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Richard Obermayr

Foto: © Martin Purkhart

Geb. 22.8.1970 in Ried/Innkreis, OÖ.
Zeitgenössischer Autor einer bildreichen Prosa von starker Prägnanz.

Richard Obermayr wuchs in der Gemeinde Schlatt bei Schwanenstadt auf. Während der Schulzeit las er intensiv Avantgardeliteratur, auch die zeitgenössische avancierte Literatur Österreichs (Ferdinand Schmatz, Franz Josef Czernin, Christian Steinbacher, Hansjörg Zauner). Nach der Matura begann er zuerst ein Physik-, wechselte aber bald zum Germanistikstudium; es folgte ein längerer Studien- und Schreibaufenthalt in Frankreich. Die Verbindung zur französischen Kultur und Literatur ist von großer Bedeutung für Obermayr und fließt immer wieder in seine Texte ein.

Obermayr geht in seinem Schreiben einen sehr eigenständigen und eigenwilligen Weg. Und dieser Weg blieb nicht verborgen. Nach der Teilnahme am Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb 1996 kam es 1998 über die seit den 1970er-Jahren etablierte Verbindung der Literaturzeitschrift manuskripte zum Residenz Verlag zur Veröffentlichung seines ersten Romans Der gefälschte Himmel - ein viel beachtetes und gelobtes Debüt. Obermayr spannt in seinem poetologischen Unterfangen einen großen Bogen auf zwischen Sprach- und Bildschöpfung, die sich über narratologische, chronologische Strukturen erhebt, und dem stets präsenten Topos des Scheiterns. Es gibt hier keine ‚story‘, auch wenn der Ich-Erzähler einer Familiengeschichte nachspürt. Aber das Ich bildet hier eine Hohlform für Such- und Recherchebewegungen, die sich an die Grenzen von Geschichten, Erinnerungen und der Existenz (also zum Tod hin) begeben. Zentrale Metapher im Roman ist das Haus: zum einen Raum, (An-)Ordnung für Erinnerung, Haus der Geschichte, zum anderen repräsentiert es das System und die Möglichkeiten der Sprache. Das Haus steht damit auch für die Welt. Der Roman erfindet keine Geschichte, er erfindet seine Welt in einem dichten Bildrepertoire: "Obermayrs Bildmischungen (nicht: Bildsprünge) sind ins Netz eines übergeordneten Bild-Gedächtnisses eingeknüpft und - darin aufgefangen - für die Konzeption eines umfassenden Welterinnerns und -erzeugens produktiv gemacht." (Eder 1998)

Obermayr erfasst nach diesem Debüt eine Schreibkrise, die allerdings weniger eine Krise des Schreibens, sondern eine der zu findenden Form für die überbordenden Einfälle war. In dieser Zeit beschäftigte er sich vornehmlich mit Anfängen - ein Komplex, den er später in seine Wiener Vorlesungen einfließen ließ (Anfänge ohne Beginn, 2001). Nachdem er sich nach gut zehn Jahren Arbeit am nächsten Projekt dazu entschlossen hatte, nicht "ein Buch der Möglichkeiten" zu schreiben - wie er in den Vorlesungen schreibt -, "sondern das eine verwirklichte Buch", konnte 2010 der Roman Das Fenster erscheinen. Wieder hat der Text nichts mit gängigen Erzählmustern zu tun, wieder geht es - Walter Benjamins "Engel der Geschichte" scheint dabei eine leitende Vorstellung zu sein - um Möglichkeiten eines Ineinanders von Zeitschichten, Vergangenheit, Erinnerung, textliche Gegenwart; und damit um die Möglichkeiten des Schreibens. Obermayrs Bilder, im Fenster häufig der Zirkuswelt entnommen, sind stets auch Allegorien des Schreibens: Die Artisten etwa proben ein perfektes Kunststück - das Phantasma des perfekten Kunstwerks schwebt im Hintergrund. Der Roman kreist um einen Schuss. Man erfährt nicht, ob er tatsächlich abgegeben wurde, jedenfalls bewegt sich eine Kugel durch den Text, durch die Erinnerung an die oberösterreichische Provinz der siebziger Jahre, durch das Haus der Kindheit, durch Bilder aus Paris, durch Erinnerungsbilder (die Mutter hatte eine Pistole in der Hand). In diesem Schuss ist die Zeit konserviert, aus dem Blick auf den von seinem Erzähler erinnerten Schuss entwickelt und konstruiert Obermayr die Denk- und Schreibbewegung. Der Fortgang des Romans wird in dieser oft zirkulären Bewegung zu einem retardierenden Moment, die Zeit bzw. das (Nicht-) Vergehen der Zeit zum zentralen Thema. Obermayr schreibt eine vergleichsweise einzigartige Literatur mit einem dichten Gewebe an Bildern und Vergleichen und arbeitet mit Beharrlichkeit an seinen Projekten eines "Romans als Weltmaschine" (Kessler 2010).

Ausgezeichnet wurde sein Werk u. a. 2000 mit dem Adalbert-Stifter-Stipendium des Landes Oberösterreich und dem Hermann-Lenz-Stipendium, 2002-05 erhielt er das Robert-Musil-Stipendium der Republik Österreich, 2011 den Reinhard-Priessnitz-Preis.

Wolfgang Straub

 

Der gefälschte Himmel. Roman. Salzburg, Wien 1998. - Der Wal. Entwurf zu einer Erzählung. In: manuskripte 1998, H. 141, 81-84. - Dem Herausgeber weiterhin einen aufrechten Gang wünschend. In: manuskripte 2000, H. 150, 159. - Anfänge ohne Beginn [Vorlesung zur Literatur]. In: manuskripte 2001, H. 154, 141-152. - Anfänge ohne Ende. In:kolik. Zeitschrift für Literatur, Nr. 17, 15-33. - Sehr geehrte Freunde des Varietés, sehr geehrte Artisten und Claqueure. In: Hofmannsthal. Jahrbuch zur Europäischen Moderne 11 (2003), 161-167. - Arbeiten zu einer nicht gelingen wollenden Erzählung. In: manuskripte, 2004, H. 165, 74-77. - Unterlassen. In: Die Welt, an der ich schreibe. Ein offenes Arbeitsjournal. Hg. von Kurt Neumann. Wien 2005, 153-159. - Das Fenster. Roman. Salzburg 2010. - In der Mitte des Platzes. In: Die einzige Rettung: Schönheit. Hg. von Jochen Jung. Salzburg 2010, 48-53. - Eine Sammlung menschlicher Anomalien oder Die Geburt der Geschichte. In: manuskripte 2010, H. 189/190, 407-410. - "Ich bin gern dort, wo nichts ist. Denn dort ist nicht nichts. Und mehr als woanders." In: literatur/a. Jahrbuch 2010/11 (Peter Handke gewidmet). Klagenfurt 2012, 38-40.

Eder, Thomas: Die erhabene Maske des Karnevals. Zu Richard Obermayr Der gefälschte Himmel (mit Hermann Broch Der Tod des Vergil). In: manuskripte 1998, H. 142, 134-137. - Ders.: Richard Obermayr: Der gefälschte Himmel. In: Buchmagazin des Literaturhaus Wien, 2.12.1998. - Kessler, Florian: Muttersterben. In: Süddeutsche Zeitung, 23.6.2010. - Zocco, Gianna: Richard Obermayr: Das Fenster. In: Buchmagazin des Literaturhaus Wien, 31.1.2011.

Stand: 22.12.2016