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Inn

Braunau am Inn, 1917; © Ansichtskartensammlung Stift St. Florian

Der Fluss, der die westliche Landesgrenze zu Bayern bildet und dem das Innviertel seinen Namen verdankt, hat in die regionale Literatur immer wieder Eingang gefunden.

Nach 517 Kilometern - davon 68 an der Grenze zwischen Deutschland und Oberösterreich - mündet der am Malojapass in der Schweiz entspringende Inn ("ain", "en" keltisch für "Wasser") in der "Dreiflüssestadt" Passau, wo aus dem Norden die Ilz hinzukommt, in die Donau. Dabei erscheint der ‚grüne‘ Inn mächtig und breit, sodass immer wieder die Frage auftaucht, ob der ins Schwarze Meer mündende Strom nicht besser nach ihm benannt worden wäre. "So herrisch nämlich benimmt sich der Fluß aus den Alpen mit seinem hellen, klaren, kalten Wasser, das wie ein Gruß von Gebirgsbächen, Felswänden und Gletschern in die wesentlich mildere Donaulandschaft eindringt." (Trost 1968, 121) Speziell zur Zeit der Schneeschmelze verstärkt sich die Dominanz des Inn, auch wenn er inzwischen durch Kraftwerke reguliert worden ist. Dennoch: Die Donau führt die längste Zeit des Jahres über mehr Wasser und behält ihre Flussrichtung bei.

Im Innviertel, östlich des Flusses, leben heute über 200.000 Menschen in den politischen Bezirken bzw. Städten Braunau, Schärding - beide direkt am Inn gelegen - und Ried/Innkreis. Zu Österreich kam das Innviertel erst 1779 nach dem Frieden von Teschen. Nur während der Napoleonischen Kriege 1809-16 konnte Bayern erneut Anspruch auf das ehemalige Innbaiern erheben. Kulturgeschichtlich erweist sich die gemeinsame Vergangenheit am Baustil der bayerischen und oberösterreichischen Inn- (sowie Salzach-) Städte oder an Ortsnamen mit der Endung "-ing".
Die Herrschaft der Agilolfinger vom 6. bis 8. Jh. als erste Stammesherzöge von Bayern brachte politische Stabilität und kulturellen Aufschwung. In die Zeit der Welfen ab 1070 fielen wichtige Klostergründungen entlang des Inn: Reichersberg (1084), dessen Propst 1132-66 der streitbare und zuletzt mit Reichsacht gebannte Kirchenreformer Gerhoch von Reichersberg war, Ranshofen bei Braunau (1125) und Suben (1126) - heute Strafanstalt, Schauplatz von Thomas Bernhards Erzählung Der Kulterer (1969; 1974 verfilmt mit Helmut Qualtinger).

Wesentlich für das wirtschaftliche und kulturelle Leben der Region war die schon zur Römerzeit, intensiv aber erst seit dem 13. Jh. betriebene Innschifffahrt. Auf der wichtigen Nord-Süd-Verbindung wurden stromabwärts neben dem noch bis ins 19. Jh. hinein wertvollen Salz u. a. Holz, Silber, Erze, Wein und Tuchwaren transportiert, im Gegenzug ‚treidelte‘ man Fleisch oder Getreide mit Pferden stromaufwärts. Der mit erheblichen Gefahren verbundene Berufsstand der Schiffer brachte im Bereich der Volkskultur zahlreiche Lieder und Verse hervor, z. B.: "Treu liabn und schee singa, / schnell fahrn und schwaar trinka, / resch redn und fest wehrn, / hot da Innviertla gern" (zit. nach Stalla 1993, 164).
Eines der ältesten literarischen Zeugnisse mit Bezug zum Innviertel ist das aus der zweiten Hälfte des 13. Jh. stammende Versepos Meier Helmbrecht, das neben dem (H)aldenberg, wo der Protagonist den Tod findet, Wanghausen gegenüber von Burghausen erwähnt. Weitere Bezugspunkte sind Hohenstein und der Helmbrechtshof. Was die Biografie des Autors Wernher der Gartenaere anbelangt gibt es verschiedene Vermutungen. Möglicherweise stand er als fahrender Sänger im Dienste der niederbayerischen Herzöge auf Burghausen, andere Theorien verorten ihn als Klosterbruder von Ranshofen (vgl. auch Brandstetter 2005).

