Dass Richard Wall dem Mühlviertel treu geblieben ist und in seinem Geburtsort Engerwitzdorf lebt, ist nur die eine Seite seiner Biografie. Die andere ist, dass er zahlreiche Reisen quer durch Europa (u. a. Irland, Großbritannien, Skandinavien, Spanien, Portugal, Polen, Slowenien, Italien und Frankreich) unternimmt und die vielfältigen Begegnungen und Erfahrungen in seine künstlerische Arbeit einfließen lässt.
Wall hat sich nach der Matura schon während seines Studiums an der Hochschule für künstlerische und industrielle Gestaltung in Linz intensiv mit verschiedenen Ausdrucksweisen in Malerei, Grafik, Fotografie und Literatur beschäftigt. Seit 1980 publiziert er regelmäßig, nimmt an internationalen Ausstellungen teil und betätigt sich auch als Kurator und Organisator künstlerischer Veranstaltungen wie z.B. Lesungen mit irischen und tschechischen Autorinnen und Autoren.
Von den rund 25 bisher erschienenen eigenständigen Buchpublikationen ist rund die Hälfte dem lyrischen Schaffen gewidmet, die andere Hälfte besteht aus Reiseskizzen, Prosaminiaturen und Erzählungen. Dabei erweist sich der "Wort- und Bildkünstler" (Schacherreiter 2011) Wall als genauer Beobachter seiner Umgebung. Vom ersten Band Ringsherum Schnee. Gedichte und Prosa aus der Pendlerprovinz (1987) bis zu In der Leere das Sitzen In der Drift der Tage und Streith (beide 2014) sind es Orte, Landschaften und vor allem die sie bewohnenden Menschen, auf die seine literarischen Arbeiten fokussieren. So etwa werden die Ereignisse im Dorf "als mikrokosmos, in dem sich der makrokosmos - manchmal verzerrt - spiegelt" und der "Strukturwandel" (Wall 1992, 11f.) der ländlichen Umgebung sichtbar. Als Momentaufnahmen halten sie an keiner idealisierenden oder beschaulichen Naturbeschreibung fest, sondern öffnen den Blick für das Flüchtige, Unentdeckte, als beiläufig Wahrzunehmende sowie den Prozess kulturellen Wandels und dessen Widersprüche, z. B. auch im Gedichtband Stein- und Neonschrift (2000). Als "Lyrik, die ins Herz und ins Schwarze trifft" (Wagner 2006) und gesellschaftliche Missstände benennt, bezeichnete etwa Walter Wagner den Gedichtband Am Rande (2006).
Topografisch am nachhaltigsten in Walls Werk wirkt die Destination Irland, wo er sich 1975 das erste Mal aufhielt. Nach dem "Reisejournal" Blackthorn (mit Gedichten von Moya Cannon und Francis Harvey) und der Dokumentation über Ludwig Wittgensteins Aufenthalte auf der Insel (Wittgenstein in Irland, 1999) war es zuletzt der Band connemara (2011), in dem es Wall "in bewundernswerter Weise" gelingt, "das Ineinander von Natur, Arbeit, Geschichte und Mythos zu veranschaulichen, das dieser Kultur ihre besondere Ausprägung gegeben hat" (Schacherreiter 2011). In den wie in vielen Büchern Walls von Fotografien begleiteten Porträts der irischen Landschaft sowie einzelner Menschen zeigt sich Erinnerung als Arbeit, als "Konstruktion von Wirklichkeit, ein mittels Sprache auf Sinnstiftung bedachtes Wiederauferstehenlassen markanter Ereignisse, von denen man sich erhofft, dass sie das Leben ausmachen" (Wall 2011, 5).
Dies gilt auch für die beiden Essaysammlungen Steine Spuren Labyrinthe (1996) und Kleines Gepäck (2013), in deren Mittelpunkt wiederum durch den Besuch verschiedener europäischer Orte motivierte Annäherungen an Künstlerbiografien wie Dylan Thomas, Ezra Pound, Federico García Lorca, Ivo Andrić, Johannes Urzidil oder Franz Kain stehen.
