Obwohl aus einem bürgerlichen Elternhaus stammend, sympathisiert Wiesinger - nicht zuletzt unter dem Eindruck der Februarkämpfe im Jahr 1934 - früh mit den Kommunisten. Gemeinsam mit dem ebenfalls links gesinnten Schriftsteller Franz Kain besucht er von 1934 bis 1938 das Stephaneum in Bad Goisern. Nach einer Ausbildung zum Dentisten wird Wiesinger 1941 zur Wehrmacht eingezogen. Mit einem Kameraden begeht er an der finnischen Front Sabotageakte, die bald auffliegen. Einem glücklichen Freispruch, den er selbst seiner bürgerlichen Herkunft zuschreibt, folgen Einsätze als Flakhelfer in Wien und Linz und weiterhin illegales Engagement für den kommunistischen Widerstand. Wiesinger landet daraufhin für acht Monate im Gefängnis in Wels und zieht sich dort eine Tuberkulose zu, an deren Folgen er bis zu seinem Tod leiden sollte.
Nach dem Krieg tritt er der KPÖ bei, beginnt für die kommunistische Zeitung Neue Zeit zu arbeiten und ist 1953 einer der Gründer des Linzer Kellertheaters. Gemeinsam mit Kurt Klinger, Paul Blaha (1925-2002), Walter Schmidinger (1933-2013) und Romuald Pekny (1920-2007) initiiert er den "Club der Todnahen", deren surreale Happenings gewisse Parallelen zu jenen der Wiener Gruppe und des "artclub" aufweisen. Nach Abschluss seiner Dentistenprüfung eröffnet Wiesinger 1958 zunächst eine Praxis, gibt diese jedoch nach einer schweren Lungenblutung 1960 wieder auf. Der Verkauf der Praxis und seine Invalidenpension ermöglichen ihm schließlich den Schritt in die freie Schriftstellerexistenz.
Wiesinger schafft in der Folge trotz gesundheitlicher Probleme ein umfangreiches Œuvre aus Theaterstücken, Hörspielen, Romanen und Tagebüchern. Die meisten seiner Texte verarbeiten zeitgeschichtliche bzw. politische Inhalte und vermitteln klare antikapitalistische bzw. antiimperialistische Botschaften. Aus dem vielgestaltigen Werk ragen seine beiden Romane über den Bürgerkrieg 1934 (Standrecht) und den "Anschluß" Österreichs an Nazideutschland (Achtunddreißig) heraus. Letzterer erscheint 1967 im Aufbau-Verlag in der DDR, weil Wiesinger für sein über 500-seitiges Manuskript, in dem er eine komplexe erzählerische Darstellung der Ereignisse rund um den "Anschluß" entwickelt, keinen österreichischen Verlag findet. Einzig der im Besitz der KPÖ befindliche Globus-Verlag publiziert den Roman in Form einer Lizenzausgabe.
Die massiven Publikationsschwierigkeiten verleiten Wiesinger zu Beginn der 1970er Jahre dazu, den heimischen Literaturbetrieb mit einer Eulenspiegeliade zu narren: Er erfindet einen schriftstellernden Jungbauern namens Max Maetz und beschickt zunächst renommierte Literaturzeitschriften und schließlich große Verlage mit Texten, deren eigentümliche Mischung aus Experiment und Naivität in die Literaturszene einschlagen wie ein erlösender Blitz. Wie die Art Brut oder die Texte und Zeichnungen der vom Psychiater Leo Navratil (1921-2006) betreuten Gugginger Künstler projizieren die Rezipienten ihre Sehnsucht nach Unverbrauchtem in die von Wiesinger 1972 als Bauernroman unter dem Titel Weilling. Land und Leute herausgegebenen Texte. Wiesinger rückt mit einem Mal vom Schatten ins Licht des Betriebs und erhält in der Folge die anerkennende Aufmerksamkeit von bekannteren Kollegen wie Ernst Jandl (1925-2000), Peter Turrini (geb. 1944) oder Michael Scharang (geb. 1941).
1974 erscheint der Roman Der rosarote Straßenterror im linken Westberliner Oberbaum-Verlag. Die darin geschilderte Perspektive auf den von den Westalliierten gemeinsam mit der sozialistischen Gewerkschaft niedergeschlagenen Streik der kommunistischen Arbeiterschaft im Jahr 1950 erregen den seinerzeitigen ÖGB-Chef Franz Olah so sehr, dass er die Auslieferung des Buches gerichtlich verhindern lässt. Wiesinger kommt im anschließenden Prozess mit einer Ehrenerklärung davon.
1981 legt er unter dem Titel Der Wolf einen Krimi über einen Serienmörder in Oberösterreich gegen Kriegsende vor, dessen reales Vorbild möglicherweise der 1947 verhaftete Georg Hamminger bildete, der sich in seiner Gefängniszelle erhängt hatte. Bis zu seinem Tod am 10. Februar 1991 arbeitet Wiesinger an Romanen und Theaterstücken weiter, doch sein gesundheitlicher Zustand schränkt ihn immer mehr ein.
Helmut Neundlinger
Die Tiere tun mir nichts. Erzählungen. Linz 1966. - Achtunddreißig. Jänner-Februar-März. Roman. Berlin 1967 (Lizenzausgabe: Wien 1967; auch: Wien 2011). - Max Maetz [Pseud.]: Weilling. Land und Leute. Bauernroman. Düsseldorf 1972 (auch: Grünbach 1990; Wien 2019). - Der rosarote Straßenterror. Roman. Berlin 1974 (auch: Wien 2011). - Standrecht. Der dokumentarische Roman über die Ereignisse im Februar 1934. Berlin 1976 (auch: Wien 1983; Wien 2011). - Der Wolf. Roman. Wien 1980 (auch: Grünbach 1993). - Der Verräter und der Patriot. Roman aus dem Nachlaß. Grünbach 1995.
Birbaumer, Ulf: Karl Wiesinger 1923-1991. In: Weg und Ziel 1994, H. 4. - Hofer, Georg; Neundlinger, Helmut (Hg.): "Vorwärts, Genossen, es geht überall zurück". Karl Wiesinger (1923-1991). Linz 2020. - Kain, Franz: Karl Wiesinger. In: Oberösterreichischer Kulturbericht 27 (1973). - Maurer, Stefan: Das literarische Kunstwerk als historischer Text. Karl Wiesingers politische Romane. In: "Vorwärts, Genossen, es geht überall zurück", a. a. O., 179-195. - Miessgang, Thomas: Sex, Mythos, Maskerade. Der antifaschistische Roman Österreichs 1960-1980. Diss. Universität Wien 1984. - Neuhuber, Christian: Die Max Maetz-Mystifikation. Karl Wiesingers "Bauernroman. Weilling Land und Leute". In: "Vorwärts, Genossen, es geht überall zurück", a. a. O., 203-214. - Scharang, Michael: Ein Volksschriftsteller. In: Volksstimme, 11.5.1974. -Schmidt, Konrad: Bruckner Bruder der Felder. Oder: Die kurzen aber nützlichen Leben des Max Maetz. In: Neue Deutsche Literatur 1975, H. 8. - Schnalzer-Beiglböck, Christiane: Karl Wiesinger (1923-1991). Eine Monographie unter besonderer Berücksichtigung der Theaterarbeit. Dipl.-Arb. Universität Wien 1995.