Noch stärker auf ihre topografische Herkunft bezogen ist die Obderenns'sche Mundartdichtung des in Großpiesenham geborenen und später mit seiner ersten Frau Betty Reyß in Ried ansässigen Franz Stelzhamer. Dem Innviertlá Volk widmet er ein Gedicht, in dem vom "herzliaben Lándl" die Sprache ist (vgl. auch Insá Gögnd). "Mein Vadá, mein Muadá / Und ollaloa Freund, / Dö ham ghaust dort und hausen / Nu Viel bis auf Heunt" (zit. nach Pömer 2002, 134). Oans und Vier verrät schon im Titel die Bedeutung des Innviertels; analog zum Charakter des Inn als im Frühjahr wasserreichen Fluss ließe sich der "Innviertl-Fruahling" (ebd., 135) begreifen. In der Nachfolge Stelzhamers entstehen bis heute Lyrik und Erzählungen in Innviertler Mundart (Stelzhamerbund), u. a. von Karl Achleitner (Pseud. Karl Kellnarn, 1859-1914), August Daxberger (1913-1996; Gedicht Dá Inn), Gottfried Glechner (1916-2004), Fritz Lichtenauer oder Hans Kumpfmüller (geb. 1953).
1825 unternahm der Wiener Beamte und Naturforscher Joseph Kyselak (1799-1831) eine viermonatige Fußreise durch Österreich, die ihn mit dem Schiff die Salzach und den Inn befahren ließ. Dabei beeindruckte ihn die Gegend um Schärding: "Diese pittoresken Ufer krönen üppige Wälder, feste Burgen und prächtige Ruinen" (Kyslak 2009,  388).
Auch Adalbert Stifter gelangte zwischen 1851 und 1863 in seiner Funktion als Landesschulrat wiederholt ins Innviertel, wo ihm Braunau und Schardenberg besonders gut gefielen (vgl. Berger o. J.). In einem Brief vom 4. Dezember 1861 berichtet er seiner Frau vom mittelalterlichen Burghausen, das er zunächst fälschlicherweise am Inn wähnt (vgl. Stifter 1925, 35ff.). Eindrucksvoll und detailliert beschreibt er den Zusammenfluss von Inn, Donau und Ilz gleich zu Beginn des Witiko: "Am oberen Laufe der Donau liegt die Stadt Passau. Der Strom war eben nur aus Schwaben und Baiern gekommen, und nezt an dieser Stadt einen der mittäglichen Ausgänge des baierischen und böhmischen Waldes. Dieser Ausgang ist ein starkes und steiles Geklippe. Die Bischöfe von Passau haben auf ihm eine feste Burg gebaut, das Oberhaus, um gelegentlich ihren Unterthanen Trotz bieten zu können. Gegen Morgen von dem Oberhause liegt ein anderer Steinbühel, auf dem ein kleines Häuslein steht, welches einst den Nonnen gehörte, und daher das Nonngütlein heißt. Zwischen beiden Bergen ist eine Schlucht, durch welche ein Wasser hervorkömmt, das von oben gesehen so schwarz wie Dinte ist. Es ist die Ilz, es kömmt von dem böhmisch-baierischen Walde, der überall die braunen und schwarzen Wässer gegen die Donau sendet, und vereinigt sich hier mit der Donau, deren mitternächtliches Ufer es weithin mit einem dunkeln Bande säumt. Das Oberhaus und das Nonngütlein sehen gegen Mittag auf die Stadt Passau hinab, die jenseits der Donau auf einem breiten Erdrücken liegt. Weiter hinter der Stadt ist wieder ein Wasser, das aus den fernen mittäglichen Hochgebirgen kömmt. Es ist der Inn, der hier ebenfalls in die Donau geht, und sie auch an ihrer Mittagsseite mit einem Bande einfaßt, das aber eine sanftgrüne Farbe hat." (Stifter 1984-86, I/13)

