Hermynia Zur Mühlen, geborene Hermine Isabella Maria Gräfin Folliot de Crenneville, war die einzige Tochter von Graf Folliot de Crenneville und Isabella Louise Alexandrina Maria von Wydenbruck. Da ihr Vater als Diplomat die meiste Zeit im Ausland war, wuchs sie, wenn sie ihn nicht auf seinen Reisen begleitete, bei der liberalen Großmutter mütterlicherseits in Gmunden am Traunsee auf, was sie entscheidend prägte und den Grundstein für ihre schriftstellerische Karriere legte. Die Kindheitslandschaft rund um Gmunden wurde häufig zum Schauplatz ihrer Werke (vgl. Siegel 1993, 125). In ihren autobiografisch inspirierten Romanen Reise durch ein Leben und Das Riesenrad lässt Zur Mühlen immer wieder eigene Kindheitserinnerungen einfließen, in ihrem sogenannten "Lebensbuch" Ende und Anfang beschreibt sie das Aufwachsen im Salzkammergut und zeichnet dabei ein schillerndes Bild der "kulturellen Atmosphäre von Gmunden gegen Ende des 19. Jahrhunderts" (Altner 2001, 5).
In Ebensee absolvierte die Autorin eine Ausbildung zur Volksschullehrerin, einem Beruf, den sie jedoch niemals ausübte, da er als nicht standesgemäß galt. Ihre literarische Karriere begann Zur Mühlen 1918, nach dem Ende ihrer unglücklichen Ehe mit dem baltischen Baron Victor von zur Mühlen, beim Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller in Deutschland. Ihr Schreiben entwickelte sich bald über rein parteikonforme Literatur hinaus, 1927 wandte sich die Autorin schließlich von der Kommunistischen Partei ab (vgl. King 1988, 131).
Auch nach der Trennung von der KPD war Literatur für Zur Mühlen immer in erster Linie eine "soziale Waffe" (Frakele 1992, 209), ein Mittel im Kampf gegen Unterdrückung und soziale Ungerechtigkeiten. Bekannt für ihre proletarisch-revolutionäre Kinder- und Jugendliteratur, wagte sie sich bald in andere Bereiche vor und verfasste - auch unter zahlreichen Pseudonymen, wie Lawrence H. Desberry, Traugott Lehmann, Maria Berg und Franziska Maria Rautenberg - u. a. Kriminalromane, Novellen, Frauenschicksalsromane, Kurzgeschichten, historische Romane und Humoresken.
Nach der Machtergreifung Hitlers in Deutschland 1933 kehrte Hermynia Zur Mühlen gemeinsam mit ihrem Lebenspartner und späteren zweiten Ehemann Stefan Klein nach Österreich zurück und versuchte mit ihren Werken dem Aufkommen des Nationalsozialismus entgegenzuwirken. Der Roman Unsere Töchter, die Nazinen, den sie sofort nach ihrer Ankunft in Wien verfasste, beschreibt die Entwicklung und den Widerstand gegen den Faschismus in dem kleinen Ort G., der zahlreiche Charakteristika des damaligen Kurortes Gmunden aufweist (vgl. Wallace 2008, 167).
1938 flüchtete Zur Mühlen vor den Nationalsozialisten zuerst in die Tschechoslowakei und schließlich 1939 nach Großbritannien, wo sie trotz ihrer ungebrochenen literarischen Produktivität und ihrem Wechsel in die englische Sprache mit äußerst prekären finanziellen Verhältnissen zu kämpfen hatte. Schon während des Zweiten Weltkrieges begann sie Texte zu verfassen, die zu einem literarischen Wiederaufbau Österreichs nach dem Faschismus beitragen sollten. In ihren Miniaturen Kleine Geschichten von Großen Dichtern versuchte sie durch Portraits österreichischer Schriftsteller und Schriftstellerinnen, u. a. von Adalbert Stifter, eine neue kulturelle Identität Österreichs nach dem Nationalsozialismus zu entwickeln (vgl. Gauß 1983, 172).
