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Thomas Bernhard

Foto: Peter Wurst; © Fotostudio PeterPeter

Geb. 9.2.1931 in Heerlen (Niederlande), gest. 12.2.1989 in Gmunden.
Als Autor von Romanen, Erzählungen und Dramen einer der bedeutendsten österreichischen Schriftsteller nach 1945, als Verursacher zahlreicher öffentlicher Skandale auch außerhalb literarischer Kreise bekannt und umstritten.

Thomas Bernhard war der uneheliche Sohn von Herta Bernhard, der Tochter des Salzburger Heimatschriftstellers Johannes Freumbichler (1881-1949); seinen Vater, den Tischler Alois Zuckerstätter, lernte er nie kennen. Nach ersten Lebenswochen in Pflegeunterkünften in Holland (u. a. im Kinderhuis in Hillegersberg und vermutlich auf einem Fischkutter) lebte er bis 1935 zusammen mit der Mutter und deren Eltern unter ökonomisch schwierigen Bedingungen in Wien. Freumbichler, ein weitgehend erfolgloser Autor, wurde zur prägenden Person von Bernhards frühester Lebenszeit und später zum Vorbild für die zahlreichen scheiternden Künstlergestalten in seinem Werk.
1935 übersiedelte Bernhard mit den Großeltern nach Seekirchen am Wallersee (Salzburg). 1936 heiratete Herta Bernhard den Friseur und späteren Berufsschullehrer Emil Fabjan, der Ehe entstammen Bernhards Halbgeschwister Peter und Susanne (verehel. Kuhn). 1937 übersiedelte er mit Mutter und Ziehvater nach Traunstein (Oberbayern), wo Fabjan Arbeit gefunden hatte; 1939 zogen auch die Großeltern ins nahegelegene Ettendorf. 1944 trat er in eine Salzburger Hauptschule ein und wohnte zu dieser Zeit im nationalsozialistischen "Schulknabenasyl" Johanneum in der Schrannengasse. Auf Betreiben des Großvaters erhielt er in diesen Jahren Geigen-, Zeichen- und Malunterricht.
Nach den ersten schweren Bombenangriffen auf Salzburg kehrte er vorübergehend nach Traunstein zurück, erst nach Kriegsende 1945 setzte er den Schulbesuch in Salzburg fort und wechselte nach Abschluss der dritten Klasse Hauptschule in ein Gymnasium über, wobei er weiterhin im Johanneum wohnte, das jetzt als katholisches Schülerheim geführt und von ihm weiterhin als autoritärer Zwangsapparat erlebt wurde. 1946 übersiedelte die gesamte Familie, die sich zur österreichischen Staatsbürgerschaft bekannt hatte, nach Salzburg. 1947 brach Bernhard die Schule ab und begann eine Kaufmannslehre in der Salzburger Scherzhauserfeldsiedlung.
Um die Jahreswende 1948/49 entwickelte sich aus einer nassen Rippenfellentzündung eine lebensbedrohliche Erkrankung; Bernhard wurde bereits ins Sterbezimmer des Salzburger Landeskrankenhauses abgeschoben und verbrachte von 1949 bis 1951 u. a. mit einer Lungentuberkulose mehrere Aufenthalte in Heilstätten, v. a. in der Lungenheilstätte Grafenhof bei St. Veit im Pongau. In diesen Jahren starben die wichtigsten Bezugspersonen: 1949 der Großvater, 1950 die Mutter; im selben Jahr begegnete Bernhard in St. Veit aber auch seinem "Lebensmenschen" Hedwig Stavianicek (1894-1984), einer um fast 37 Jahre älteren Wiener Ministerialratswitwe, mit der ihn bis zu deren Tod eine enge Freundschaft verband.

Zwischen 1952 und 1955 war Bernhard als freier Mitarbeiter beim sozialistischen Demokratischen Volksblatt (Salzburg) tätig und verfasste dabei vorwiegend Gerichtssaalberichte, Buch-, Theater- und Filmkritiken, aber auch kürzere Prosatexte und Gedichte. 1955 begann er an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst Mozarteum in Salzburg zunächst ein Gesangs-, später auch ein Regie- und Schauspielstudium; während seiner Studienzeit trat er in mehreren Produktionen am Mozarteum als Schauspieler auf. 1957 schloss er sein Regie- und Schauspielstudium mit der Bühnenreifeprüfung ab. Zwischen 1957 und 1960 war er mit dem Komponisten Gerhard Lampersberg (1928-2002) befreundet; er verbrachte längere Aufenthalte auf dessen Tonhof in Maria Saal (Kärnten) und schrieb Texte, die von Lampersberg vertont wurden. 1957 erschien im Salzburger Otto Müller Verlag Bernhards erster Gedichtband Auf der Erde und in der Hölle, 1958 folgten im selben Verlag In hora mortis und bei Kiepenheuer & Witsch Unter dem Eisen des Mondes, beide ebenfalls Lyrikbände. 1960 wurden auf dem Tonhof unter der Regie von Herbert Wochinz (1925-2012) erste dramatische Arbeiten Bernhards uraufgeführt.