Eine zentrale Stellung erlangt der Fluss im Werk des in St. Marienkirchen bei Schärding gebürtigen Richard Billinger. Als auf die eigene Herkunft verweisendes Landschaftszeichen besitzt er die mythische Macht zwischen erotischer Sehnsucht und Todesverlangen. Am bekanntesten ist sein Gedicht Der Inn: "Der Inn, der grüne Inn / kommt aus den Bergestälern. / Durch meine Adern rinn‘ / sein Zorn, den Dämme schmälern! // Der Inn, der grüne Inn / fließt durch die Heimataue. / Sein Herz ich mir gewinn‘, / wann seiner Wog‘ ich traue." (Billinger 1979-83, IV/161). In Der Strom heißt es: "Tödlichen Schmerzens / bin ich genesen, / aller Wunden / mußt‘ ich gesunden / an seinem Ufer! / Mich schuf er, / der Strom." (ebd., 162) Ähnlich verweist die autobiografische Erzählung Palast der Jugend auf die "Urmacht des Wassers" (Billinger 1955-60, V/130). "Der Innfluß gleißt, seiner Firnwasser ledig; es schimmert oft aus ihm, als wären Wasserfrauen bei ihm übernachtet. Kaum ein Fluß der österreichischen Erblande birgt diese große Gebärde." (ebd., 7; vgl. auch die Erzählung Der Schwimmer, Billinger 1979-83, I/119-123)
Billinger war auch Gründungsmitglied der 1923 in Braunau als Zusammenschluss von im Innviertel geborener oder lebender Künstler ins Leben gerufenen Innviertler Künstlergilde. Von Anbeginn gehörten ihr auch Paul Thun-Hohenstein (1884-1963) und Hans Freiherr von Hammerstein-Equord (1881-1947) an. Letzterer war ein an der Romantik orientierter Schriftsteller, der als leitender Beamter und Politiker der Ersten Republik Karriere machte (1923 Bezirkshauptmann von Braunau, ab 1934 Sicherheitsdirektor von Oberösterreich, ab 1936 Justizminister). Neben anderen prominenten Autoren wie Hermann BahrArthur Fischer-ColbrieFranz Karl Ginzkey oder Julius Zerzer findet sich auch Alfred Kubin als Mitglied der Künstlergilde. In seiner Erzählung Erlebnis am Inn schildert er eine skurrile Überfahrt mit der Fähre. Spaziergänge führten den Zeichner, Maler und Autor wiederholt an die Ufer des Inn.

Das Gedicht Da wuidö I des Wilheringer Zisterzienserpaters Emmerich Doninger (1914-1964) betont die ungezähmte Natur des Flusses, der immer wieder für Hochwasserschäden sorgte (vgl. auch Dürr/Gugerbauer 1999). Für andere Autorinnen und Autoren - zu nennen wären hier z. B. Franz Xaver Hofer (1942-2012), Wilhelm Rager (geb. 1941) oder Friedrich Ch. Zauner und Roswitha Zauner - erweist sich der Bezug zum Inn durch ihre Verbundenheit mit der Landschaft von Innviertel und Sauwald. Das gilt auch für den in Brunnenthal bei Schärding ansässigen Verein Landstrich (gleichnamige Zeitschrift) sowie die edition innsalz in Ranshofen, denen sich entscheidende Impulse für das kulturelle Leben am Inn verdanken.