Wall ist Mitglied der Grazer AutorInnenversammlung und der IG Autorinnen Autoren. Er wurde u. a. 2006 für Rom. Ein Palimpsest mit dem Buchpreis des Bundeskanzleramtes ausgezeichnet und erhielt 2009 die Buchprämie des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur für den Lyrikband Unter Orions Lidern.
Bernhard Judex
Ringsherum Schnee. Gedichte und Prosa aus der Pendlerprovinz. Bremen 1987. - Die Nacht wird kalt. Gedichte. Linz 1988. - Blackthorn / mit der Sichel das Korn. Irisches Reisejournal (mit Zeichnungen und Fotografien des Autors sowie Gedichten von Moya Cannon und Francis Harvey). Weitra 1989. - Sommerlich Dorf. Vom schöneren Leben auf dem Lande. Miniaturen, Variationen, Spaziergänge. Weitra 1992. - Schwellenlicht / Schattenbahn. Gedichte. Weitra 1995. - Steine Spuren Labyrinthe. Reiseskizzen und Essays. Linz 1996. - HerzAsphaltMörderGrubenRhapsodie. Ein Poem. Klagenfurt 1997. - Wittgenstein in Irland. Klagenfurt 1999. - Stein- und Neonschrift. Gedichte. Baden 2000. - Klemens Brosch oder Eine Einübung ins Unmögliche. Klagenfurt 2001. - Siebzehn und vier. Gedichte und Balladen. Linz, Wien 2003. - Anonyme Inventuren / Anonymní inventury. Pilsen 2004. - Mühlen, Mägde und Rebellen. Geschichte und Geschichten des Gusentals (Kinder- und Jugendbuch). Weitra 2004. - Rom. Ein Palimpsest. Klagenfurt 2006. - Am Rande. Gedichte. Aachen 2006. - Unter Orions Lidern. Gedichte. Wien 2008. - Wortwerkstätten Michael Guttenbrunners. Fotos und Texte. Prosa aus dem Nachlass. Hg. von Richard Wall. Wien 2009. - connemara. im kreis der winde. Wels 2011. - Irgendetwas zieht immer weitere Kreise. Bukolische Prosa. Erlangen 2012. - Gehen gegen den Wind. Gedichte Notate Stimmen. Wien 2012. - Kleines Gepäck. Aus einem anderen Europa. Klagenfurt, Wien 2013. - Ausgewählte Gedichte. Wien 2013 (= Podium Porträt 73). - In der Leere das Sitzen in der Drift der Tage. Kurzprosa. Wien 2014. - Streith. Gedichte. Horn 2014. - Feld, Wiese, Apfel, Stadel, Stall, Sau, Pferd, Kuh, Ofen, Brot oder Holz. Bruchstücke einer Biographie. Mit Offsetfarblithographien von Andreas Ortag. Horn 2015. - (gem. mit Martin Anibas:) Achill. Verse vom Rande Europas: als Artist in Residence im Heinrich Böll-Cottage. St. Pölten 2016.
Hackl, Erich: Das Ruder in der Strömung. In: Die Presse, 16.7.2011. - Ders.: Der Sinn unserer Sinne. In: Die Presse, 7.12.2013. - Löcker, Ivette: Richard Wall: HerzAsphaltMörderGrubenRhapsodie. In: Buchmagazin des Literaturhaus Wien, 23.11.1991. - Schacherreiter, Christian: Ein Mühlviertler in Irland. In: Oberösterreichische Nachrichten, 14.12.2011. - Schönauer, Helmuth: Richard Wall: Stein- und Neonschrift. In: Buchmagazin des Literaturhaus Wien, 29.12.2000. - Teissl, Christian: Fortgegangen und dageblieben. In: Richard Wall: Ausgewählte Gedichte. Wien 2013 (= Podium Porträt 73), 6-12. - Wagner, Walter: Richard Wall: Am Rande. In: Buchmagazin des Literaturhaus Wien, 22.11.2006.