Nachdem der Otto Müller Verlag 1961 den 140 Gedichte umfassenden Band Frost abgelehnt hatte, gelang Bernhard 1963 mit dem Roman Frost (Insel Verlag) der literarische Durchbruch. Im selben Jahr unternahm er die erste von mehreren Polenreisen. 1964 erschien die Erzählung Amras, einer der von ihm selbst am höchsten eingeschätzten Texte. 1965 erhielt Bernhard den Literaturpreis der Freien Hansestadt Bremen. Im selben Jahr erwarb er in Obernathal bei Ohlsdorf (Oberösterreich) einen Vierkanthof, den er in jahrelanger Arbeit restaurierte; in den folgenden Jahren kaufte er zwei weitere Häuser bei Reindlmühl und Ottnang. Das südliche Oberösterreich fand von nun an in vielfältiger Weise Eingang in Bernhards Schreiben: Zahlreiche Ortsnamen und andere Realien wurden zum Spielmaterial für seine literarischen Imaginationen: Aurach, Traich, Ungenach, Wolfsegg (Auslöschung). Neben seinen Wohnsitzen in Oberösterreich hielt sich Bernhard immer wieder in Wien auf (in der Wohnung Hedwig Stavianiceks in der Döblinger Obkirchergasse). Ein bevorzugtes Reiseziel bildete über viele Jahre Jugoslawien, wo auch ein beträchtlicher Teil der literarischen Arbeit erfolgte. In seiner späteren Lebenszeit reiste Bernhard mit Vorliebe in den mediterranen Süden (Portugal, Spanien etc.) - auch aus gesundheitlichen Gründen: 1967 musste er sich im Pulmologischen Krankenhaus der Stadt Wien auf der Baumgartner Höhe einer Operation unterziehen, eine unheilbare Immunerkrankung (Morbus Boeck) wurde entdeckt, die seine letzten Lebensjahre zur Qual machten.

1965 führte Bernhard Verhandlungen wegen der Aufführung eines Theaterstücks bei den Salzburger Festspielen; das Projekt, eine als "Anti-Jedermann" konzipierte Vorstufe des Stücks Ein Fest für Boris, kam nicht zustande. 1967 erschien der Roman Verstörung, im Jahr darauf - nach Bernhards Wechsel zum Suhrkamp Verlag - die Erzählung Ungenach. Ebenfalls 1968 löste die Dankesrede zur Verleihung des Kleinen Österreichischen Staatspreises (für das Jahr 1967) einen Skandal aus. 1969 erschien die Erzählung Watten, im Jahr darauf Das Kalkwerk. Mit der Zuerkennung des Georg Büchner-Preises 1970 erfuhr Bernhard die endgültige Anerkennung als einer der führenden deutschsprachigen Autoren.
1970 wurde in Hamburg Ein Fest für Boris als erstes von insgesamt 18 abendfüllenden Theaterstücken uraufgeführt. Regie führte Claus Peymann (geb. 1937), der auch einen Großteil der weiteren Stücke erstinszenierte. 1972 kam die bereits für das erste Drama angestrebte Zusammenarbeit mit den Salzburger Festspielen zustande; das Stück Der Ignorant und der Wahnsinnige wurde in Salzburg jedoch aufgrund des sogenannten 'Notlicht-Skandals' nur ein einziges Mal gespielt (die geforderte Abschaltung des Notlichts am Ende wurde aus feuerpolizeilichen Gründen nicht erlaubt, die Akteure verweigerten, unterstützt von Bernhard, einen weiteren Auftritt). Dennoch wurde bereits 1974 Bernhards nächstes Salzburger Festspielstück mit großem Erfolg uraufgeführt: die Komödie Die Macht der Gewohnheit, deren Hauptdarsteller Bernhard Minetti (1905-1998) in der Folge zu Bernhards bevorzugtem Schauspieler wurde. Im selben Jahr fand erstmals eine Bernhard-Uraufführung am Wiener Burgtheater statt: Die Jagdgesellschaft, die der Autor als eines seiner besten Stücke bezeichnete.
Die Zusammenarbeit mit den Salzburger Festspielen erfuhr zwar nach einem Konflikt wegen des Stücks Die Berühmten, das wegen befürchteter Anspielungen auf die Festspielprominenz nicht im Voraus akzeptiert und daraufhin von Bernhard zurückgezogen wurde, eine Unterbrechung, doch mit drei weiteren Uraufführungen (Am Ziel, 1981; Der Theatermacher, 1985; Ritter, Dene, Voss, 1986) avancierte dieser zum meistgespielten zeitgenössischen Dramatiker der Festspiele. Ansonsten wurden die Stücke dieser Jahre v. a. an den jeweiligen Wirkungsstätten Peymanns uraufgeführt, in Stuttgart (z. B. 1979 das von Bernhard selbst besonders geschätzte Vor dem Ruhestand, ein Stück voll politischer Anspielungen nach der Affäre um den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Hans Filbinger) und in Bochum (z. B. Der Weltverbesserer, 1980). Anfang der 1970er Jahre entstanden außerdem zwei Filme nach Textvorlagen Bernhards: 1971 unter der Regie von Ferry Radax (geb. 1932) Der Italiener (Dreharbeiten v. a. in Wolfsegg) 1974 Der Kulterer unter der Regie von Vojtech Jasný (geb. 1925) mit Helmut Qualtinger in der Titelrolle (Dreharbeiten u. a. in der Strafvollzugsanstalt Garsten, Oberösterreich).

