Schon während des Besuchs der Oberschule in Linz seit 1939 unternahm Eisenreich, ältester Sohn eines Bankangestellten und einer Hausfrau, schriftstellerische Gehversuche. Die Einberufung zum Kriegsdienst im Mai 1943 unterbrach seinen Bildungsweg und führte ihn als Soldat 1944 an die Westfront. Nach Kriegsende drückte er wieder die Schulbank und steuerte am Linzer Realgymnasium einige Verse für die Schülerzeitung bei. Die dichterischen Anstrengungen trugen dem Jugendlichen im Maturajahr 1946 den Erzählerpreis des Linzer Volksblattes für die Erzählung Heimkehr ein. Als Germanistik- bzw. Philologiestudent wechselte Eisenreich nach Wien, wo er sich mit Gelegenheitsarbeiten und literarischer Tätigkeit über Wasser hielt. Damals war er v. a. der Lyrik zugetan und wirkte bei Zeitschriften wie Otto Basils Plan oder Neue Wege mit. Letztere druckten, gleichsam als Auftakt seiner literaturkritischen Publizistik, das Manifest Surrealismus und so (April 1950) ab, in dem der gebürtige Linzer jene Strömung als nicht zeitgemäß ablehnte.
In den 1950er-Jahren bediente Eisenreich die Presse mit Kurzgeschichten, für die er eine besondere Neigung zeigte. Ab 1952, mit der Parabel Einladung deutlich zu leben, verfasste er Erzählungen, die ihn als einen sprachbewussten Autor zeigen, der das meist bürgerliche Milieu seiner Figuren stimmig nachzeichnet, Geschlechterkonflikte schildert, Paarbeziehungen desillusioniert und Grundfragen des Lebens berührt (z. B. Böse schöne Welt, 1957; Sozusagen Liebesgeschichten, 1965; Die blaue Distel der Romantik, 1976). Der aufstrebende Autor verkehrte im Literatenkreis um Hans Weigel, der ihn förderte, und korrespondierte mit Heimito von Doderer, den er, neben Albert Paris Gütersloh, als sein schriftstellerisches Vorbild empfand und wegen seiner sprachschöpferischen Gabe schätzte (vgl. Einleitung zu Wege und Umwege, 1960).
Aus wirtschaftlichen Gründen übersiedelte Eisenreich 1952 nach Hamburg, später nach Stuttgart. Er wurde Mitarbeiter bei der Wochenzeitung DieZeit bzw. DieWelt, darüber hinaus widmete er sich dem Hörspiel und der Kurzepik, war Essayist und Rezensent und pflegte Kontakte zur Gruppe 47. In der Bundesrepublik Deutschland gelang ihm der Durchbruch zum international erfolgreichen Autor, nachdem Radio Bremen am 19. Oktober 1955 das Hörspiel Wovon wir leben und woran wir sterben, ein Stück um eine Ehekrise, gesendet hatte, für das er als erster Autor deutscher Sprache den Prix Italia erhielt.
1956 kehrte Eisenreich in seine Heimat zurück und ließ sich zunächst in Wien nieder. Im November 1958 zog er jedoch mit seiner Familie nach Sandl im Mühlviertel, wo er eine äußerst produktive Phase durchlebte. Publizistisch behandelte er zeitgeistig-gesellschaftspolitische (z. B. Warum ich derzeit Monarchist bin,1962) sowie kulturgeschichtlich-literaturwissenschaftliche Themen (Das große Erbe, 1962; Reaktionen, 1964). Als Anhänger des Traditionalismus bzw. der Antimoderne favorisierte er eine genuin österreichische Literatur, die auf Basis ihrer nationalen Besonderheiten und der kulturellen Überlieferung erneuert und fortgesetzt werden sollte (Das schöpferische Mißtrauen oder Ist Österreichs Literatur eine österreichische Literatur?, 1959).Restaurative Gesinnung und Skepsis am materialistischen Fortschrittsglauben legte er dem Romanfragment Die abgelegte Zeit zugrunde, während seine Schilderung Der Urgroßvater (1964) damals noch tabuisierte Aspekte wie Nationalsozialismus und Holocaust ansprach.
