Er ist Sohn des Linzer Notars und liberalen Landtagsabgeordneten Alois Bahr (1834-1898). Volksschule und Akademisches Gymnasium besucht er in Linz (bis zum Wechsel nach Salzburg im Jahr 1877). Der noch nicht 20-Jährige publiziert im Linzer Sonntagsblatt unter Pseudonym z. T. antisemitische Glossen; in Linz wird am 6. Februar 1883 auch sein Schauspiel DieWunderkur aufgeführt. Zu dieser Zeit ist er Gefolgsmann des Politikers Georg Ritter von Schönerer (1842-1921). Er studiert in Wien, Graz sowie Czernowitz, wo er jeweils aufgrund deutschnational-antisemitischer Aktionen relegiert wird, und hat Kontakt zu Engelbert Pernerstorfer (1850-1918) und Viktor Adler (1852-1918). Das Studium in Berlin bleibt ohne Abschluss. 1888/89 folgt ein prägender Aufenthalt in Paris; 1890 Mitarbeiter der Freien Bühne in Berlin, wo er seine ästhetischen Konzepte nicht durchsetzen kann. Nach Wien zurückgekehrt wird er unermüdlicher Verkünder und Interpret innovativer ästhetischer Richtungen und Moden (Naturalismus, Décadence, Impressionismus, später Heimatkunst, Expressionismus etc.).
Dank seiner geschickten Positionierung im Kulturbetrieb (z. B. Mitarbeiter der Deutschen Zeitung, 1894-99 Kulturredakteur und Mitbegründer der Wiener Wochenschrift Die Zeit, Theaterkritiker beim Neuen Wiener Tagblatt) wird er alsbald zur ebenso geachteten wie gefürchteten Figur der Wiener Moderne und zum Intimfeind von Karl Kraus (1874-1936), der ihn in seiner Fackel unablässig angreift. Während Max Eugen Burckhard (1854-1912) das Burgtheater leitet, ist er für diesen als stiller Berater tätig. Um die Jahrhundertwende Übergang zur Theaterpraxis: Er soll das im Rahmen der Darmstädter Ausstellung geplante Theater leiten und entwirft ein Konzept für die "Salzburger Festspiele" mit Max Reinhardt (1873-1943). 1900 bezieht er seine von Joseph Maria Olbrich (1867-1908) errichtete Villa in Ober Sankt Veit. Im selben Jahr engagiert er sich auch für Gustav Klimts (1862-1918) Universitätsbilder. 1906/07 Dramaturg und Regisseur bei Max Reinhardt am Deutschen Theater und den Kammerspielen in Berlin; 1909 Scheidung und Heirat seiner zweiten Frau, der Opernsängerin Anna Bellschan von Mildenburg (1872-1947), für die er auch als Berater tätig ist. 1912 Übersiedlung nach Salzburg, 1922 nach München. Gegen Ende des Ersten Weltkrieges ist er Chefdramaturg des Burgtheaters. Von 1916 bis 1931 verfasst er regelmäßige, Tagebuch betitelte Artikel im Neuen Wiener Journal, die mehrheitlich auch in Buchform erscheinen. Die letzten Jahre ist Bahr krankheitsbedingt kaum mehr literarisch tätig.
Vorerst deutsch-national, später sozialistisch orientiert, war Bahr spätestens seit den 1890er Jahren auf der Suche nach einer spezifisch österreichischen Moderne. Um die Jahrhundertwende treten antimodernistische Konzepte verstärkt hervor. Zugleich engagiert er sich wortreich für eine grundlegende Reform Österreichs und betont in diesem Zusammenhang die Bedeutung seiner nicht-deutschsprachigen Bewohner, vor allem der Tschechen und Dalmatiner. Bahr gab sich zunehmend Österreich-patriotisch, bei gleichzeitiger Rückkehr zum Katholizismus. Sein späteres Werk, vor allem nach dem ersten Weltkrieg, ist von starrsinnig-verbittertem Konservativismus geprägt, durchaus beeinflusst von antiliberalen, bedenklich rassistischen und antidemokratischen Ideologemen. Hierbei ist der Gedanke der Antinomie von Stadt und Land von Bedeutung. In diesem Kontext sind Bahrs Bemühungen um oberösterreichische Persönlichkeiten, wie beispielsweise den Linzer Bischof Franz Joseph Rudigier (1811-1884), Franz Stelzhamer, Adalbert Stifter oder Edward Samhaber (1846-1927), zu sehen.
Bahrs heutige Bedeutung liegt weniger in dem seinerzeit geschätzten fiktionalen Werk (etwa dem Lustspiel Das Konzert, 1909); allenfalls sein Frühwerk (der Prosaband Die gute Schule. Seelenstände, 1890; das Drama Die Mutter, 1891) ist von literarhistorischem Interesse. Beachtung verdient er vor allem jedoch als Verfasser kritischer Schriften, Vermittler, Förderer, Kulturpraktiker und Netzwerker. Galt er früher als permanenter Überwinder (Schlagwort: "der Mann von Übermorgen"), so haben sich in der neueren Sekundärliteratur Auffassungen durchgesetzt, die die Konstanzen in Bahrs Entwicklung betonen.
Kurt Ifkovits
Die gute Schule. Seelenzustände. Berlin 1890. - Zur Kritik der Moderne. Gesammelte Aufsätze. Erste Reihe. Zürich 1890. - Die Überwindung des Naturalismus. [Als zweite Reihe von Zur Kritik der Moderne.] Dresden 1891. - Studien zur Kritik der Moderne. Mit dem Portrait des Verfassers in Lichtdruck. Frankfurt/Main 1894. - Der Franzl. Fünf Bilder eines guten Mannes. Wien 1900 - Dalmatinische Reise. Berlin 1909. - Expressionismus. Mit 19 Tafeln in Kupferdruck. München [1916]. - Rudigier. Kempten u. a. [1916] - Tagebücher, Skizzenbücher, Notizhefte. 5 Bde. Hg. von Moritz Csáky. Wien u. a. 1994-2003. - Hermann Bahr-Jaroslav Kvapil. Briefe, Texte, Dokumente. Hg. von Kurt Ifkovits. Bern u. a. 2007.
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