In dieser Zeit setzte Bernhard auch seine Arbeit als Prosaautor fort; u. a. erschienen 1971 die Erzählung Gehen und 1975 der Roman Korrektur. Im selben Jahr aber begann der Autor mit seiner insgesamt fünfbändigen Reihe autobiografischer Erzählungen, die alle im Residenz Verlag erschienen. Zunächst löste er mit dem Band Die Ursache. Eine Andeutung einen Skandal aus, weil er darin die Stadt Salzburg als "katholisch-nationalsozialistischen Todesboden" (TBW 10, 12) bezeichnete; der Salzburger Stadtpfarrer Franz Wesenauer klagte wegen der Darstellung seiner Person und erwirkte eine Streichung der gegen ihn gerichteten Passagen. 1976 folgte Der Keller. Eine Entziehung, 1978 Der Atem. Eine Entscheidung und 1981 Die Kälte. Eine Isolation, ehe Bernhard 1982 in Ein Kind die Darstellung seiner frühesten Kindheitsjahre ‚nachreichte‘. In diesen Jahren unternahm er auch größere Reisen: 1977 nach Italien (u. a. Rom, Sizilien), in den Iran und nach Ägypten (mit dem Verleger Siegfried Unseld, 1924-2002) sowie nach Israel, 1979 in die USA (New York) und 1981 in die Türkei.
Parallel zur Publikation der Autobiografie kamen weitere fiktionale Prosatexte heraus, in denen er die Grenzen zwischen biografischer Authentizität und literarischer Erfindung zunehmend durchbrach, so etwa in der Erzählung Ja (1978) und dem Roman Beton (1982). Besonders großen Einfluss auf nachfolgende Autoren übte die Kurzprosa-Sammlung Der Stimmenimitator (1978) aus. Zu den meistgelesenen Büchern des Autors gehört die autobiografische Erzählung Wittgensteins Neffe. Eine Freundschaft (1982), in seinem Roman Der Untergeher (1983) machte er den kanadischen Pianisten Glenn Gould zur literarischen Figur. 1984 löste die Veröffentlichung des Romans Holzfällen. Eine Erregung den bis dahin größten Skandal um sein Werk aus; auf Antrag Gerhard Lampersbergs, der sich in einer Romanfigur verunglimpft sah, wurde das Buch vorübergehend beschlagnahmt, was eine leidenschaftlich geführte Diskussion über die Freiheit der Kunst auslöste. Im selben Jahr starb Hedwig Stavianicek; in seinem 1985 veröffentlichten Roman Alte Meister. Komödie spielt Bernhard deutlich auf diesen Verlust an. 1986 erschien sein umfangreichster, großteils bereits 1981/82 verfasster Roman Auslöschung. Ein Zerfall, der allgemein als eine Art Opus magnum wahrgenommen wurde. In diesen Jahren wurde Bernhard auch eine Reihe international renommierter Literaturpreise zuerkannt, darunter der Premio Prato (1982), der Premio Mondello (1983) und der Prix Médicis (1988); er nahm jedoch keine dieser Auszeichnungen mehr an.
Im "Bedenkjahr" 1988 (50 Jahre "Anschluss" Österreichs an NS-Deutschland) verursachte er mit seinem letzten Theaterstück Heldenplatz nochmals eine spektakuläre Auseinandersetzung um sein Werk; er ließ darin am Wiener Burgtheater, das seit 1986 von Peymann geleitet wurde, seinen Protagonisten Österreich als heruntergekommenes, unverändert antisemitisches und nazistisches Land wahrnehmen. Mit seiner letzten Prosaveröffentlichung In der Höhe. Rettungsversuch, Unsinn (1989) im Residenz Verlag machte der todkranke Schriftsteller der Öffentlichkeit noch einen im Wesentlichen Ende der 1950er Jahre entstandenen Text zugänglich; bereits 1981 hatte er mit dem Band Ave Vergil eine Zusammenstellung von ebenfalls aus dieser frühen Schaffensphase stammenden Gedichten publiziert.