In Bezug auf Adalbert Stifter, den Eisenreich von Forschung und Leserschaft verkannt glaubte, versuchte er eine Neubewertung nach menschlich-psychologischen Maßstäben. Für Stifter habe die schriftstellerische Betätigung eine existenzielle Dimension besessen und vorrangig der Kompensation und Selbstbehauptung gedient (Das kleine Stifterbuch, 1967). Doch auch zur (eigenen) Rolle als Autor, der Ideologien oder Utopien grundsätzlich ablehnte, sich gegen Vereinnahmung, Verpflichtung und Funktionalisierung wehrte, nahm er Stellung. Das Schreiben begriff er als einen lebensnotwendigen Akt, der primär auf persönliche Erkenntnis und Bewältigung des eigenen Seins abziele (Sprache als Organ, 1964).
Ende 1967 schlug Eisenreich seine Zelte erneut in Wien auf. Er arbeitete für Rundfunk und Fernsehen, darunter als Moderator der ORF-Sendung Der literarische Salon; bis 1976 zog ihn das Landesstudio Oberösterreich für Hörfunkproduktionen heran. 1974, inzwischen zum vierten Mal verheiratet, verlegte er seinen Wohnort kurzzeitig nach Tamsweg, blieb dann aber bis zu seinem Tod in der Bundeshauptstadt. 1978 erschien seine kulturhistorische Skizze Carnuntum, die den eigenartigen Reiz der Donaulandschaft östlich von Wien würdigt. In den 1980er-Jahren trat Eisenreich vermehrt mit Aphorismen in Erscheinung (Der alte Adam, Groschenweisheiten, Memoiren des Kopfes, 1985/86) und gab nachgelassene Schriften Friedrich Torbergs heraus. Nun erschien auch sein unvollendet gebliebener Roman Die abgelegte Zeit, ein Porträt der österreichischen Nachkriegsgegenwart im Spannungsfeld zwischen der Dynamik des ökonomischen Aufschwungs und geistiger Stagnation, für die er Traditionsbrüche und Wertverluste verantwortlich macht.
Sein schriftstellerisches Engagement wurde mehrfach gewürdigt und unterstützt, so durch die Theodor-Körner-Stiftung, den Österreichischen Förderungspreis für Literatur 1958, den Großen Kunstpreis des Landes Nordrhein-Westfalen für Literatur 1965, den Franz-Theodor-Csokor-Preis seitens des Österreichischen P.E.N.-Clubs sowie den Franz-Kafka-Literaturpreis, beide 1985. Eisenreich ruht in einem Ehrengrab auf dem Wiener Zentralfriedhof.
Arnold Klaffenböck
Einladung deutlich zu leben. Hg. von Hans Weigel. Wien o. J. [1952]. - Auch in ihrer Sünde. Roman. Hamburg 1953. - Böse schöne Welt. Erzählungen. Stuttgart 1957. - Wovon wir leben und woran wir sterben. Ein Hörspiel. Frankfurt am Main o. J. [1958]. - Heimito von Doderer: Wege und Umwege. Eingel. u. ausgew. von Herbert Eisenreich Graz, Wien 1960. - [gem. mit Otto Basil und Ivar Ivask]: Das große Erbe. Aufsätze zur österreichischen Literatur. Panorama zum Untergang Kakaniens. Graz, Wien 1962. - Der Urgroßvater. Gütersloh 1964. - Reaktionen. Essays zur Literatur. Gütersloh 1964. - Sozusagen Liebesgeschichten. Gütersloh 1965. - Die Freunde meiner Frau und neunzehn andere Kurzgeschichten. Mit e. Vorw. von Heimito von Doderer u. zwölf Zeichnungen von Kurt Moldovan. Zürich o. J. - Sebastian. Die Ketzer. Zwei Dialoge. Gütersloh 1966. - Das kleine Stifterbuch. Salzburg 1967. - Ein schöner Sieg und 21 andere Missverständnisse. Graz u. a. 1973. - Die blaue Distel der Romantik. Erzählungen. Graz u. a. 1976. - Verlorene Funde. Gedichte 1946-1952. Graz u. a. 1976. - Carnuntum. Geist und Fleisch. Graz u. a. 1978. - Der alte Adam. Aus dem Zettelkram eines Sophisten. Ausgew. u. eingel. von Christine Fritsch. Mühlacker/Irdning 1985. - Die abgelegte Zeit. Ein Fragment. Hg. von Christine Fritsch. Wien 1985. - Groschenweisheiten. Aus dem Zettelkram eines Sophisten. Ausgew. u. hg. von Christine Fritsch. Irdning 1985. - Memoiren des Kopfes. Aus dem Zettelkram eines Sophisten. Ausgew. u. hg. von Christine Fritsch. Irdning 1986. - Jedes Steigen ein Fallen zugleich. Das lyrische Werk. Hg. von Christine Fritsch, Helmuth A. Niederle und Karl Dieter Zessin. Wien 2014. - Ein paar Jahrzehnte Ewigkeit. Erzählungen 1965-1977. Hg. von Christine Fritsch, Helmuth A. Niederle und Karl Dieter Zessin. Wien 2014. - So und anders. Erzählungen 1950-1964. Hg. von Christine Fritsch, Helmuth A. Niederle und Karl Dieter Zessin. Wien 2014. - Die Innenwelt der Außenwelt. Kleine Prosa, die Dialoge und frühe Essays. Hg. von Christine Fritsch und Helmuth A. Niederle. Wien 2016. - Privatissimum für freiwillig Zurückgebliebene. Aus dem Zettelkasten eines Sophisten. Hg. von Christine Fritsch und Helmuth A. Niederle. Wien 2016.
