmet.

In dem Band EPITAPH hat Bäcker ausgeführt, worum es ihm in seinem Schreiben ging, nämlich um die "Aufhebung von Sätzen, die der Autor [und Bäcker spricht hier tatsächlich in dieser distanzierten Form von sich, Anm. K.K.] am 17.5.1942 in der Linzer Tages-Post schrieb". Bei jenen Sätzen handelt es sich um eine Rezension eines Buches über Adolf Hitler, in der es geheißen hatte: "Wir haben den Führer gesehen. Dieses Buch ist ein Spiegel dessen, was nie mit geschriebenem Worte auszudrücken, nur im Anblick dieser Bilder zu erleben ist: Ein Stück vom Menschen Adolf Hitler". In EPITAPH fügt Bäcker an: "Die Aufhebung - 'Negation der Negation?' (Jean Améry) - die subjektiv als Aufhebung der Position eines Sechzehnjährigen erscheinen mag, kann nicht mit einer Publikation zu Ende sein, sondern nur mit der Existenz des Autors." (53)

Klaus Amann hat davon gesprochen, dass es sich bei diesem Eingeständnis um das radikale Bekenntnis eines Irrtums handelt (vgl. Amann 1992, 59), wie es in Österreich nicht nur innerhalb der Literatur, sondern im gesamten Geistesleben einzigartig sei, gehört doch hierzulande die halbherzige Entschuldigung zur schlechten öffentlichen Kultur. Bäcker legt seinen Worten, die als Antriebskraft seines gesamten Werkes zu verstehen sind, nicht nur das Bekenntnis seines Irrtums zugrunde, sondern auch seine Unauslöschbarkeit. Der individuelle Irrtum erscheint unverzeihlich und nicht verjährbar. Weil sie individuell gefüllt und bis über den Tod hinaus gültig sind, heben sich die Bäcker'schen Worte von der stereotypen Rhetorik und den repräsentativen Gesten der offiziellen Gedenkkultur ab. Um sich in Mauthausen als ein verfassungskonformer Antifaschist fühlen zu können, braucht es keine Ode an die Freude, vielmehr scheint im "anderen" Mauthausen Heimrad Bäckers eine solche Ode bereits wieder obszön, weil dieses Mauthausen ein Universum ohne Freude und damit ein Ort ohne staatspolitische Festtagsstimmung ist.

Für seine Verdienste zur Förderung der modernen österreichischen Literatur sowie für sein literarisches und fotografisches Werk, zu dem neben dem Hauptkomplex nachschrift u. a. SEESTÜCK (1985), REFERENDUM (1988), EPITAPH (1989), SGRA (1990), Gedichte und Texte. Eine Auswahl aus dem Werk (1992) und das Hörstück Gehen wir wirklich in den Tod? (1995) zählen, wurde Bäcker vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Robert-Geisendörfer-Preis der Evangelischen Kirche in Deutschland für Hörfunk (1989), dem Österreichischen Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse (1985), dem Sonderpreis für Literatur des Bundesministeriums für Unterricht (1988), dem Förderungspreis für Film- und Medienkunst zum Kunstpreis Berlin (1990), dem großen Adalbert-Stifter-Preis des Landes Oberösterreich (ebenfalls 1990), dem Österreichischen Würdigungspreis für Literatur (2001) sowie dem Großen Goldenen Ehrenzeichen der Stadt Linz für Verdienste um Kunst und Kultur.

Klaus Kastberger

 

SEESTÜCK. Linz 1985. - nachschrift. Hg. und mit einem Nachwort versehen von Friedrich Achleitner. Linz, Wien 1986 (2. korr. Auflage Graz 1993). - REFERENDUM. Wien 1988. - EPITAPH. Linz 1989 (2. erw. Ausgabe Linz 1990). - SGRA. Berlin 1990. - Gedichte und Texte. Eine Auswahl aus dem Werk. Berlin 1992. - Gehen wir wirklich in den Tod. Graz, Wien 1995. - nachschrift 2. Hg. von Friedrich Achleitner. Graz 1997.

Amann, Klaus: Monumenta Germaniae Historica. Über Heimrad Bäckers nachschrift. In: Wissenschaftliche Zeitschrift Universität Halle 1992, H. 6, 59-67. - Bäcker, Heimrad: dokumentarische dichtung. In: protokolle 1992, H. 2, 43-45. - Eder, Thomas; Kastberger, Klaus (Hg.): Heimrad Bäcker. Linz 2001 (= Die Rampe 2001, Porträt). - Eder, Thomas; Hochleitner, Martin (Hg.): Heimrad Bäcker. Graz 2002 (Ausstellungskatalog Landesgalerie am Österreichischen Landesmuseum). - Huber, Florian: "der schreiber schreibt". Heimrad Bäckers nachschrift. Dipl.-Arb. Univ. Wien 2010. - Greaney, Patrick: Heimrad Bäcker. Parataxe und Projekt. In: Christoph Laferl (Hg.): Künstlerinszenierungen: Performatives Selbst und biographische Narration im 20. und 21. Jahrhundert. Bielefeld 2014, 153-166.