Bernhard starb, nur einen Tag nach dem 40. Todestag seines Großvaters, in seiner Wohnung in Gmunden; er wurde im Grab Hedwig Stavianiceks auf dem Grinzinger Friedhof in Wien beigesetzt. Ein letztes Mal erregte er mit seinem Testament Aufsehen: Er verbot darin die Veröffentlichung aller zu Lebzeiten unpubliziert gebliebenen Texte sowie die öffentliche Aufführung und den Druck aller seiner Werke in Österreich; etwa ein Jahrzehnt nach seinem Tod wurde dieses Aufführungsverbot allerdings von seinem Erben Dr. Peter Fabjan wieder aufgehoben.

Manfred Mittermayer

 

Werke. 22 Bde. Hg. von Martin Huber und Wendelin Schmidt-Dengler. Frankfurt/Main 2003ff. (= TBW). - Frost. Roman. Frankfurt/Main 1963. - Prosa. Frankfurt/Main 1967. - Ungenach. Erzählung. Frankfurt/Main 1968. - Watten. Ein Nachlaß. Frankfurt/Main 1969. - Das Kalkwerk. Roman. Frankfurt/Main 1970. - Die Macht der Gewohnheit. Komödie. Frankfurt/Main 1974. - Korrektur. Frankfurt/Main 1975. - Die Ursache. Eine Andeutung. Salzburg 1975. - Der Keller. Eine Entziehung. Salzburg 1976. - Der Atem. Eine Entscheidung. Salzburg 1978. - Ja. Frankfurt/Main 1978. - Der Stimmenimitator. Frankfurt/Main 1978. - Vor dem Ruhestand. Eine Komödie von deutscher Seele. Frankfurt/Main 1979. - Die Kälte. Eine Isolation. Salzburg 1981. - Ein Kind. Salzburg 1982. - Der Untergeher. Frankfurt/Main 1983. - Holzfällen. Eine Erregung. Frankfurt/Main 1984. - Der Theatermacher. Frankfurt/Main 1984. - Auslöschung. Ein Zerfall. Frankfurt/Main 1986. - Heldenplatz. Frankfurt/Main 1988. - Stücke (4 Bde.). Frankfurt/Main 1988.

Bayer, Wolfram (Hg.): Kontinent Bernhard. Zur Thomas-Bernhard-Rezeption in Europa. Wien u. a. 1995. - Dittmar, Jens: Thomas Bernhard. Werkgeschichte. 2. Aufl. Frankfurt/Main 1990. - Gamper, Herbert: Thomas Bernhard. München 1977. - Höller, Hans: Thomas Bernhard. Reinbek bei Hamburg 1993. - Honegger, Gitta: Thomas Bernhard. "Was ist das für ein Narr?" München 2003. - Huber, Martin; Mittermayer, Manfred; Karlhuber, Peter (Hg.): Thomas Bernhard und seine Lebensmenschen. Der Nachlaß. Linz 2001 (auch: Frankfurt/Main 2002). - Huber, Martin; Schmidt-Dengler, Wendelin (Hg.): Wissenschaft als Finsternis. Wien 2002. - Huguet, Louis: Chronologie. Johannes Freumbichler-Thomas Bernhard. Weitra [1995]. - Huntemann, Willi: Artistik & Rollenspiel. Das System Thomas Bernhard. Würzburg 1990. - Judex, Bernhard: Der Schriftsteller Johannes Freumbichler. 1881-1949. Leben und Werk von Thomas Bernhards Großvater. Wien u. a. 2006. - Ders.: Thomas Bernhard. Epoche - Werk - Wirkung. München 2010. - Klug, Christian: Thomas Bernhards Theaterstücke. Stuttgart 1991. - Mittermayer, Manfred (Hg.): Thomas Bernhard-Johannes Freumbichler-Hedwig Stavianicek. Bilder, Essays, Dokumente. Linz 1999 (= Rampe-Extra). - Ders.: Thomas Bernhard. Frankfurt/Main 2006. - Ders.: Thomas Bernhard. Eine Biografie. Wien, Salzburg 2015. - Pfabigan, Alfred: Thomas Bernhard. Ein österreichisches Weltexperiment. Wien 1999. - Schmidt-Dengler, Wendelin: Der Übertreibungskünstler. Studien zu Thomas Bernhard. 3. Aufl. Wien 1997. - Thomas-Bernhard-Jahrbuch. 2003ff.