Die erhoffte Rückkehr nach Österreich fand jedoch niemals statt. 1951 starb Hermynia Zur Mühlen verarmt in Radlett in Hertfordshire und wurde unter dem Namen Hermynia Kleinova bestattet. Schon in ihren letzten Lebensjahren war sie weitgehend in Vergessenheit geraten, ihrem Tod wurde in Österreich kaum Beachtung geschenkt (vgl. Dove 2006, 82). Erst ab den 1970er Jahren wurde in der Literaturwissenschaft langsam wieder das Interesse an der Schriftstellerin Hermynia Zur Mühlen wach.
Susanne Alt
Ende und Anfang. Ein Lebensbuch. Berlin 1929. - Das Riesenrad. Stuttgart 1932. - Reise durch ein Leben. Bern 1933. - Unsere Töchter, die Nazinen. Wien 1935. - Ein Jahr im Schatten. Zürich 1935. - Kleine Geschichten von großen Dichtern. Miniaturen. Wien 1945. - Als der Fremde kam. Wien 1947. - Ewiges Schattenspiel. Wien 1996. - Fahrt ins Licht. Sechsundsechzig Stationen. Erzählungen. Wien 1999. - Vierzehn Nothelfer und andere Romane aus dem Exil von Hermynia zur Mühlen. Hg. von Deborah Vietor-Engländer, Eckart Früh und Ursula Seeber. Bern 2002.
Alt, Susanne: Gender und Genre in den Werken Hermynia Zur Mühlen (1883-1951). Salzburg 2010. - Altner, Manfred: Hermynia Zur Mühlen: eine Biographie. Bern 1997. - Ders.: Vorwort zu Hermynia zur Mühlen: Ende und Anfang. Ein Lebensbuch. Wien 2001, 5-12. - Dove, Richard: Eine andere Besetzung? Drei Emigranten und das Nachkriegsösterreich. Hermynia Zur Mühlen, Robert Neumann, Hilde Spiel. In: Heide Kunzelmann, Martin Liebscher und Thomas Eicher (Hg.): Kontinuitäten und Brüche. Österreichs literarischer Wiederaufbau nach 1945. Oberhausen 2006, 77-92. - Frakele, Beate: Reise durch ein Leben. Zum 40. Todestag Hermynia Zur Mühlens. In: Siglinde Bolbecher u.a. (Hg.): Literatur in der Peripherie. Wien 1992, 207-217. - Gauß, Karl-Markus: Meisterwerke, leichthändig. Vorwort zu Hermynia Zur Mühlen: Fahrt ins Licht. Sechsundsechzig Stationen. Wien 1999, 7-13. -Gürtler, Christa; Schmid-Bortenschlager, Sigrid: Erfolg und Verfolgung. Österreichische Schriftstellerinnen 1918-1945. Fünfzehn Porträts und Texte. Salzburg 2002. - Hammel, Andrea: Everyday Life as Alternative Space in Exile Writing: The Novels of Anna Gmeyner, Selma Kahn, Hilde Spiel, Martina Wied and Hermynia Zur Mühlen. Oxford 2008. - King, Lynda J.: From the Crown to the Hammer and Sickle. The Life and Works of Austrian Interwar Writer Hermynia Zur Mühlen. In: Women in German Yearbook 4, 1988, 125-154. - Siegel, Eva-Maria: Zeitgeschichte, Alltag, Kolportage oder Über den "Bourgeois in des Menschen Seele". Zum Exilwerk Hermynia Zur Mühlens. In: Claus-Dieter Krohn u. a. (Hg.): Frauen und Exil. Zwischen Anpassung und Selbstbehauptung. München: 1993, 106-126. - Vietor-Engländer, Deborah: Hermynia Zur Mühlen's Fight against the "Enemy within: Prejudice, Injustice, Cowardice and Intolerance". In: Charmian Brinson u.a. (Hg.): Keine Klage über England? Deutsche und österreichische Exilerfahrungen in Großbritannien 1933-1945. München 1998, 74-87. - Wallace, Ailsa: Hermynia Zur Mühlen. The Guises of Socialist Fiction. Oxford 2009. - Zintzen, Christiane: Schnitte durch ein Leben. Hermynia Zur Mühlen in Neuausgaben. In: Literatur und Kritik. Nr. 351/52 2001, 77-79.