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Arnolt Bronnen

Foto: Nachlass Arnolt Bronnen; © Deutsches Literaturarchiv Marbach

(d. i. Arnold Hans Bronner)
Geb. 19.8.1895 in Wien, gest. 12.10.1959 in Ost-Berlin.
In den 1920er und 30er Jahren als Avantgarde-Autor von skandalösen Texten und im Besonderen Theaterszenen umstritten-erfolgreich, wirkte Bronnen nach 1945 als Kulturjournalist in Oberösterreich.

Nach seinem zähen Ringen um Anerkennung im Dritten Reich betätigte er sich - nach einer glücklich überstandenen Hochverratsanklage beim Militär - als Bote in der Widerstandsbewegung gegen das NS-Regime im Salzkammergut, wird Kommunist und 1945 kurzzeitig Bürgermeister von Bad Goisern. Er schreibt wieder politisches Theater mit einer Mischung aus sozialrealistischen und grotesk-komischen Zügen. 1951 geht er nach Wien, 1955 nach Ost-Berlin (DDR).

Kurz die lange Vorgeschichte: Zangengeburt in Wien als Sohn Martha Bronners (geb. Schelle) und des Dramatikers Ferdinand Bronner (1867-1948), möglicherweise aber auch des Pfarrers W. A. Schmidt; früh ein schöner, aggressiver Jüngling; mit dem Naturalismus des siebenaktigen Recht auf Jugend (1913) gewinnt er den Jugend-Apostel Gustav Wyneken als Förderer; 1915 freiwillig Soldat; im Hochgebirge durch die Kehle geschossen.
Nach der Gefangenschaft reüssieren seine Stücke in Berlin an Moritz Seelers "Neuer Bühne" triumphal bei der Kritik und lösen beim Publikum Skandale aus: Vatermord, das Lustspiel Die Exzesse, Katalaunische Schlacht, Rheinische Rebellen, Reparationen - insgesamt Exzess-Theater zu politischen Fragen der 1920er Jahre. Fünf Premieren in drei Jahren bringen Bronnen in die Lage, dem aufstrebenden Freund Bert Brecht zu helfen, der seinen Namen "Bertolt" nach Bronnens Erfindung "Arnolt" bildet. Das seit 1913 gebrauchte Pseudonym "Bronnen" statt des Namens Bronner wird erst 1949 von der Oberösterreichischen Landesregierung legalisiert.

Als Brecht sich nach Mitte der 1920er Jahre nach links wendet, geht Bronnen nach rechts. Er sieht sich als "nicht völkisch, aber Faschist". Der 1929 im Völkischen Beobachter ganzseitig verrissene Roman O.S. ("Oberschlesien" in zeitgenössischer Abkürzung des Abstimmungsgebietes; nach W. Kunicki aufgrund der Stilmerkmale als "Old Shatterhand" zu lesen) bringt ihm die Begeisterung und Protektion von Joseph Goebbels ein. Gegen die Völkischen um Alfred Rosenberg sieht sich Bronnen bald als "Nationalbolschewist". Bronnens Herkunft und sein "Asphalt"-Stil führen zur Kündigung vom Rundfunk und zur Verweigerung der Mitgliedschaft bei der Reichsschrifttumskammer.
Schon 1930 wollte sich Bronnen gerichtlich von seinem Vater lossagen, weil er von seiner Mutter erfahren hatte, dass er der außereheliche Sohn eines Pfarrers sei. Das Gericht bestätigte die Wahrscheinlichkeit einer anderen Vaterschaft als die des gesetzlichen Vaters Ferdinand Bronner. Dieser wird 1941 zum "Mischling I. Klasse" erklärt und kann so überleben. Bronnen gewinnt mit dem Prozess seine Wiederzulassung zum Theater und die Aufnahme in die Spielpläne von Otto Falckenberg, Gustaf Gründgens u. a. für die Stücke N und Gloriana. Kurz darauf kann Rosenberg aber den Bronnen-Protektor Goebbels ausspielen und von Hitler selbst ein Aufführungsverbot erreichen.Auf die Bedrohung durch Schutzhaft reagiert Bronnen panisch: Innerhalb weniger Tage lässt er sich, von Kind an evangelisch, katholisch taufen, holt die kirchliche Trauung mit seiner zweiten Frau Hildegard von Lossow nach und verschwindet mit beiden Töchtern ins abgelegen scheinende Goisern. Dort findet er Anschluss an den kommunistischen / katholischen (teils bewaffneten) Widerstand. Wegen seiner Englisch- und Amerika-Kenntnisse, aber doch auch mit dem Vertrauen der Antifaschisten, wird er für einige Wochen des Übergangs Bürgermeister.