Höfler, Günther A.: Epischer Traditionalismus in Herbert Eisenreichs "Die abgelegte Zeit". In: "Abgelegte Zeit"? Österreichische Literatur der fünfziger Jahre. Beiträge zum 9. Polnisch-Österreichischen Germanistenkolloquium Åódź 1990. Hg. von Hubert Lengauer. Wien 1992, 139-153. - Köhler, Juliane: Janusköpfige Welt. Die Kurzgeschichten Herbert Eisenreichs. München 1990. - Mattes, Elisabeth: Herbert Eisenreich. Die Aphorismen. Dipl.-Arb. Univ. Wien 1989. - Müller, Manfred: Kakabsa im Anblick der Ruine. Anmerkungen zu Herbert Eisenreich. In: Im Keller. Der Untergrund des literarischen Aufbruchs um 1950. Hg. von Evelyne Polt-Heinzl und Daniela Strigl. Wien 2006, 65-77. - Piontek, SÅ‚awomir: Der Mythos von der österreichischen Identität. Überlegungen zu Aspekten der Wirklichkeitsmythisierung in Romanen von Albert Paris Gütersloh, Heimito von Doderer und Herbert Eisenreich. Frankfurt/M. u. a. 1999. - Ders.: Die ‚Generation ohne Heimkehr‘ in der österreichischen Literatur der frühen Neuzeit. In: Zwischen Aufbegehren und Anpassung. Poetische Figurationen von Generationen und Generationserfahrungen in der österreichischen Literatur. Hg. von Joanna Drynda, Frankfurt/M. 2012, 83-96. - Salfinger, Helmut: Herbert Eisenreich (1925-1986). Meisterhafter Erzähler und Essayist. In: Oberösterreicher. Lebensbilder zur Geschichte Oberösterreichs, Bd. 6. Hg. von Alois Zauner, Gerhart Marckhgott und Harry Slapnicka. Linz 1988, 159-170. - Schmidt-Dengler, Wendelin: Herbert Eisenreich. In: Deutsche Literatur seit 1945 in Einzeldarstellungen. Hg. von Dietrich Weber. Stuttgart 1968, 297-314. - Ders.: Die unheiligen Experimente. Zur Anpassung der Konvention an die Moderne. In: Literatur der Nachkriegszeit und der fünfziger Jahre in Österreich. Hg. von Friedbert Aspetsberger, Norbert Frei und Hubert Lengauer. Wien 1984, 337-350. - Ders.: "Surrealismus und so". Karl Kraus und Georg Kulka, Herbert Eisenreich und H. C. Artmann. Ein Beitrag zur Konfliktgeschichte der österreichischen Avantgarde. In: Konflikte - Skandale - Dichterfehden in der österreichischen Literatur. Hg. von Wendelin Schmidt-Dengler, Johann Sonnleitner und Klaus Zeyringer. Berlin 1995, 9-23. - Wagner, Wilfried: Herbert Eisenreich. Versuch eines Überblicks. Dipl.-Arb. Univ. Salzburg 1987. - Zwettler, Sylvia M.: Die Doppelbödigkeit im Frühwerk des Herbert Eisenreich. Dipl.-Arb. Univ. Wien 2003.