Seit den späten 1990er Jahren versucht sich St. Wolfgang vermehrt als literarischer Ort zu positionieren. Im Ortsteil Ried beim Ferienhort am See errichtete man einen "Literatenpark" mit Denkmälern der drei lokalen literarischen Größen sowie einem Freiluft-Auditorium für Veranstaltungen. Der Verein "Wolfgangsee Literatur" um Arno Perfaller organisiert die "Wolfgangsee Literaturtage". Einem Autor bzw. einer Autorin wird jeden Sommer als "SeeschreiberIn" ein dreimonatiges Aufenthaltsstipendium gewährt; auch wissenschaftlich setzt man sich mit der Literatur auseinander, 2007 etwa fand ein Leo-Perutz-Symposium statt.
Leo Perutz, der Älteste des literarischen Dreigestirns, kam seit den 1920er Jahren regelmäßig nach St. Wolfgang auf Sommerfrische. Hier lernte er 1928 auch den zweiten im Bunde, Alexander Lernet-Holenia, kennen. Perutz wurde dem um 15 Jahre Jüngeren Freund und Mentor. Im literarischen Werk Perutz' hinterließ der Ort keine Spuren, in der Emigration blieb St. Wolfgang aber eine fixe Größe in den Imaginationen und Beschreibungen des Autors. Sechs Wochen nach der Ankunft in Haifa beschreibt er in einem Brief das Wetter: "Der Winter hat hier keinen Schnee, sondern eher den Charakter eines St. Wolfganger Gewittertags, mit Straßenüberschwemmung, aber ohne Lernet. Die Natur ist also nicht allzu grausam." (zit. nach Müller 2007, 296) Und im November 1945 berichtet er aus Palästina, das er nicht zu verlassen beschlossen hat, von den Vorzügen des Landes: "Tel Aviv ist eine fröhliche Stadt, Jerusalem ein romantischer Traum; Tiberias, am Kinnerethsee, sieht aus wie St. Wolfgang." 1950 kam Leo Perutz erstmals wieder nach Wien, 1952 erlangte er die österreichische Staatsbürgerschaft, die es ihm in den letzten Lebensjahren ermöglichte, zwischen seiner alten und neuen Welt zu pendeln. Er verbrachte die Winter in Israel, die Sommer und Herbstmonate in Europa, vier Wochen davon in St. Wolfgang. Während eines Besuches am Wolfgangsee im August 1957 starb Perutz, seine letzte Ruhestätte fand er auf dem Friedhof in Bad Ischl.
Im Gegensatz zu Perutz lebte Lernet-Holenia vor dem Zweiten Weltkrieg ständig am Wolfgangsee, 1926 machte er das von seiner Mutter 1902 erworbene Anwesen nach der Übersiedlung von Klagenfurt zu seinem festen Wohnsitz. Im selben Jahr hatte Carl Zuckmayer (1896-1977) in Henndorf am Wallersee die "Wiesmühl" gekauft, nach der Machtergreifung Hitlers 1933 übersiedelte Zuckmayer mit seiner Familie nach Henndorf. Lernet pflegte intensive freundschaftliche Beziehungen mit dem "Henndorfer Kreis", er war unter anderem Trauzeuge von Ödön von Horváth (1901-1938). Nach dem "Anschluss", als die Henndorfer Freunde fliehen mussten, konnte sich der regimekritische Lernet-Holenia durchschlagen, er lebte teilweise in Berlin. Seine Distanz zum Regime führte dazu, dass er 1945 von der amerikanischen Besatzungsmacht zum Entnazifizierungsbeauftragten ernannt wurde - was ihm in St. Wolfgang sicher einige weitere Gegner einbrachte. Er galt seiner Umgebung zeitlebens als "Schwieriger" und pflegte sein Image als aufmüpfiger, sich aristokratisch gebender Zeitgenosse. Zahlreiche Anekdoten ranken sich um diese "Aufmüpfigkeit", oft sind es Vorkommnisse im Autoverkehr - der Chauffeur Lernet dürfte sich schnell übervorteilt gefühlt haben, mehrere Ohrfeigen, die er Passanten versetzte, wurden amtsbekannt. Ab dem Beginn der 1950er Jahre wohnte er vermehrt in Wien, blieb aber St. Wolfgang weiterhin treu.
