Aufgewachsen in Hörsching bei Linz als jüngstes von vier Geschwistern zeigt sich Recheis' Kindheit und Jugend geprägt von starkem familiären Zusammenhalt - insbesondere während der Zeit des nationalsozialistischen Gewaltregimes. Ihr Vater, Hans Recheis, betreute bereits während des Kriegs als Gemeindearzt Arbeiter und später auch (russische) Zwangsarbeiter, die im Zuge des Flughafenbaus in Hörsching in einem Barackenlager einquartiert wurden. In den Wochen nach Kriegsende wurden in einem Teil dieser Baracken schwer erkrankte befreite Häftlinge des Waldlagers Gunskirchen untergebracht und Käthe Recheis half unter der Leitung ihres Vaters bei deren Versorgung. Die amerikanischen Sanitätseinheiten verweigerten jedoch Medikamente und Desinfektionsmittel; an der nicht einzudämmenden Fleckfieberepidemie erkrankten sowohl Käthe Recheis als auch ihr Vater, der daraufhin am 9. Juni 1945 starb. Die traumatischen Erlebnisse begann die 17-Jährige bereits damals in einer Erzählung aufzuarbeiten, von der sie 1954 einen Auszug in Hans Weigels Stimmen der Gegenwart veröffentlichen konnte. 1964 schrieb sich Recheis schließlich mit ihrem Text unter dem Titel Das Schattennetz in einen österreichischen Literaturkanon autobiografischer Bewältigungsversuche der NS-Zeit ein. Eine heftige Kontroverse um die konsequent aus der Perspektive der 17-jährigen Christine geschilderten Ereignisse führte 1980 zu einer Neuauflage unter dem Titel Geh heim und vergiß alles mit von der Autorin vorgenommenen Adaptionen.
Nach der Matura 1947 einige Jahre im Veritas-Verlag in Linz tätig, begann Recheis 1953 als Sekretärin im österreichischen Büro des International Catholic Migration Committee, dessen Stelle in Wien sie ab 1956 leitete. Ihre 1960 im Rahmen dieser Tätigkeit stattfindende erste Amerikareise legte den Grundstein für ein lebenslanges sowohl literarisches als auch soziales Engagement für die indigene Bevölkerung Amerikas, das 1980 zur Gründung eines gemeinnützigen Vereins zur Unterstützung von selbstgeführten Indianerschulen in Nordamerika und Bolivien führte.
1961 erschien mit Kleiner Adler und Silberstern nicht nur ihr erstes Kinderbuch, sondern auch die erste Indianergeschichte, der zahlreiche weitere folgten (u. a. Pablito 1962, Der kleine Biber und seine Freunde 1963, Die Hunde Wakondas 1964, Fallensteller am Bibersee 1972, Kleiner Bruder Watomi 1974), bis schließlich mit Der weite Weg des Nataiyu 1978 das zentrale jugendliterarische Motiv der Selbstfindung zusammengeführt wird mit dem Identitätsverlust nordamerkanischer Indianer in den Schulen der Weißen. In bewusstem Kontrast zu einer der Bewahrpädagogik verpflichteten Kinder- und Jugendliteratur erzählt Recheis die Geschichte einer menschlichen Enteignung und stellt im Kontext der Figurenzeichnung Gewissensbildung und Kritikfähigkeit in den Zusammenhang mit Schöpfungsverantwortung. Diese Kultur des Widerstands wird um den romantischen Kindmythos erweitert, der auf die erlösende Kraft des zivilisatorisch Unverbrauchten setzt, wenn in Der weiße Wolf (1982) drei Kinder aus drei Völkern ausziehen, um nicht weniger als ihre Welt zu retten. Die Fragen nach den Strukturen des Zusammenlebens und der Genese von Gewalt zeigen sich in diesem Kontext fantastischen Erzählens ebenso wie im zeitgeschichtlichen Roman Lena. Mein Dorf und der Krieg (1987) und im mythologisch verorteten Roman Wolfsaga (1994) der Mechanismen des Faschismus als Menschheitsgeschichte aufrollt, ohne von Menschen zu erzählen. Insbesondere hier manifestiert sich in den verwendeten Naturmythen eine Form literarischer Entschleunigung, die sich auch in den ab 1983 gemeinsam mit Georg Bydlinski (geb. 1956) und Lene Mayr-Skumanz (geb. 1939) herausgegebenen Weisheiten der Indianer zeigt.