Bernhard Judex

 

Ammer, Heinz: Der alte Mann und der Inn. Anglerlatein. Weitra o. J. - Berger, Franz: Adalbert Stifter und das Innviertel. o.O. o. J. - Bernhard, Thomas: Der Kulterer. In: ders.: An der Baumgrenze. Erzählungen. Salzburg 1969, 7-53. - Billinger, Richard: Gesammelte Werke. Romane. Dramen. Lyrik. 12 Bände. Graz 1955-1960. - Ders.: Gesammelte Werke. 7 Bände. Hg. von Wilhelm Bortenschlager. Wels 1979-1983. - Brandstetter, Alois: Der geborene Gärtner. München 2005. - Der Inn. Vom Engadin ins Donautal. Von der Urzeit bis heute. Redaktion Hans Heyn. Drei-Länder-Ausstellung der Stadt Rosenheim 4. Mai bis 5. November 1989. Rosenheim o. J. [1989]. - Dürr, Ernst; Gugerbauer, Anna: Vom Zorn des Inn. Wernstein/Inn 1999. - Ganglmair, Gustav: Innviertler Mundartdichter nach Franz Stelzhamer. Linz 1975. - Glechner, Gottfried: Das Innviertel. Oberösterreichs Erbe. Linz 1983. - Ders.: Meier Helmbrecht. o.O. 1986 . - grenzenlos. Geschichte der Menschen am Inn. Katalog zur ersten Bayerisch-Oberösterreichischen Landesausstellung 2004. Hg. von Erich Boshof, Max Brunner und Elisabeth Vavra. Regensburg 2004. - Gschnitzer, Franz: Der Inn. Ursprung, Vereinigung, hohe Zeit. Innsbruck 1947. - Hammerstein, Hans von: Im Anfang war der Mord. Erlebnisse als Bezirkshauptmann von Braunau am Inn und als Sicherheitsdirektor von Oberösterreich in den Jahren 1933 und 1934. Wien 1981. - Holter, Kurt: Die mittelalterliche Buchkunst in den Chorherrenstiften am Inn. In: 900 Jahre Stift Reichersberg. Augustiner Chorherren zwischen Passau und Salzburg. Ausstellung des Landes Oberösterreich. Linz 1984, 205-231. - Keinz, Friedrich: Helmbrecht und seine Heimat. München 1865. - Kubin, Alfred: Erlebnis am Inn. In: ders.: Vom Schreibtisch eines Zeichners. Berlin 1939. - Kumpfmüller, Hans: säichkammal & baddeibiachl. innviadla browiabrewia. Passau 2012. - Kyselak, Joseph: Skizze einer Fußreise durch Österreich. Salzburg, Wien 2009. - Litschel, Rudolf Walter: Land am Inn in Bayern und Oberösterreich. 2. Aufl. Linz 1975. - Pindelski, A. (Hg.): Das Innviertel. Porträt einer kulturellen Region. Steyr 1998. - Pömer, Karl: kotzengrob und bázwoach. Franz Stelzhamer. Leben und Werk. Ried/Innkreis 2002. - Stalla, Gerhard (Hg.): Inn - herrlich strömender, grünblauer Fluß. Rosenheim 1993. - Stepanek, Paul (Red.): Meier Helmbrecht und Gilgenberg. Eine literarische Tradition im oberen Innviertel und ihre Landschaft. Hg. von der Gemeinde Gilgenberg und dem Land Oberösterreich. Ried/Innkreis 1980. - Stifter, Adalbert: Sämmtliche Werke. 20 Bde. Briefwechsel vierter Band. Hg. von Gustav Wilhelm. Prag 1925. - Ders.: Witiko. Eine Erzählung. 3 Bände. Hg. von Alfred Doppler und Wolfgang Wiesmüller. Stuttgart u. a. 1984-86 (= Werke und Briefe. Historisch-kritische Gesamtausgabe. Im Auftrag der Kommission für Neuere Deutsche Literatur der Bayerischen Akademie der Wissenschaften hg. von Alfred Doppler und Wolfgang Frühwald [seit 2000: Hartmut Laufhütte]. Stuttgart u. a. 1978ff., Bd. 5,1-5,3).- Streifzüge - Land am Inn. Bildband Innviertel. Munderfing 2010. - Trost, Ernst: Die Donau. Lebenslauf eines Stromes. Wien, München 1968. - Zauner, Friedrich Ch.: Innviertel. Mit Farbbildern von Josef Wellinger. Linz 1993.