Trotz der großen Bedeutung des Wohnortes in Lernets Leben fand St. Wolfgang in seinem Schreiben wenig Niederschlag. Einzig in dem Gedicht Hochwasser im Salzkammergut, 1957 in der Zeitschrift Forvm abgedruckt, wendet er sich gegen den aufkommenden Massentourismus: "und es verstopfen Riesenautobusse / voll lebenshungriger Gelsenkirchner / den Ort, in dem nichts los war." (Lernet-Holenia 1989, 603). Aber der Autor hat nicht in erster Linie die Hundertschaften an Ausflüglern auf der Suche nach dem Operettenhotel im Visier, vielmehr richtet er seinen Spott gegen die Politiker und Fremdenverkehrsmanager, die mit allen Mitteln versuchen, auch in der Regenzeit den Eindruck zu erwecken, hier ginge die Post ab: Im Gedicht wirft der Bürgermeister ein Kondom in den See, "nur damit man glaubt, / in diesem Orte wäre etwas los". (ebd.) Das war für die St. Wolfganger 1957 sicher starker Tobak.
Nach Lernet-Holenias Tod 1976 machten die zuvor Verspotteten nicht viele Anstalten, sein Andenken hochzuhalten. Hilde Spiel, die Dritte im Bunde der drei "großen St. Wolfganger Literaten", gehörte zu den schärfsten Kritikern dieser mangelnden Pflege, sei der Autor doch, wie sie 1988 schreibt, in seinen besten Werken Hofmannsthal, Rilke, Zuckmayer oder Roth ebenbürtig. Sie kritisiert auch den Umgang der Familie mit dem Erbe: vor allem die Parzellierung des Grundstücks und die Zerstörung des von Lernet-Holenia so geschätzten Parks. Zu dieser Zeit, wenige Jahre vor ihrem Tod, hatte Spiel dieser ihrer zweiten Heimat bereits den Rücken zugekehrt, in ihrer Autobiografie Welche Welt ist meine Welt? (1990) geht sie mit St. Wolfgang hart ins Gericht: "Der Ort St. Wolfgang beginnt mit dem wachsenden Wohlstand des ganzen Landes sein Gesicht zu verlieren. [...] Auch anderwärts ringsum schießt es nun hoch, bläht und brüstet sich in unsinnigen Dimensionen." (Spiel 1990)
Der unsensible Umgang mit dem Vergangenen traf Hilde Spiel im Falle Lernet-Holenias besonders schmerzhaft, war sie doch lange Jahre Grundstücksnachbarin des "schwierigen Mannes" gewesen. 1954 erwarb sie mit ihrem Mann Peter de Mendelssohn (1908-1982) das "Haus am Bach", das für sie ein wichtiger Anker bei der endgültigen Rückkehr aus dem Exil wurde. Hier baute sie umgehend einen literarischen Salon auf, wo sich neben dem Nachbar Lernet-Holenia und dem Stammgast Leo Perutz etwa der junge Thomas Bernhard, Franz Theodor Csokor (1885-1969), Heimito von Doderer (1896-1966) oder Friedrich Torberg (1908-1979) trafen. Der noch unbekannte Elias Canetti (1905-1994) war nur einmal zu Gast, "seine monumentale Eitelkeit und sein arrogantes Auftreten", so Spiel, hätten "keinen entsprechend positiven Widerhall gefunden" (ebd.), ihm behagte es nicht, dass in der abendlichen Diskussion die Meinungen gegen ihn waren.
Machten Hilde Spiels Einladungen St. Wolfgang einige Zeit zu einem literarischen Zentrum, so hatte die Autorin der Seegemeinde bereits vor dem Zweiten Weltkrieg ein literarisches Denkmal gesetzt. Als Studentin "floh" sie 1934 hierher, um in einer in Liebesdingen verworrenen Situation Abstand zu gewinnen. Diese Erlebnisse flossen in ihren zweiten Roman Verwirrung am Wolfgangsee (1935) ein, der Identitätskrisen und Wendepunkte im Leben junger Menschen in den Mittelpunkt stellt. Drei Männer verschlägt es auf dem Weg von Brüssel durch Europa an den Wolfgangsee, wo sie zwei junge Wiener Frauen auf Sommerfrische kennen lernen. In dem bewusst "sommerlich leicht" gehaltenen Buch weht ein Hauch von Internationalität durch den schmucken Ort ("Vor dem Grand Hotel standen Wagen aus aller Welt"; Spiel 1935), die sich, typisch Salzkammergut, mit trachtengekleideter Bodenständigkeit und Natürlichkeit paart. Das Buch erlebte eine einzige Neuauflage, 1961 hielt man es aber für angebracht, im Titel nur Positives stehen zu haben (Sommer am Wolfgangsee).
