Marcharts Gedichte und Erzählungen, Roman und Hörspiel thematisieren die Konfrontation mit dem Fremden, mit einer übermächtigen Natur und mit dem Tod. Ihre abenteuermutigen, lebensweisen Ich-Erzählerinnen sind in die Polarität von Eros und Thanatos eingespannt; Körperlichkeit und Sinnlichkeit sowie weibliche Sexualität spielen deshalb eine große Rolle. Marcharts Erzählweise ist bei aller Schlichtheit von suggestiver Kraft und poetischer Dichte. Wie die Texte rücken auch ihre Filme die Perspektive der gesellschaftlich Marginalisierten ins Zentrum, fokussieren auf Krankheit und Tod, auf die Kehrseite des Wohlstandes, auf Sextourismus und Prostitution und Gewalt in den Familien. In Zusammenarbeit mit ihrem Ehemann Arne Marchart entstanden Dokumentarfilme u. a. mit Haftentlassenen (Himmelblau, 2000), von und mit autistischen Menschen (Nicht wichtig, 2002), mit Asylwerbern (Ist der Krieg jetzt fertig, Mama? oder Asyl in Österreich, 2007) und Obdachlosen (Minus 4Sterne, 2005).
In ihrer ersten Buchveröffentlichung, dem Gedichtband Eins im andern (1993), werden die Möglichkeiten zwischenmenschlicher Begegnungen - die daraus erwachsenden Hoffnungen und Enttäuschungen, die darin enthaltene Selbstbespiegelung und Selbstentfremdung - ausgelotet und die Sensationen sowie das Scheitern der Liebe thematisiert. In einer einfach gehaltenen, leicht rhythmisierten Sprache skizziert Marchart eindrückliche Stimmungsbilder, deren sprachliche Leerstellen von Gestus, Blick und Stille aufgefüllt werden. Darin scheinen ihre Vorbilder Paul Celan, Else Lasker-Schüler und Samuel Beckett durch.
Die 43 "Geschichten von Frauen" (Wilde, 2002) handeln von den Begegnungen der Ich-Erzählerin mit Frauen in allen Weltgegenden, ihren Riten und Aufgaben, ihren Ängste und Nöten. Die Spannweite reicht von selbstbestimmten Initiations- und Geburtsriten afrikanischer Frauen und freier weiblicher Sexualität über Rachemorde an gewalttätigen Ehemännern in Finnland bis zur Billigstprostitution in tropischen Gefilden. Die Kurztexte handeln von Unterdrückung und Gewalt, die am anderen wie an sich selbst wiederum Gewalt erzeugen. Die daraus resultierende Todesnähe ist es, welche die Lebenslust erst herausfordert.
In Jemand (2005) erzählt Marchart die Geschichte einer Selbstfindung. Die 33-jährige Masseurin Gerda Sanders gerät durch den plötzlichen Tod ihres Klienten während einer Behandlung in eine tiefe Lebenskrise. Auf einer rastlosen Reise sucht sie - erst in einer abgelegenen Pension, dann an der süditalienischen Küste - nach existenzieller Isolation und Ruhe, um sich der Frage nach dem Wesen und der Bedeutung des Lebens zu stellen. Dabei lotet sie dessen Grenzen aus und entlarvt ihre eigene Geschichte als fortschreitende Selbstentfremdung. Durch diese schonungslose Selbstkonfrontation von ihren Ängsten befreit, kann sie sich ihren Mitmenschen auf der Basis eines veränderten Selbstverständnisses neu annähern.
Die kurzen philosophischen Betrachtungen, welche die fünf unterschiedlich langen Kapitel als persönliche Notate der Erzählerin einleiten, verleihen der Geschichte einen explizit exemplarischen Charakter: Erzählt wird die persönliche Entwicklung einer jungen österreichischen Frau, die sich in der äußeren Reise widerspiegelt. In Jemand ist Marcharts Vorliebe für anatomische und körperliche Details zu einem beinahe analytisch-wissenschaftlichen Interesse gesteigert, der Blick der Erzählerin fasziniert auf die Körper der anderen gerichtet. Dadurch erhalten Marcharts Texte eine große Intensität, welche durch originelle Bilder verstärkt wird. An den Bildkonstruktionen erkennt man den geübten Filmblick der Autorin, die - auch in der sprachlichen Umsetzung - geschickt mit Detail- und Totalaufnahmen umzugehen weiß.
1997 erhielt Marchart die Talentförderungsprämie Literatur des Landes Oberösterreich, 2003 das Staatsstipendium für Literatur und das Kunstförderungsstipendium Literatur der Stadt Linz, 2004 das Projektstipendium Literatur des BKA-Kunst, 2007 das Adalbert-Stifter-Stipendium sowie den Heinrich-Gleißner-Förderpreis und 2009 den Marianne-von-Willemer-Anerkennungspreis.
Alexandra Millner
Eins im andern. Hg. von Linz Kultur Texte. Linz 1993. - Wilde. Geschichten von Frauen. Salzburg, Wien 2002. - Der Fisch. In: Jochen Jung (Hg.): Kleine Fibel des Alltags. Ein österreichisches Lesebuch. Mit Zeichnungen von Rotraut S. Berner. Salzburg 2002, 41. - Über die Toten. In: Gustav Ernst und Karin Fleischanderl (Hg.): Zum Glück gibt's Österreich. Junge Österreichische Literatur. Berlin 2003, 74-75. - . Roman. Salzburg 2005. - Wasser, das Eis wird. In: Die Rampe 4 (2005), 52-54. - Bei Regen. Hörspiel. ORF-Landesstudio Oberösterreich 2006. - Schwarz. In: Am Leben. Geschichten vom Helfen. Hg. vom Forschungsinstitut des Wiener Roten Kreuzes. Sankt Pölten, Salzburg 2006 - H(e)art cut. Romanbeginn. In: Die Rampe 1 (2007), 31-39. - Bewerbung. Hörspiel. ORF 2010. - Der Fallensteller. In: Salz 37 (2012), H. 148, 13-15. - Autistische Welten? in Zeichnung + Text + Foto + Film. Erkennbare Codes. Erkennbare Eigenschaften. Wie können wir einander verstehen? Wien 2015.
Cerny, Karin: Patricia Josefine Marchart. Wilde. Geschichten von Frauen. In: Buchmagazin des Literaturhaus Wien, 25.3.2002. - Rottensteiner, Anna: Erzählstrategie x2. Zu Patricia Josefine Marchart und Andrea Winkler. In: Die Rampe 2007, H. 1, 27-29.