Im Gegensatz zu seinem Bruder Maurus Lindemayr, der als bedeutendster österreichischer Mundartdichter des 18. Jh. Eingang in die Literaturgeschichten fand, ist der beinah eine Generation jüngere Peter Gottlieb Lindemayr selbst Fachleuten kaum noch ein Begriff. Doch nicht mangelnde Qualität ließ die Erinnerung verblassen, denn seine Lieder weisen eine für einen Gelegenheitsdichter erstaunliche Bildkraft und technische Souveränität auf.
1741 in Neukirchen geboren, verliert er bereits mit fünf Jahren seinen Vater, doch ermöglicht ihm Abt Amand Schickmayr von Lambach eine profunde Ausbildung am Linzer Jesuitengymnasium. Nach Schreiberdiensten in der Kanzlei seines Bruders Gotthard wird er 1765 zum Salzstadelschreiber in Stadl-Paura ernannt. Im selben Jahr noch heiratet er mit Maria Susanna Schickmayr eine Schwester des Lambacher Prälaten. Der Geburt ihrer Tochter Maximiliana 1768 widmet Lindemayr sein Freudenlied Auf die zweite Niederkunft, das uns als seine erste exakt datierbare Arbeit im Dialekt überliefert ist. Schon früher dürften hochdeutsche Lieder wie Point d'honneur entstanden sein. Zuerst an eine größere Öffentlichkeit tritt Lindemayr 1770 mit zwei Liedern in Mundart (Freudenlied eines Salzschiffmanns in Stadel, Urlaublied eines Ländler Bauers), die anlässlich des Lambacher Aufenthalts der Dauphine Maria Antonia bei ihrer Brautreise nach Frankreich gedruckt werden.
Zunächst noch deutlich unter dem Einfluss seines Bruders Maurus, dessen kraftvolle Authentizität in der poetischen Gestaltung des Dialekts er nicht immer erreicht, entwickelt er nach dessen Tod einen eigenen Stil, der lange vor Anton Schosser, Josef Theodor Fischer oder Franz Stelzhamer einen subjektiven, sinnlichen Standpunkt betont und das Private den großen Themen seiner bewegten Zeit vorzieht. Ein Jahr nach dem Tod seiner ersten Frau heiratet Lindemayr 1795 Maria Anna von Erb, doch schon vier Jahre später, am 21. Februar 1799, stirbt er - wie sein Sohn Martin in einem Nachruf vermerkt - "an einem schmerzhaften Fuße, und an einer dazu gekommenen Gelbsucht".
Neben zumindest vier Dutzend hochdeutschen Gedichten sind vor allem seine zwanzig Dialektlieder von Interesse, an denen sich die formale, sprachliche und thematische Weiterentwicklung der Mundartdichtung des ausgehenden 18. Jh. ablesen lässt. So entfernte sich Lindemayr allmählich vom Rollengedicht und näherte das Ich der Dichtung dem Autor-Ich an. Er erreichte damit eine Subjektivierung des Erlebens und Empfindens, die den Situationsbeschreibungen Plastizität und Unmittelbarkeit verleiht. Damit verbunden ist ein Wandel in der Sprachgestaltung der Lieder, die nun weniger im bäuerlichen Basisdialekt als in einer soziolektal aufschlussreichen "bürgerlichen" Mundartvariante verfasst wurden. Auffälliger noch sind die thematischen Unterschiede zwischen den Liedern der Brüder Lindemayr: Peter Gottliebs weitgehender Verzicht auf Grobheiten spiegelt einen Geschmackswandel, der u. a. dafür verantwortlich war, dass Teile des Werks seines berühmten Bruders nie in Druck gingen. Auch dessen soziales Interesse, sein Engagement gegen landes- und grundherrschaftliche Willkür sowie die vehementen Aburteilungen anderer Glaubenslehren fehlen im Werk Lindemayrs weitgehend. Dafür finden sich anakreontische und erotische Anklänge, Belege einer sinnenfrohen Vitalität, die sich abhebt von den Zustandsklagen, wie sie Maurus Lindemayr seinen bäuerlichen Sprechern in den Mund legt.
Von wem die Vertonungen der Lieder stammen, ist noch weitgehend ungeklärt. Eintragungen in den Konvoluten Joseph Langthallers lassen vermuten, dass dieser auch einige Arbeiten des Salzstadelschreibers in Musik gesetzt hat. Einzelne seiner Lieder wie sein Einfältiges Bauern Lied auf die heil. Nacht leben in Melodievarianten im Volkslied fort. Die situations- bzw. personenspezifische Fixierung eines Großteils seines Werks hat jedoch ein intensives Weiterwirken, wie es die Lieder seines Bruders zeigen, verhindert.
Christian Neuhuber
Maurus Lindemayr's sämmtliche Dichtungen in obderennsischer Volksmundart. Mit einer biographisch-literarischen Einleitung und einem kurzgefaßten Idiotikon. Hg. von Pius Schmieder. Linz 1875. - Die Dialektlieder. Kritische Ausgabe. Hg. und kommentiert von Christian Neuhuber [in Vorbereitung, erscheint 2009]
Eichinger, Wilhelm: Peter Gottlieb Lindemayr. Zum 200. Todestag des Dichters. In: Stelzhamerbund. Mitteilungen Nr. 131, 1999, 25-29.