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Peter Altenberg

© Bildarchiv Austria / ÖNB, Wien

d. i. Richard Engländer. Geb. 9.3.1859 in Wien, gest. 8.1.1919 ebd.
Altenberg war als Bohemien und exzentrische Erscheinung des Literaturbetriebs um 1900 ebenso bekannt wie als Autor poetischer Miniaturen, Milieu- und Landschaftsskizzen. Das Salzkammergut nimmt dabei einen besonderen Stellenwert ein.

Seit Anfang der 1880er Jahre fuhr die Familie Engländer zur Sommerfrische immer wieder ins Salzkammergut, meist nach Ischl, das erst 1907 zu Bad Ischl wurde. Der älteste Sohn Richard, der sich als Schriftsteller dann Peter Altenberg nennt, hält dem Salzkammergut ein Leben lang die Treue - sein Lieblingsort wird Gmunden. Viele seiner poetischen Skizzen und Szenen beschäftigen sich explizit oder implizit mit Erlebnissen und Beobachtungen in dieser Landschaft und sie enthalten alle Facetten von Altenbergs Werk: das Poetisch-Dichte, mit dem er in kleinen Momentaufnahmen Menschen wie Landschaften hinzumalen versteht, den Hang zu "Idealisierungskitsch" (Wilhelm Genazino) oder hymnisch-hohlem Pathos, mit dem er seine Urteile im Trampelschritt wilder Satzzeichenkaskaden hinschleudert, und seine bedenkliche Neigung zur Pädophilie. In diesem Punkt behalf sich die Forschung lange damit, die kleinen Mädchen ab vier, denen Altenberg den "Hof zu machen" pflegte, mit Arthur Schnitzlers "Süßem Mädel" zu überblenden (Lange 1999, 453) und das Ganze als "heilige" Mädchenverehrung zu verharmlosen.

Altenbergs Sammelleidenschaft für Kinderpornografiken scheint just in Gmunden begonnen zu haben: Hier lernt er den Hoffotografen Carl Jagerspacher (1844-1921) kennen, dessen Fotoserie des Burgtheater-Kinderstars Kamila Gerzhofer (1881-1961) zu den ältesten Fotografien von Altenbergs Bildarchiv gehört (vgl. Lunzer 2003, 48). "Neun und Elf" ist der erste Text in seinem Debüt Wie ich es sehe (1898); er spielt in Gmunden, und die beiden von ihm vergötterten und geküssten Mädchen sind neun bzw. elf Jahre alt. Mitunter scheinen Erwachsene eingegriffen zu haben. "Dann erzählte ihr eine Dame der soge­nannten ‚guten Gesellschaft‘, daß er ein Säufer sei, und schon zwei Jahre im Irrenhaus interniert gewesen sei. [...] sie schämte sich seitdem seiner Verehrung - - -." (Altenberg 1913, 104) Altenbergs implizite Erklärung, es ginge nicht um zweideutige Annäherungsversuche an Minderjährige, sondern um seine Rolle als Bohemien, dem die bürgerliche Welt mit Verachtung begegnet, schreibt sich bis in die aktuelle Rezeption fort.
Unabhängig davon fangen viele seiner Skizzen feenhaft leicht die Stimmung und den Zauber der Landschaft ein und weben aus Geräuschen und Gerüchen die "Wellensymphonie des Sees", wie es in "Sommerabend in Gmunden" heißt (Altenberg1911, 95f.). Wie ich es sehe (1896) beginnt mit dem Zyklus See-Ufer; die 22 Texte über das Leben der Gäste in Gmunden sind motivisch sorgfältig miteinander verwoben. Die kleinen Abenteuer und Situationsberichte beschreiben das eigenartige Biotop der bürgerlichen Sommerfrische und die gesellschaftlichen Zwänge im Leben der Frauen, für die Altenberg stets hellhörig war - solange sie einigermaßen jung aussahen. Den zu alt gewordenen freilich empfiehlt er recht unverblümt, sich unauffällig im See zu ertränken (vgl. Altenberg 1919, 76).

Auch andere Orte des Salzkammerguts hat Altenberg literarisch verewigt. In Was der Tag mir zuträgt (1901) beschreibt er den "Ischler Sommer" (99-103) und "Angenehme Reiseeindrücke" (250-256) aus Hallstatt oder Bad Goisern samt einer - altersmäßig unbedenklichen - Romanze am "Wolfgang-See". Im posthum erschienenen Band Mein Lebensabend (1919) zählt er nach einem langen Hotelzimmerleben mit buchhalterischer Genauigkeit die Aufenthalte in seinem "Seelen-Heimats-Städtchen" (Altenberg 1919, 238)  - es sind 23 - und wünscht sich nur "noch einmal Gmunden im Vorfrühling zu erschauen und im Spätherbst, kurz, bevor die Menschen kommen, die nichts erschauen." (ebd., 83) "Die Glücklichsten sind die Schwäne am Gmundner See. Sie genießen alle Vorteile der Zivilisation, der noblen Protektion durch die Menschen, und alle Vorteile der Freiheit, indem sie an den schilfbewachsenen Ufern eines zwölf Kilometer langen Sees wohnen!" (Altenberg 1908, 11) So beginnt die zweite Skizze des Bandes Märchen des Lebens; vielleicht war für Altenberg Gmunden der Schwäne wegen das "Märchen meines sonst ziemlich unmärchenhaften Lebens" (Altenberg 1919, 83).

Evelyne Polt-Heinzl 

 

Wie ich es sehe. Berlin 1898. - Was der Tag mir zuträgt. Fünfundfünfzig neue Studien. Berlin 1901. - Märchen des Lebens. Berlin 1908. - Neues Altes. Berlin 1911. - Semmering 1912. Berlin 1913. - Mein Lebensabend. Berlin 1919. - Sommerabend in Gmunden. Szenen und Skizzen zwischen Semmering und Salzkammergut. Hg. von Burkhard Spinnen. Frankfurt/Main 1997. - Das Buch der Bücher von Peter Altenberg. Zusammengestellt von Karl Kraus. (3 Bde.) Göttingen 2009. - Über die Anständigkeit. Wien 2016.

Barker, Andrew: Telegrammstil der Seele. Peter Altenberg - Eine Biographie. Wien u. a. 1998. - Ders.; Lensing, Leo A.: Peter Altenberg: Rezept die Welt zu sehen. Kritische Essays. Briefe an Karl Kraus. Dokumente zur Rezeption. Titelregister der Bücher. Wien 1995. - Bisanz, Hans: Peter Altenberg: Mein äußerstes Ideal. Altenbergs Photosammlung von geliebten Frauen, Freunden und Orten. Wien, München 1987. - Lange, Wolfgang: "Süße kleine Mädel". Peter Altenbergs Obsession. In: Helmut Scheuer, Michael Grisko (Hg.): Liebe, Lust und Leid. Zur Gefühlskultur um 1900. Kassel 1999, 437-457. - Lunzer, Heinz; Lunzer-Talos, Victoria (Hg.): Peter Altenberg: Extracte des Lebens. Einem Schriftsteller auf der Spur. Salzburg u. a. 2003. - Wysocki, Gisela von: Peter Altenberg. Bilder und Geschichten des befreiten Lebens. Hamburg 1994.