Seit 1961 als freie Schriftstellerin in Hörsching und Wien lebend, zeigt sich Recheis' Teilhabe an der Erneuerung der Kinder- und Jugendliteratur in Österreich, die sich auch an ihrer Mitarbeit am legendären, 1975 erschienenen Sprachbastelbuch ablesen lässt, an zahlreichen Auszeichnungen: u. a. Österreichischer Würdigungspreis für Kinder- und Jugendliteratur für ihr Gesamtwerk 1986, Verleihung des Ehrenkreuzes für Wissenschaft und Kunst 2001 sowie Adalbert-Stifter-Preis 2007.
Heidi Lexe
Kleiner Adler und Silberstern. Wien 1961 (auch: Kleiner Adler und Siebenstern. Wien 1991). - Das Schattennetz. Wien 1964 (auch: Geh heim und vergiß alles. Wien 1980). - London, 13. Juli. Wien 1975. - Der weite Weg des Nataiyu. Wien 1978. - Der weiße Wolf. Wien 1982. - Weißt du, daß die Bäume reden (gemeinsam mit Georg Bydlinski und Lene Mayer-Skumanz). Wien 1983. - Lena. Unser Dorf und der Krieg. Wien 1987 (auch als Hör-CD. Regie: Thomas Hinterberger. Linz 2016). - Wolfsaga. Wien 1994. - Die Katzenbande auf heißer Spur. Mit Farbbildern von Tina Holland. Innsbruck, Wien 2016.
Ellbogen, Christa: Die ist ganz anders, als ihr glaubt. Österreichische Kinder- und Jugendliteratur in der Zweiten Republik. In: Hans-Heino Ewers und Ernst Seibert (Hg.): Geschichte der österreichischen Kinder- und Jugendliteratur von 1800 bis zur Gegenwart. Wien 1997, 128-139. - Lexe, Heidi: Molse Mawa. Käthe Recheis - Leben und Werk. Ausstellung in der Nationalbibliothek. Eröffnungsrede. In: Tausend und ein Buch 1998, H. 2, 27-31. - Dies.: Eine, die (hin)sieht. In: Die Rampe 2008, H. 1, 9-11. - Pittertschatscher, Alfred (Hg.): Käthe Recheis. Linz 1995 (= Die Rampe 1995, Porträt). - Rényi, Martina: Der weite Weg. Identitätsfindung als prägendes Merkmal kinderliterarischen Erzählens untersucht an ausgewählten Werken von Christine Nöstlinger, Käthe Recheis und Renate Welsh. Dipl.-Arb. Univ. Wien 2004. - Seibert, Ernst: Kindheitsmuster in der österreichischen Gegenwartsliteratur. Zur Genealogie von Kindheit. Ein mentalitätsgeschichtlicher Diskurs im Umfeld von Kindheits- und Kinderliteratur. Frankfurt/Main 2005. - Ders.: "Sprachliche Narben" - Von Käthe Recheis zu Elsiabeth Reichart. In: Gabriele von Glasenapp und Gisela Wilkending (Hg.): Geschichte und Geschichten. Die Kinder- und Jugendliteratur und das kulturelle und politische Gedächtnis. Frankfurt/Main 2005, 199-209. - Wexberg, Kathrin: "Dokument humain" oder "historische Schmalsicht"? Die Kontroverse um Das Schattennetz von Käthe Recheis. In: Caroline Roeder (Hg.): Ich! Identität(en) in der Kinder- und Jugendliteratur. München 2009, 117-126.