Für die drei heute mit Denkmälern geehrten Schriftsteller wurde St. Wolfgang zu einem Zuhause, andere Schreibende zog es für kürzere Zeit sommerfrischend an den Abersee. Gina Kaus (1893 od. 94-1985) verbrachte hier "eine der schönsten Wochen meines Lebens" (Kaus 1979, 131) mit ihrer Mutter und dem Besucher Karl Kraus (1874-1936), wie sie in ihrer Autobiografie Und was für ein Leben...(1979) schreibt. Thomas Mann (1875-1955) machte hier, von Salzburg kommend, im August 1952 Station, man besuchte den in Strobl wohnenden Sohn Michael. Peter Altenberg, der vielleicht exzessivste Sommerfrischler der österreichischen Literatur, widmet dem Ort zwei seiner Prosaskizzen. In Sanct Wolfgang (aus Wie ich es sehe, 1896) beobachtet er eine "femme incomprise" im Seidenkleid auf dem Weg mit der Bahn auf den Schafberg, um ihr dann ein "natürliches" Mädchen gegenüberzustellen (Altenberg 1997, 54). In dem Text Wolfgang-See (aus Was der Tag mir zuträgt, 1901) geht es nicht um die konkrete Topografie des Orts, sondern um das Schilf. In einer Menage à trois wendet die Dame einen "romantischen Bluff" (ebd., 57) an, um dem jüngeren Mann zu gefallen. Auch Fritz von Herzmanovsky-Orlando (1877-1954) literarisierte seine St. Wolfganger Sommerfrische. In der 1948 entstandenenErzählung Dem Andenken der großen Naiven Stella Hohenfels verarbeitet er die Begegnungen mit der berühmten Fin-de-Siècle-Schauspielerin: "Sankt Wolfgang hatte zwei große Sehenswürdigkeiten: erstens: den weltberühmten gotischen Altar von Michael Pacher und zweitens: die berühmte Naive des Wiener Burgtheaters, Baronin Stella Hohenfels." (Herzmanovsky-Orlando 1991, 26) In dem anekdotischen Text schreibt er auch von einer Begegnung mit dem "Fackelkraus, fabelhaft steif und angeschirrt wie ein Lord, der den Buckinghampalast auf Hofluft prüft". Als sich die Schauspielerin unschicklich benimmt, ermahnt sie ihr Schwager und Quartiergeber: "Stella! bedenke, daß du die Schwägerin eines Herrenhausmitglieds bist! ... wenn das zu den Ohren des Kaisers dringt! ... wie weit ist es schon nach Ischl?" (ebd., 29)
Wolfgang Straub
Altenberg, Peter: Sommerabend in Gmunden. Szenen und Skizzen zwischen Semmering und Salzkammergut. Hg. von Burkhard Spinnen. Frankfurt/Main 1997. - Grieser, Dietmar: "Leise weinet der Bach". Alexander Lernet-Holenia in St. Wolfgang, in: Ders.: Nachsommertraum im Salzkammergut. Eine literarische Spurensuche. St. Pölten, Wien 1993, 194-205. - Herzmanovsky-Orlando, Fritz von: Erzählungen, Pantomimen und Ballette. Hg. von Klaralinda Ma-Kircher und Wendelin Schmidt-Dengler. Salzburg, Wien 1991 (= Sämtliche Werke. Hg. im Auftrag des Forschungsinstituts Brenner Archiv unter der Leitung von Walter Methlagl und Wendelin Schmidt-Dengler, Bd. 4). - Kaus, Gina: Und was für ein Leben ... mit Liebe und Literatur, Theater und Film. Hamburg 1979. - Lernet-Holenia, Alexander: Das lyrische Gesamtwerk. Hg. von Roman Rocek. Wien, Darmstadt 1989. - Müller, Hans-Harald: Leo Perutz. Biographie. Wien 2007. - Rocek, Roman: Die neun Leben des Alexander Lernet-Holenia. Eine Biographie. Wien u. a. 1997. - Spiel, Hilde: Verwirrung am Wolfgangsee. Roman. Leipzig, Wien 1935 (Neuaufl.: Sommer am Wolfgangsee. Reinbek bei Hamburg 1961). - Dies.: Launen, Schrullen, Grillen. Alexander Lernet-Holenia und St. Wolfgang. Ein Vorwort oder Nachruf. In: Parnaß 8 (1988), H. 6, 82-83. - Dies.: Welche Welt ist meine Welt? München, Leipzig 1990.