Noch 1945 - jetzt schon deklarierter Kommunist für ein neues Österreich - geht Bronnen als Kulturredakteur zur Neuen Zeit, der Zeitung der KPÖ, nach Linz. Er ist fleißig und mit Überlegenheit pflichtbewusst: dem neuen Staat, der Partei, der Provinz, seinen Lesern und besonders der Jugend aufgeschlossen. Bis zum Frühsommer 1951, als er an das kommunistische Wiener "Theater in der Scala" geht, führt Bronnen das Kulturressort der Neuen Zeit. In Linz herrscht zu dieser Zeit Kultur-Betriebsamkeit: die "Kleine Opern- und Operettenbühne", das "Erste o.ö. Bauerntheater", das "Volkstheater Urfahr", das "Theater der Komödie", die "Neue Linzer Volksbühne", die Theatergruppe der Volkshochschule - über die Kurt Klinger mit Bronnen in Kontakt kommt - und natürlich das Landestheater präsentieren gemeinsam ein dichtes Programm. In einer Theater-Gründergruppe trifft Bronnen auch auf des Dichters Karl Kleinschmidt (1913-1984) junge Frau, die Schauspielerin Renate Bertalotti. Nach der "Vorführung des Raubtiers" - so schrieb Regisseur Edwin Zbonek den Termin in Bronnens Kalender -, für das er die Rolle der Mutter in einer geplanten Vatermord-Aufführung vorsah, heirateten die beiden.

Bronnen verfasst während seiner journalistischen Tätigkeit in Linz ca. 500 Artikel über Film, Theater, bildende Kunst, Musik und zu aktuellen Anlässen (etwa zur Friedensbewegung). Er versucht, die Aufbruchstimmung auch in kleinen Unternehmungen authentisch einzufangen und mit den Berichten weiter anzuregen. 1954 erscheint bei Rowohlt die Autobiografie arnolt bronnen gibt zu protokoll. Seine persönliche Rechtfertigung sucht er typologisch mit der Zeit zu verbinden: beiträge zur geschichte des modernen schriftstellers heißt der Untertitel.
Sein Ziel bleibt freilich die Rückkehr auf die Bühne. Am Landestheater Linz bringt er 1948 N heraus, ein in der Nazi-Zeit konzipiertes Herrscher-Stück, wobei N als Napoleon oder als Nazi gelesen werden kann. Ein halbes Jahr später wird es auch am Salzburger Landestheater aufgeführt. Ähnlich sein Drama um Königin Elisabeth I. Gloriana: ein Hitler-Porträt als eitle Herrscherin.Wie in den 1920er Jahren schreibt Bronnen auch jetzt unmittelbar auf die Zeitgeschichte bezogene Stücke (Volksstücke, Lustspiele) wie Die jüngste Nacht (die Nacht des "Umbruchs" 1945 als Komödie im Salzkammergut). Das dramaturgisch interessante Stück Die Kette Kolin. Eine wahre Begebenheit aus der Wachau wird erst 1952 durch die erwähnte Theater-Truppe der Volkshochschule, "Der Scheinwerfer", inszeniert. Bis heute unaufgeführt blieb die Revue über die Arbeits- und anderen politischen Kämpfe auf der Großbaustelle des Kraftwerkes Kaprun. Ein Spiel für Arbeiter.1951 wird Bronnen als Vizedirektor an das "Theater in der Scala" in Wien berufen, das, von der KPÖ gestützt, nach dem Staatsvertrag 1955 sofort geschlossen wird. In der DDR ist Johannes R. Becher (1891-1958) seit 1954 Kulturminister. Bronnen hat mit ihm und Brecht seine Rückkehr nach Berlin vorbereitet. 1956 ist es so weit, doch die Jugendsituation - "der Becher geht so lange zum Bronnen, bis er Brecht", ein Witzwort der 1920er Jahre gegen die Avantgarde - ist nicht wieder herzustellen: 1956 stirbt Brecht, 1958 Becher, 1959 Bronnen.

Friedbert Aspetsberger

 

Tage mit Bertolt Brecht. Geschichte einer unvollendeten Freundschaft. Mit 40 Abbildungen. Wien u. a. 1960. - Werke. 5 Bde. Mit Zeugnissen zur Entstehung und Wirkung. Hg. von Friedbert Aspetsberger. Klagenfurt 1989. - Sabotage der Jugend. Kleine Arbeiten 1922-1934. Hg. von Friedbert Aspetsberger. Innsbruck 1989. - Die Septembernovelle. Nachwort von Joachim Campe. Stuttgart 1989. - O.S. Nachwort von W. Kunicki, Vorwort von F. Aspetsberger. Klagenfurt 1995.

Aspetsberger, Friedbert: "arnolt bronnen". Biographie. Wien u. a. 1995. - Bronnen O.Ö. Verhörtes Leben. Zusammengestellt von Friedbert Aspetsberger. In: VASILO (= Vierteljahresschrift des Adalbert-Stifter-Institutes) 34 (1985), H. 3/4, 108-251. - Bronnen, Barbara: Auf der Suche nach A. B. Der Schriftsteller Arnolt Bronnen. TV-Film. Bayerisches Fernsehen 1980, 45 min. - Dies.: Die Tochter. Roman. München 1980. - Dies.: Das Monokel. Roman. München 2000. - Bronnen, Hildegard: Unteilbar und untrennbar. In: Ulrike Edschmid (Hg.): Diesseits des Schreibtisches. Lebensgeschichten von Frauen schreibender Männer. Frankfurt/Main 1990,  65-113. - Bronnen, Renate: Kleine Bertalotti. In: Ulrike Edschmid (Hg.): Diesseits des Schreibtisches, a. a. O., 115-147.